Nonni - Erlebnisse eines jungen Isländers von ihm selbst erzählt. Jón Svensson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jón Svensson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711446096
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      »Nun, das kann ich mir vorstellen. Du bist noch ein Kind und denkst nur an das Verlockende einer solchen Reise. Du siehst eben das Leben noch mehr von der angenehmen Seite. Aber denkst du auch daran, daß es draußen in der Welt Gefahren gibt?«

      »Ja, ich habe schon davon gehört und auch in Büchern davon gelesen. Aber ich habe mir fest vorgenommen, immer gut zu sein.«

      »Das ist ein guter Vorsatz, aber du bist noch zu jung, um ihn halten zu können, wenn du ganz allein dastehst. – Ich fürchte sehr für dich, mein kleiner Nonni ...«

      Ich wurde verlegen und wußte nicht, was ich sagen sollte.

      Doch nach einer kleinen Pause fiel mir folgende Antwort ein:

      »Ich glaube nicht, daß Sie sich um mich sorgen müssen. Meine Mutter hat gesagt, daß der Edelmann, zu dem ich reise, ein sehr guter und frommer Mann ist.«

      »Ja, aber einen Vater und eine Mutter wird er kaum ersetzen können.«

      »Die Mutter hat mir auch noch gesagt, daß Gott ebensogut für mich in Frankreich sorgen wird wie hier.«

      »Ja, das ist gewiß wahr. Aber dann mußt du selbst dich an Gott halten und täglich zu ihm beten. – Ob du das auch tun wirst, wenn die Mutter nicht mehr da ist, um dich daran zu erinnern?«

      »Ja, Herr Thorson, ich werde es tun. Ich habe es mir fest vorgenommen. Übrigens hat mir die Mutter versprochen, mir oft zu schreiben.«

      »Schon recht, das sind gewiß gute Vorsätze. Behalte sie nur immer! Aber eine so weite Reise ist doch eine sehr gewagte Sache ...«

      Doch ließ ich mich nicht weiter einschüchtern.

      Es wurden mir nun einige Erfrischungen angeboten, die ich mit Julius zusammen verspeiste.

      Dann nahm ich Abschied von Herrn Thorson und versprach ihm, die Ermahnungen, die er mir gegeben hatte, nicht zu vergessen.

      Wie es in Island üblich ist, küßte er mich und drückte mir nebenbei still einige Taler in die Hand. Dabei sagte er mir leise ins Ohr: »Leg das zu deinem Taschengeld! Und nun lebe wohl! Gott sei mit dir!«

      Ich war ganz gerührt von dieser Freundlichkeit.

      Dann holte ich mein Pony, und Julius begleitete mich noch ein Stück den Berg hinab.

      Wir waren beide sehr traurig. Keiner sprach ein Wort. Endlich trennten wir uns mit Tränen in den Augen.

      Einige Tage später rief meine Mutter mich wieder und sagte: »Heute wollen wir beide zusammen zu Pastor Magnusson reiten. Du weißt, er ist ein besonderer Freund von uns.«

      »Oh, das ist schön, Mutter! Das ist mal eine weite Reise, und außerdem kann ich Pastor Magnusson gut leiden.«

      »Das weiß ich, mein Junge, ich habe aber noch einen besonderen Grund, gerade ihn zu besuchen«, fuhr die Mutter fort. »Ich möchte nämlich seine Meinung darüber hören, was er von deinem Aufenthalt in Frankreich hält.«

      Eine Stunde später waren wir unterwegs. Ich ritt einen Goldfuchs, die Mutter saß auf einem stahlgrauen Schimmel.

      Wir sprachen nur wenig, denn die Pferde liefen ständig in starkem Trab, so daß es schwer war, ein Gespräch zu führen.

      Nach etwa zwei Stunden waren wir am Ziel.

      Die Leute empfingen uns sehr freundlich und boten uns zunächst eine kleine Stärkung an. Dann führte der Pastor uns in sein Zimmer und bat uns, Platz zu nehmen.

