»Verehrter Herr«, glaubt Frascolin hier einflechten zu müssen, »wir fühlen uns aufs höchste geschmeichelt. Doch … die gastliche Aufnahme … wo könnten wir die durch Ihre Güte finden?«
»Zwei Meilen von hier.«
»In einem anderen Dorfe?«
»Nein … Nein, in einer Stadt.«
»Einer bedeutenderen Stadt?…«
»Gewiss.«
»Erlauben Sie, man hat uns gesagt, dass hier und vor San Diego keine Stadt liege …«
»Ein Irrtum … wirklich ein Irrtum, den ich nicht zu erklären vermag.«
»Ein Irrtum?…« wiederholt Frascolin.
»Ja, meine Herren, und wenn Sie mir nur folgen wollen, verspreche ich Ihnen einen Empfang, wie er sich für solch hervorragende Künstler gebührt.«
»Ich denke, das erschiene annehmbar«, ließ sich Yvernes vernehmen.
»Ganz meine Ansicht«, bestätigt Pinchinat.
»Halt, halt … noch einen Augenblick«, ruft Pinchinat; »niemals schneller als der Leiter des Orchesters.«
»Das bedeutet?«… fragt der Amerikaner.
»Dass wir in San Diego erwartet werden«, antwortet Frascolin.
»In San Diego«, fügt der Violoncellist hinzu, »wo die Stadt uns zu einer Reihe von musikalischen Matinées engagiert hat, deren erste bereits übermorgen Sonntag stattfinden soll.«
»Ah so!« versetzt der Fremde mit dem Ausdruck der Enttäuschung.
Gleich darauf ergreift er jedoch wieder das Wort:
»Nun, das tut nichts, meine Herren«, setzt er hinzu. »Binnen eines Tages werden Sie Zeit genug haben, eine Stadt zu sehen, die des Besuches wert ist, und ich verpflichte mich, Sie bis zur nächsten Station zurückzubefördern, sodass Sie am Sonntag in San Diego sein können.«
In der Tat, das Anerbieten ist ebenso verführerisch, wie unter den gegebenen Umständen willkommen. Das Quartett kann sicher sein, in einem guten Hotel ein treffliches Zimmer zu finden, ohne von den weiteren Vorteilen zu reden, die sie von und durch diesen zuvorkommenden Herrn erwarten dürfen.
»Nehmen Sie meinen Vorschlag an, meine Herren?«
»Mit Vergnügen«, versichert jetzt Sébastien Zorn, den der Hunger und die Ermüdung bestimmen, eine derartige Einladung nicht abzuweisen.
»Also abgemacht!« erwidert der Amerikaner. »Wir brechen sofort auf, sind binnen zwanzig Minuten am Ziele, und ich weiß, dass Sie mir dafür Dank wissen werden.«
Selbstverständlich hatten sich nach den Hurras, die der exekutierten Katzenmusik folgten, die Fenster der Häuser sogleich wieder geschlossen. Die Lichter erloschen und Freschal verfiel aufs neue in tiefen Schlaf.
Von dem Amerikaner geführt, begeben sich die Musiker nach dem Kremser, bringen darauf ihre Instrumente unter und nehmen im hinteren Teile des Gefährtes Platz, während sich ihr freundliche Führer ganz vornhin neben den Mechaniker setzt. Dann wird ein Hebel umgelegt, die elektrischen Akkumulatoren treten in Wirkung, der Wagen rückt von der Stelle und kommt sehr bald in rasche Bewegung nach Westen hinaus.
Nach einer Viertelstunde leuchtet ein ausgebreiteter weißlicher Schein auf, ein die Augen blendendes Durcheinander von leuchtenden Strahlen. Da liegt also eine Stadt, von deren Vorhandensein unsere Pariser gar keine Ahnung hatten.
Der Kremser hält an und Frascolin sagt:
»Aha, da wären wir ja an der Küste.«
»An der Küste … nein«, entgegnet der Amerikaner. »Das ist ein Strom, den wir zu überschreiten haben.«
»Doch auf welche Weise?« fragt Pinchinat.
»Mittels der Fähre hier, die gleich unseren Wagen aufnimmt.«
In der Tat liegt vor ihnen eines der in den Vereinigten Staaten so häufigen Ferry-boats, auf das der Wagen samt Insassen hinüberrollt. Ohne Zweifel wird dieses Ferry-boat durch Elektrizität angetrieben, denn es stößt keinen Dampf aus, und schon zwei Minuten später legt es nach Überschreitung des Wassers an der Kaimauer eines Bassins im Hintergrunde eines Hafens an.
Der Kremser rollt nun durch über Land führende Alleen weiter und dringt in eine Parkanlage ein, über die hoch oben angebrachte elektrische Lampen helles Licht ausgießen.
Am Gitter dieses Parks öffnet sich ein Tor, der Zugang zu einer breiten und langen, mit tönenden Platten belegten Straße. Fünf Minuten später steigen unsere Künstler am Vorbau eines eleganten Hotels aus, wo sie auf ein Wort des Amerikaners hin mit vielversprechender Zuvorkommenheit empfangen werden. Man geleitet sie sofort nach einer luxuriös ausgestatteten Tafel, und sie nehmen – wie sich wohl voraussetzen lässt, mit bestem Appetit – ein reichliches Abendessen ein.
Nach Beendigung desselben führt sie der Oberkellner nach einem sehr geräumigen Zimmer mit mehreren Glühlampen, die durch niederzulassende Schirme in mild leuchtende Nachtlampen verwandelt werden können. Die Erklärung aller dieser Wunder von dem kommenden Morgen erwartend, schlummern sie endlich in den die vier Zimmerecken einnehmenden bequemen Betten ein und schnarchen mit der außergewöhnlichen Übereinstimmung, der das Konzert-Quartett seinen künstlerischen Ruhm verdankt.
1 Figur in der griechischen Mythologie, der schöne und ewig jugendliche Liebhaber der Mondgöttin Selene <<<
2 Gestalt aus Schillers „Räubern“ <<<
3 Sohlengänger, Landwirbeltiere, die bei der Fortbewegung die gesamte Fußsohle aufsetzen, Bsp: Bären oder Menschenaffen <<<
4 Das Motto des Dartmouth College ist „Vox Clamantis in Deserto" („Eine Stimme ruft in der Wüste") Sinngemäß: Ein (einsamer) Rufer in der Wüste. <<<
Drittes Kapitel – Ein redseliger Cicerone
Am frühen Morgen, gegen sieben Uhr, erschallen nach täuschender Nachahmung