»Na, wird’s nun endlich?« drängt Sébastien Zorn zum dritten Male, nachdem er sich den Violoncellkasten schon mittels mehrerer Riemen so gut wie möglich auf den Rücken geschnallt hatte.
»So, das wäre geschehen«, sagte Frascolin gelassen.
Dann wendet er sich noch mal an den Wagenführer.
»Es bleibt also dabei; der Gastwirt von Freschal sendet Ihnen Hilfe. Haben Sie bis dahin noch ein besonderes Bedürfnis, guter Freund?«
»Ach ja«, antwortet der Mann, »nach einem tüchtigen Schluck Gin, wenn in Ihren Korbflaschen davon noch etwas übrig ist.«
Pinchinats Flasche ist noch ganz voll, und Seine Hoheit bringt willig das kleine Opfer.
»Nun, Männchen«, sagt er lächelnd, »damit werden Sie die Nacht über wenigstens innerlich nicht frieren!«
Eine letzte dringliche Mahnung des Violoncellisten bestimmt seine Gefährten endlich, sich in Bewegung zu setzen. Es ist ein Glück, dass deren sonstiges Gepäck im Güterwagen des Zugs geblieben ist, statt dass sie es mit auf die Kutsche verladen hätten. Trifft dasselbe in San Diego auch mit einiger Verspätung ein, so bleibt unseren Musikern doch die Beschwerde erspart, es jetzt nach dem Dorfe Freschal zu befördern. Es ist schon genug an den Violinenkästen, und an dem Violoncellkasten mehr als genug. Ein seines Namens würdiger Instrumentalist trennt sich freilich niemals von seinem Instrumente – so wenig, wie ein Soldat von seinen Waffen oder eine Schnecke von ihrem Hause.
1 Im Original »mi sur le do«, ein deutsch nicht wiederzugebendes Wortspiel, da mi und do die Noten C und E bedeuten, ohne Rücksicht auf Rechtschreibung aber auch als »gelegt« und »Rücken« verstanden werden können. (Anm. d. Übersetzers.) <<<
2 Quetschung <<<
3 Französisch »Son Altesse«, hier als unübertragbares Wortspiel von »alto« (Bratsche) abgeleitet. (Anm. d. Übersetzers.) <<<
Zweites Kapitel – Die Wirkung einer kakophonischen Sonate
Im Finstern und zu Fuß auf unbekannter Straße hinzuziehen, obendrein inmitten einer fast öden Gegend, wo Übeltäter im Allgemeinen weniger selten sind als Reisende, hat immer etwas Beunruhigendes an sich. In dieser Lage befand sich nun unser Quartett. Franzosen sind ja am Ende mutig, und die hier sind es in besonderem Maße. Doch zwischen dem Mute und der Furchtsamkeit verläuft noch eine Scheidelinie, die von der gesunden Vernunft nicht übersehen werden darf. Wäre die Eisenbahn nicht durch eine von plötzlichem Hochwasser überflutete Gegend verlaufen und wäre die Kutsche fünf Meilen vor Freschal nicht umgestürzt, so hätte sich unsere kleine Künstlerschar nicht in die Zwangslage versetzt gesehen, des Nachts auf dieser verdächtigen Straße hinzuwandern. Hoffen wir indes, dass ihnen dabei kein Unheil zustößt.
Es ist etwa um acht Uhr, als Sébastien Zorn und seine Kameraden, den Weisungen des Wagenführers entsprechend, die Richtung nach der Küste zu einschlagen. Da die Violinen nur in leichten, wenig umfänglichen Lederetuis stecken, haben die Geiger keine besondere Ursache, sich zu beklagen. Sie tun das auch nicht, weder der weise Frascolin, noch der lustige Pinchinat oder der idealistisch angehauchte Yvernes. Der Violoncellist aber mit seinem umfänglichen Instrumentenkasten, der hat etwas wie einen Schrank auf dem Rücken. Bei seinem uns bekannten Charakter ist es nicht zu verwundern, dass er darüber weidlich wettert und schimpft. Daneben ächzt und stöhnt der Mann, was sich unter der onomatopoetischen Form von Ahs! Ohs! und Uffs! hörbar macht.
Schon herrscht eine tiefe Finsternis. Dicke Wolken jagen über das Himmelsgewölbe, die manchmal da und dort etwas zerreißen und dann eine spöttische Mondsichel kaum im ersten Viertel hindurchscheinen lassen. Man weiß nicht, warum – wenn nicht deswegen, weil er einmal in bissiger, reizbarer Stimmung ist – die blonde Phöbe nicht das Glück hat, unserem Sébastien Zorn zu gefallen. Er streckt ihr aber die geballte Faust entgegen und ruft:
»Na, was hast denn du mit deinem einfältigen Gesichte vor?… Nein, wirklich, ich kenne nichts Alberneres, als diese Schnitte einer unreifen Melone, die da oben hinspaziert!«
»Es wäre freilich besser, wenn der Mond uns das volle Gesicht zukehrte«, meinte Frascolin.
»Und warum das?« fragte Pinchinat.
»Weil wir da besser sehen könnten.«
»O, du keusche Diana, du friedliche Nachtwandlerin, du bleicher Satellit der Erde, o du angebetetes Ideal des anbetungswürdigen Endymion1 …«
»Bist du fertig mit deiner Verhimmelung?« ruft der Violoncellist. »Wenn diese ersten Geigen erst anfangen, weit auf der Quinte herunterzurutschen …«
»Etwas schneller vorwärts«, fiel Frascolin ein, »sonst haben wir das Vergnügen, noch unter freiem Himmel zu übernachten …«
»Wenn freier Himmel wäre … und dazu noch unser Konzert in San Diego zu versäumen!« bemerkt Pinchinat.
»Wahrhaftig, ein hübscher Gedanke!« ruft Sébastien Zorn, der seinen Kasten schüttelt, dass er einen kläglichen Ton von sich gibt.
»Doch dieser Gedanke, mein alter Kamerad«, sagt Pinchinat, »rührt ursprünglich von dir her …«
»Von mir …?«
»Gewiss! Warum sind wir nicht in San Franzisko geblieben, wo wir Gelegenheit hatten, eine ganze Sammlung kalifornischer Ohren zu ergötzen!«
»Nun«, fragt der Violoncellist, »warum sind wir dann fortgegangen?«
»Weil du es so wolltest.«
»Dann muss ich gestehen, eine beklagenswerte Eingebung gehabt zu haben, und wenn …«
»Ah, seht einmal da!« fällt Yvernes ein, der mit der Hand nach einem bestimmten Punkte des Himmels weist, wo ein dünner Mondstrahl die Ränder einer Wolke mit weißlicher Einfassung säumt.
»Was gibt es denn, Yvernes?«
»Zeigt jene Wolke nicht ganz die Gestalt eines Drachens mit ausgebreiteten Flügeln und einem Pfauenschwanze mit hundert Argusaugen darauf?«
Jedenfalls