      »Herr Pastor«, begann die Mutter, »ich komme, um Sie in einer wichtigen Sache um Rat zu fragen. Ich habe vor, meinen Sohn Nonni nach Frankreich reisen zu lassen. Er soll dort studieren. Da er aber noch jung ist, könnte er leicht von der fremden Umgebung ungünstig beeinflußt werden. Einige Freunde haben mir deshalb abgeraten. Was meinen nun Sie, Herr Pastor, und was würden Sie mir wohl raten?«

      Pastor Magnusson sah mich ernsthaft an. Dann sagte er:

      »Es ist wirklich selten, daß ein Junge in diesem Alter von hier nach Frankreich reist, um zu studieren. – Ich wünsche dir von Herzen Glück, Nonni! Es kann für dich ein großer Segen werden.«

      Er schwieg eine Weile und blickte sinnend vor sich hin. Dann fuhr er fort:

      »Vor vielen hundert Jahren ist einer der größten Männer Islands auch nach Frankreich gereist. Er weilte dort viele Jahre und studierte an der Pariser Hochschule. Dann ließ er sich zum Priester weihen. Schließlich kam er als Gelehrter zurück. – Du kennst doch sicher seinen Namen?«

      Ich fühlte, daß ich rot im Gesicht wurde, denn ich wußte im Augenblick nicht, wer es war.

      Pastor Magnusson merkte meine Verlegenheit und kam mir gleich zu Hilfe.

      »Doch, Nonni, du kennst seinen Namen schon. Er soll ein Buch zusammengestellt haben, das eines der berühmtesten Bücher der Welt geworden ist.«

      Jetzt wußte ich Bescheid.

      »Es war Sämundr der Weise«, sagte ich, »der die Lieder der älteren Edda gesammelt haben soll.«

      »Ganz richtig«, erwiderte Herr Magnusson und fuhr lächelnd fort: »Und jetzt willst du nach Frankreich reisen wie Sämundr der Weise? – Wer weiß, vielleicht wirst du einst ein gelehrter Mann, am Ende gar ein berühmter Geistlicher werden wie er.«

      »O nein, Herr Pastor!« antwortete ich lachend. »Ich glaube nicht, daß ich je ein Gelehrter werde. Und bestimmt werde ich niemals ein berühmter Geistlicher. Ich will bloß in Frankreich studieren, und dann wähle ich mir irgendeinen Beruf, der mir gefällt.«

      Pastor Magnusson nickte mir freundlich zu. Dann wandte er sich an meine Mutter und sagte:

      »Nun, es wird mit Ihrem Sohne gehen wie mit uns allen: wir machen unsere Pläne und meinen, unseren Lebenslauf selbst zu ordnen und zu bestimmen. Und doch sind wir es trotz unserer Freiheit in Wirklichkeit nicht; es ist ein anderer, der alles ordnet und lenkt und uns zuletzt zu Zielen führt, an die wir vielleicht nie gedacht hatten.

      Sie fragen mich um meinen Rat. Es ist ja gewiß ein überaus wichtiger Entschluß, den Sie da fassen müssen. Es ist ein Schritt, der für das ganze Leben des Jungen entscheidend ist.«

      Diese Worte stimmten mich ernst, und wir saßen alle drei eine Weile schweigend da.

      Bald fuhr aber Herr Magnusson fort:

      »Was meinst du eigentlich selber, Nonni, zu dieser gewaltig großen Reise? Fürchtest du dich nicht, so weit in eine dir ganz unbekannte Welt hinauszuziehen?«

      »Ab und zu wird es mir etwas merkwürdig zumute, Herr Pastor, wenn ich an meine Abreise denke.«

      »Und was ist es, was dich dann drückt?«

      »Es ist besonders der Gedanke, daß ich meine Mutter verlassen muß. Das ist für mich das Schlimmste.«

      Bei diesen Worten traten mir die Tränen in die Augen.

      Pastor Magnusson faßte tröstend meine Hand und sagte:

      »Das kann ich begreifen, aber Gott wird dir nicht nur Vater, sondern auch Mutter in der Fremde sein. – Gibt’s aber sonst etwas, was dich wegen dieser Reise beunruhigt?«

      »Vieles nicht, Herr Pastor, aber doch einiges: ich habe gehört, daß die Kinder im Ausland ganz anders behandelt werden als hier bei uns. Man sagt, sie hätten keine Freiheit wie wir und dürfen nicht mit den Erwachsenen umgehen, sondern müssen immer unter sich sein wie Schafe in einer Hürde. – Das gefällt mir überhaupt nicht.«

      Pastor Magnusson erwiderte lächelnd:

      »Etwas Wahres ist daran. Hier darfst du dich sozusagen in völliger Freiheit in Berg und Tal und auf dem Meere noch dazu bewegen. Eine solche Freiheit gibt es im Ausland nicht so leicht. Da leben die jungen Leute in Internaten und müssen sich gewissen – übrigens vernünftigen – Bestimmungen fügen. Davor brauchst du aber keine Angst zu haben. Du wirst dich schon leicht daran gewöhnen.«

      Es