Abenteuer auf den Inseln: Nonnis Erlebnisse auf Seeland und Fünen. Jón Svensson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jón Svensson
Издательство: Bookwire
Серия: Nonni
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711446119
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bald möglich werden, meinen kleinen Isländer, den Sie nun fast ein Jahr in Ihrem Hause so liebevoll beherbergt haben, nach Frankreich reisen zu lassen. Den Zeitpunkt der Abreise aus Kopenhagen bitte ich Sie selber bestimmen zu wollen. Da aber der Weg von Kopenhagen bis Avignon recht lang und der Klimaunterschied zwischen den beiden Städten groß ist, habe ich die Reise so eingerichtet, daß der kleine Junge auf dem Wege ein paar Wochen wenigstens haltmachen kann, damit er sich sowohl ausruhen als auch an die größere Wärme in Frankreich allmählich gewöhnen kann. Als Haltestelle habe ich mir die Stadt Amiens in Nordfrankreich gedacht. — Es gibt dort eine große Studien- und Erziehungsanstalt für Gymnasiasten, die den Namen ,Ecole libre de la Providence‘ führt. Ich habe mich schon mit dem Direktor der Anstalt verständigt. Der kleine Isländer wird dort die freundlichste Aufnahme finden. Die einfachste Reisestrecke von Kopenhagen nach Amiens würde wohl die folgende sein: Von Kopenhagen nach Dünkirchen mit einem Dampfer. Von Dünkirchen gibt es eine sehr angenehme direkte Eisenbahnverbindnug nach Amiens. Von Amiens wird er dann später über Paris nach Avignon in einem Tage mit der Bahn auf das bequemste fahren können. Für diesen letzten Teil der Reise wird der Direktor der Anstalt ,La Providence‘ in Amiens Sorge tragen. . . .“

      Hier machte Herr Grüder eine Pause, legte den Brief auf den Tisch und sagte:

      „Und nun, Nonni, was meinst du dazu?“

      Es war mir im Augenblick so eigentümlich zumute, daß ich nicht wußte, was ich sagen sollte.

      Da unterbrach Herr Grüder das Schweigen:

      „Also, mein kleiner Nonni, wenn du den Brief des französischen Grafen verstanden hast, so wird es dir nun wohl klar sein, daß die Tage deines Weilens hier in meinem Hause zu Ende gehen.“

      Der Doktor sprach diese Worte in einem so freundlichväterlichen Tone, daß ich tief gerührt wurde.

      Ohne ein Wort sagen zu können, warf ich einen flüchtigen Blick auf das Gesicht des Herrn Doktors und sah zu meiner nicht geringen Überraschung, daß seine Augen feucht waren. . . .

      Jetzt konnte ich meine Bewegung nicht mehr zurückhalten. Ich drückte meine beiden Hände gegen mein Gesicht und brach in Tränen aus.

      Fast ein Jahr hatte ich im Grüderschen Hause schon zugebracht und war immer von dem Hausherrn mit der größten Güte behandelt worden. Jetzt fühlte ich plötzlich, wie schwer es mir sein werde, diese Stätte, wo ich so glücklich gewesen war, nun bald auf immer verlassen zu müssen.

      Nachdem ich ein paar Augenblicke so dagesessen hatte, schämte ich mich meiner Weichherzigkeit — ich nahm mich zusammen, wischte rasch meine Tränen ab, faßte die Hand des Herrn Grüder und sagte zu ihm:

      „Sie sind immer so gut gegen mich gewesen, Herr Doktor, deshalb tut es mir leid, daß ich Sie nun verlassen muß. Ich werde Sie aber nie vergessen, Herr Doktor.“

      Herr Grüder drückte zärtlich meine Hand und sagte, nun auch selber tief bewegt:

      „Mein lieber, kleiner Nonni, ich wußte schon, daß du ein gutes Herz hast, ich hätte aber nicht gedacht, daß du so anhänglich und dankbar seiest für das wenige, das ich während dieses Jahres für dich tun konnte.“

      „O Herr Doktor, Sie haben nicht wenig, sondern viel für mich getan“, stammelte ich, während ich kräftig gegen die Tränen ankämpfte.

      „Auch ich habe dich immer gern gehabt, mein kleiner Nonni“, sagte Herr Grüder, „und auch mir tut die Trennung recht leid. Doch es muß nun einmal sein. . . . Wann möchtest du eigentlich nach Frankreich abreisen?“

      Ich schaute den Doktor an und wußte zuerst nicht, was ich antworten sollte. — Andere Gedanken flogen plötzlich heran. . . . Mein Ausflug mit Valdemar schoß mir durch den Kopf. . . . Den mußte ich doch zuerst unbedingt hinter mir haben. . . . Darüber sprechen durfte ich aber nicht. Das hatten wir ja unter uns abgemacht. . . . Nicht einmal dem lieben, guten Doktor durfte ich unsern Plan verraten. Schließlich erwiderte ich:

      „Herr Doktor, ich muß darüber noch etwas nachdenken. . . . Meinen Sie nicht, daß der Krieg wieder losbrechen könne? Ich glaube, es wäre gut, noch ein klein wenig zu warten.“

      „Du hast recht, mein Lieber. Wir wollen noch ein klein wenig warten. Genieße deine Ferien und ruhe dich von den Mühen und Arbeiten des Schuljahres aus. Später wollen wir dann auf die Sache wieder zurückkommen.“

      Ich stand auf, gab dem Herrn Doktor die Hand und verließ das Zimmer.

