Die Wäscheleinen-Schaukel. Ahmad Danny Ramadan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ahmad Danny Ramadan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783944666754
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dir ein tröstliches Gefühl der Sicherheit in seiner Nähe.

      »Onkel, bitte sag mir, wo ist al-Buzuriyeh?«, fragtest du ihn, und er lächelte.

      »Das ist weit von hier. Sehr weit.«

      Eure kleinen Herzen rutschten euch in die Kniekehlen, aber während deine Schwester wieder laut aufschluchzte, bliebst du ruhig, wenn auch nur äußerlich. »Wir wollen zur Schule, Onkel, bitte bring uns zur Schule.«

      Der Mann wandte sich zum Gehen und winkte euch, ihm zu folgen; er bewegte sich ohne Hast zwischen den Grabsteinen hindurch, berührte dabei jeden einzelnen und sagte as-salaam alaikum. Er sprach mit ihnen wie mit alten Freunden, die er schon lange nicht mehr gesehen hatte. Ihr beide folgtet ihm vertrauensvoll. Wenige Augenblicke später wart ihr am Friedhofstor angelangt. »Geht diese Straße runter«, sagte er, mit seinem zitternden, knochigen Finger deutend, »dann kennt ihr euch wieder aus.«

      Ihr würdet zu spät zum Unterricht kommen, deshalb seid ihr gelaufen, aber du blicktest dich noch einmal um, und da war der Mann verschwunden.

      »Ich vermisse Damaskus«, sagst du, und ich spüre deinen Stimmungswandel; wieder einmal verliere ich dich an die Dunkelheit. Der Tod hat sich erneut zu uns gesellt, während wir im Haus unserer Abendroutine nachgehen. Er hilft uns, das Licht zu löschen und uns zu vergewissern, dass wir den Herd auch ausgeschaltet haben. Bei unserem frühabendlichen Tanz unterhalten wir uns weiter. Ich rücke den gelben Teppich gerade, und du bläst die Windlichter in der Sitzecke aus. Ich kontrolliere die Küche, während du im Badezimmer deine Medikamente einnimmst. Die Hunde, ebenso alt wie wir, heften sich erst an unsere Fersen, dann verziehen sie sich in eine Ecke, rollen sich zusammen und schlafen.

      »Du vermisst dein Damaskus; ich sage dir schon seit Jahren, dass es nicht mehr existiert.« Dasselbe Gespräch haben wir bereits vor drei Wochen geführt. »Das Damaskus, das du kennst, in dem Großväter durch Geschichten wieder lebendig werden, wo auf den Balkonen wunderschöner rothaariger Frauen Jasmin wächst und wo wir uns kennengelernt haben, ist vom Krieg verschlungen worden.«

      Ich trete durch die Tür und sehe dich traurig im Flur stehen. Mir wird klar, dass ich dich noch tiefer in den Abgrund deiner Erinnerungen gestoßen habe. »Du wirst es lebendig erhalten«, sage ich, während ich dich an mich drücke, um dich wieder zu mir zu holen. »Wir werden es gemeinsam lebendig erhalten.«

      Der Tod steht in der Ecke und grinst uns zu, bevor er die Ohren der schlafenden Hunde inspiziert. Ihre Zeit ist noch nicht gekommen.

      Als du dich ins Bett legst, machst du nicht sofort das Licht aus, sondern genießt erst die kühlen Laken, dann drehst du dich zu mir. »Bringst du mir Blumen?« fragst du. »Ans Grab?«

      »Nein, ich bringe dir meine Geschichten«, antworte ich, und du schmiegst deinen Kopf an meine Schulter. Bevor du mich darum bittest, beginne ich zu erzählen. Du weißt wie der Sultan, dass mir dein Wunsch nach Unterhaltung Befehl ist. »Es war einmal ein Mann, der sein geliebtes Land verließ und in die Ferne ging, und bei seiner Rückkehr hatte sich alles verändert.«

      »Im Namen Allahs des Barmherzigen! Eins! Zwei! Drei! Vier! Fünf! Er schlief noch halb, als sie seine Tür aufbrachen und in sein Zimmer stürmten. Vom Bett aus sah er zu, wie sie seine Wohnung durchsuchten; er glaubte wahrhaftig zu träumen. Sie ignorierten ihn, wie er aufrecht im Bett saß, sich mit den Fingernägeln am Kopf kratzte und zu verstehen versuchte, was um ihn herum vorging. Er wehrte sich nicht, als sie ihn packten und durch die Tür zerrten. Er sah, wie sie die Treppe zum Dachgeschoss seines kleinen Hauses hinaufstiegen. Dort oben hatte er seine Leinwände, in einem kleinen Raum, den er in ein Atelier umgewandelt hatte. Hinter zugezogenen schwarzen Vorhängen arbeitete er hier bis in die Morgenstunden. Er verstand, dass dies kein Traum war, als er registrierte, dass einer von ihnen ein Gemälde in Blautönen unter dem Arm davontrug, während sich vom Achselschweiß die Farben vermischten, was dem unfertigen Werk eine ganz eigene Note verlieh.