      Noch immer tief bewegt, ging ich diesmal — gegen meine Gewohnheit — ganz langsam die Treppe hinauf. Ich trat in mein Stübchen und schloß die Tür von innen ab.

      Seit einigen Tagen war ich der alleinige Bewohner hier, denn mein lieber Landsmann, Gunnar Einarsson, der etwas ältere isländische Junge, der mit mir im Grüderschen Hause geweilt hatte, war nicht mehr da. Er war auf Wunsch seiner Eltern nach Island zurückgekehrt.

      Ich setzte mich an meinen Tisch, dachte nach und fühlte, daß ich an einen Wendepunkt meines Lebens gekommen war. Alles hier sollte ich verlassen: Kopenhagen, die glänzende Hauptstadt Dänemarks, das Grüdersche Haus, die König-Knud-Schule, die frisch-fröhlichen dänischen Jungen, meine lieben Schulkameraden, Valdemar und auch Karl, gegen den ich in der Marmorkirche zwar einmal ernstlich gekämpft hatte, der mir inzwischen aber ein Kamerad geworden war. Verlassen sollte ich nun auch den isländischen Professor, Herrn Gisli Brynjúlfsson, das prachtvolle, reizendschöne Land, die großen, geheimnisvollen Buchenwälder, den azurblauen Sund — alles das sollte für mich bald nur noch eine schöne Erinnerung sein . . .! „Wie traurig“, seufzte es in meinem Innern.

      Vor einem Jahr hatte ich meine inniggeliebte Heimatinsel Island verlassen müssen, mein trautes Familienhaus, meine Mutter, meine Geschwister, Manni und Bogga, und alle meine Freunde, — o wie hatte ich damals gelitten . . .! Dann war ich hierher nach der Großstadt Kopenhagen gekommen, ganz allein und verlassen. Alles war mir damals hier fremd und neu.

      Jetzt war ich aber eingelebt und wie festgewurzelt, und überall um mich herum hatte ich lauter liebe und gute Freunde. . . . Und nun sollte ich wieder von ihnen scheiden; wie schwer und wie hart war doch das!

      So saß ich da und weinte. Gerade so wie ich vor einem Jahre in Island auf der stillen Bergeshalde und in der Kajüte des kleinen „Valdemar von Rönne“ beim damaligen Abschied geweint hatte.

      Ich war sonst immer so frisch und fröhlich, jetzt aber war ich wie in ein Meer von Schmerz und Trauer versenkt. . . .

      Ich schämte mich vor mir selber. . . . Aber es war mir für den Augenblick nicht möglich, mich von diesen tieftraurigen Empfindungen loszureißen.

      Da auf einmal flogen meine Gedanken, wie so oft schon, in einem Nu den langen Weg über den Atlantischen Ozean nach Island; dort sammelten sie sich alle im Hause meiner Mutter, dem kleinen, schwarzweißen Bau neben der Kirche im reizend schönen Städtchen Akureyri am Eyjafjördur. . . .

      Und in demselben Augenblick stand meine liebe Mutter vor mir — so lieb und so gütig lächelnd, aber auch fest und bestimmt, wie sie immer war. Ich sah sie in meinem Geiste ganz deutlich. Sie kam nah an mich heran, preßte beide Hände gegen meine Wangen und drückte einen Kuß auf meine Stirn.

      Ich blieb wie erstarrt sitzen und wagte nicht die geringste Bewegung zu machen, um die liebe Erscheinung nicht zu verlieren.

      „O Mutter, o Mutter!“ stammelte ich, nicht mit meinen Lippen, sondern tief in meiner Seele drinnen. . . . Und urplötzlich war alles um mich herum verschwunden. Ich war nicht mehr in meinem kleinen Stübchen in Kopenhagen. Ich war in Island, in Akureyri, im Hause meiner Mutter, in ihrer unmittelbaren Nähe, ja, ganz nahe bei ihr. . . .

      Und da auf einmal hörte ich ihre Stimme . . ., die wohlbekannte Stimme der lieben Mutter: „Aber Nonni, mein Kind! Was tust du denn! Wie kannst du so traurig dasitzen! Du wolltest ja nach Frankreich reisen, und nun sollst du endlich dorthin. . . . Glaubst du denn, daß Gott dich dort verlassen wird? Hat er dich etwa hier in Kopenhagen verlassen? Hat er dich nicht im Gegenteil, wie ich dir vorausgesagt habe, immerfort auf den Händen getragen? Aber gerade so wird er es mit dir in Frankreich tun, wenn