      Als er in den Kofferraum eines Autos gestoßen wurde, vor den Augen wehklagender Frauen mit Kopftüchern auf den Balkonen, war die Morgensonne noch sanft, aber ihre Strahlen kündeten bereits von einem langen, heißen Tag.

       Sechs! Sieben! Acht! Neun!

      Sie brachten ihn zur Polizeiwache, aber er wusste nicht, weshalb er verhaftet worden war. Da er seine Bilder niemandem zeigte, mussten sie aus einem anderen Grund zu ihm nach Hause gekommen sein. Er versuchte herauszufinden, was sie von ihm wollten und warum sie so wütend waren; welchen Fehler er begangen hatte; irgendeinen Fehler musste er ja gemacht haben. Nervös rief er sich die Ereignisse der vergangenen Woche ins Gedächtnis, aber es war nichts Besonderes vorgefallen. Vielleicht hatte er unabsichtlich ein Mitglied der Königsfamilie beleidigt; vielleicht hatte er einen von ihnen mit dem Auto geschnitten. Er zermarterte sich das Hirn, doch vergeblich. Ich hab ja gewusst, dass mir dieses Auto irgendwann zum Verhängnis werden wird, dachte er. Obwohl seine Fahrkünste erbärmlich waren, sprang er manchmal einfach in sein Auto und raste mit Vollgas los. So lebte er seinen Fluchtinstinkt aus, er hatte dann das Gefühl totaler Selbstbestimmung über sein Leben und vielleicht auch über seinen Tod.

      Als der Ermittlungsbeamte in den Raum kam, in der Hand eines seiner Gemälde, wusste er, dass der eigentliche Grund für seine Verhaftung inzwischen keine Rolle mehr spielte.

       Zehn! Elf! Zwölf!

      Er konnte nicht ahnen, dass sich die Männer nach seiner Inhaftierung eingehend über seine Bilder und die nackte Frau, die darauf in den merkwürdigsten Posen dargestellt war, unterhalten hatten, nicht ohne Allah dafür um Gnade anzurufen.

      Um die Identität seiner Musen zu schützen, hütete er sich vor einem allzu genauen Porträt. Die Männer konnten sehen, dass er die Gesichter der Frauen auf den Bildern absichtlich unkenntlich gemacht hatte. Bei den Augen war ihm dies am schwersten gefallen; sie bargen so viele Hoffnungen und Träume, Forderungen und Sehnsüchte. Wenn er die Frauen aus dem Gedächtnis malte, malte er auch ihre Gesichter und verwischte erst danach mit einem kleinen Pinsel die Augen, die Nasen und ihre markanten Gesichtszüge.

      Als der für die Asservatenkammer zuständige Beamte ein oder zwei Wochen später Inventur machte, stellte er fest, dass bis auf eines alle Bilder fehlten. Verblüfft sah er noch einmal in seinen Unterlagen nach. Eigentlich sollten es siebzehn Bilder sein!

      Der Beamte trat einen Schritt zurück und dachte an den Papierkram, den er nun erledigen musste, doch dann drehte er das Bild um, um es sich anzusehen.

      Es zeigte den Rückenakt eines junges Mädchens, das in einem Zimmer stehend durch das hölzerne Fenstergitter nach draußen sah. Auch dieser Beamte konnte den Blick nicht abwenden; mit den Augen verschlang er ihre Kurven, die vollen Pobacken, den nackten Rücken, geschwungen wie der Korpus einer Violine.

      Auf dem Rückweg in sein kleines Büro versteckte er das Bild unter seinem Hemd. Im Schutz des Büros zog er es heraus, öffnete die unterste Schreibtischschublade und legte es hinein, dann verschloss er die Schublade mit einem Schlüssel. Den Schlüssel steckte er sich in die Hosentasche, als er in die behelfsmäßige Teeküche der Asservatenkammer ging, um sich Tee zu kochen.

       Dreizehn! Vierzehn! Fünfzehn! Sechzehn! Siebzehn!

      Der Anwalt des Künstlers reichte ihm die Salbe unter dem Tisch, damit es der Wachmann nicht sah. Er sagte dem Künstler, dass man ihn am nächsten Tag ausweisen würde. Der Künstler verstand nicht, warum, und fragte den Anwalt, ob er seinen Job nicht behalten könne. »Sie wurden gefeuert«, erklärte der Anwalt. »Ihr Chef hat Sie gefeuert, als er von den Bildern hörte.« Der Anwalt sagte, jemand habe ihn wegen rücksichtslosen Fahrens angezeigt, aber als die Polizei die Bilder fand, beschloss man, ihn wegen unsittlichen Verhaltens festzusetzen. Ohne Job verlor er seine Arbeitserlaubnis, und man würde ihn deshalb ausweisen.

      Er starrte einen Moment auf die Salbe in seiner Hand, bevor er sie in seine Unterwäsche steckte. Dann dankte er dem Anwalt und ging zu seiner Zelle zurück.

      Während der paar Sekunden, die sich die Zellentür öffnete, starrten die anderen Gefangenen auf die kleinen Lichtkreise, die in den dunklen Raum drangen. Die Tür fiel zu und ließ sie ohne Licht und ohne Hoffnungsschimmer