In zweiter Ehe. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718957
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»Besuche nicht zugelassen.«

      Sie wußen, hinter dieser Tür lag Birgit, immer noch bewußtlos, zwischen Leben und Tod. Es war kaum zehn Minuten her, seit Professor Rehbein, der Leiter der Klinik, hineingegangen war, und doch schien es den Wartenden wie eine Ewigkeit. Sie wußten, wenn der Professor herauskam, würden sie erfahren, wie es um Birgit stand. Es blieb ihnen nichts zu tun als warten.

      Als sich die Tür endlich öffnete, bemerkte es Rechtsanwalt Kreuger zuerst. Er sprang auf.

      Professor Rehbein drückte den Eltern wortlos die Hand. Dann sah er den Mann im Mantel, der jetzt herantrat und sich zögernd vorstellte: »Ich bin Marius Ellmann… Fräulein Kreugers Verlobter.«

      Helen Ellmann hatte eine qualvolle Nacht verbracht. Traum, Angst und Erinnerung hatten sich wie ein schwerer Alpdruck auf ihr Herz gelegt. Sie fand weder Entspannung, noch Vergessen. Immer wieder sah sie das blasse, verstörte Gesicht ihrer Tochter vor sich, hörte sie mit bitterer Stimme sagen: »Vati wird wieder heiraten! Aber für dich dürfte das keine Sensation sein.«

      Marius, ihr Mann, wollte wieder heiraten – nein, das konnte nicht wahr sein. Es war unmöglich, daß er ihre Liebe, all die Jahre, die sie miteinander gelebt hatten, einfach beiseite schob und sich einer anderen zuwandte. Nein, es war nicht möglich. Marina hatte sie nur erschrecken, hatte sich rächen wollen. Es konnte nicht sein.

      Helen klammerte sich an diese Hoffnung, obwohl sie im innersten Herzen wußte, daß Marina die Wahrheit gesagt hatte.

      Sie sah wieder jene Szene vor sich, jene unvergeßliche Szene, die ihr Schicksal bestimmt hatte, als Marius ihr nach einem heftigen Streit mit kalter, fast unpersönlicher Stimme vorgeschlagen hatte: »Wenn du so unglücklich mit mir bist, Helen – wäre es nicht das beste, wir würden uns scheiden lassen?«

      Ihr Herz hatte sich vor ungläubigem Entsetzen verkrampft, aber mit unnatürlicher Ruhe hatte sie geantwortet:

      »Wenn du es wünschst, Marius!«

      Sie hatte so fest gehofft, daß er es nicht ernst gemeint hätte, daß er sich besinnen würde. Bis zu dem Tag, als die Scheidung ausgesprochen wurde, hatte sie die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben. Sie war zum Rechtsanwalt gegangen, sie hatte alle Formalitäten erledigt, sie hatte alles, was er wollte, getan, in dem fast heiteren Bewußtsein, daß er sich im letzten Augenblick besinnen würde. Sie war überzeugt gewesen, daß er sie bitten würde, die Klage zurückzuziehen. Aber er hatte es nicht getan. Er hatte sie allein gelassen. Erst als das Urteil ausgesprochen war, hatte sie begriffen, daß dies keine Komödie, sondern bitterer Ernst war.

      Dennoch hatte sie weiter gehofft. In all den Jahren hatte er nie eine andere Frau angesehen, nur sie geliebt, und sie war sicher, daß er sie auch jetzt noch liebte. Niemand konnte von einem Tag auf den anderen seine Liebe ersticken. Das starke Gefühl, das sie beide verbunden hatte, konnte nicht einfach ausgelöscht sein. Marius liebte sie, er war ihr Mann, der Vater ihrer Kinder, er würde eines Tages wieder zu ihr zurückkehren, dessen war sie sich ganz sicher gewesen. Sie hatte ihn gehen lassen, damit er erkennen sollte, wie sehr er zu ihr gehörte, wie sehr er sie brauchte.

      Aber ihre Rechnung war nicht aufgegangen. Helen Ellmann wußte über diese andere nichts, sie war in ihrer Vorstellung ein Wesen ohne Fleisch und Blut, aber die Tatsache, daß Marius sie heiraten wollte, genügte, um sie zu hassen. War die andere jünger als sie? Schöner? Liebenswerter?

      Helen hielt es nicht mehr aus. Sie stand auf, schaltete das große Licht an, trat vor den Spiegel. Sie betrachtete prüfend ihr Gesicht. Sie sah blaß und übernächtigt aus, tiefe Schatten lagen unter ihren großen dunklen Augen, ihr Gesicht wirkte ohne Make-up breitflächiger, der blasse Mund noch voller. Die ersten feinen Fältchen hatten sich zwischen Nase und Mund, um die Augenpartie und auf der Stirn eingegraben.

      Helen Ellmann war achtunddreißig Jahre alt, und man sah es ihr an. Aber sie war schön, immer noch schön. Ihre Figur war fest und kräftig, die Haut war weich und glatt wie Seide.

      Helen wußte, daß sie schön war. Jeden Tag wieder bestätigten es ihr die Blicke der Männer. Sie war eine schöne Frau, und sie traute es sich jederzeit zu, mit jungen Mädchen zu konkurrieren.

      Es gab Männer, die glücklich waren, wenn sie ihnen ein Lächeln, ein freundliches Wort schenkte, Männer, die stolz darauf waren, in ihrer Begleitung gesehen zu werden. Hansgeorg Müller sagte es ihr immer wieder, wenn sie miteinander ausgingen.

      Warum hatte Marius sich von ihr abgewandt? Marius, der einzige Mann, den sie liebte? Was hatte die andere ihr voraus? Womit hatte sie ihn behext?

      Hastig schlüpfte sie in ihren eleganten hellblauen Morgenrock, in ihre silbernen Pantoffeln, lief über den Flur zu Marinas Zimmer. Sie lauschte an der Tür, hoffte, ein Geräusch von drinnen zu hören, das ihr anzeigte, daß Marina wach war. Aber nichts rührte sich.

      Helen zögerte einen Augenblick. War es richtig, das Kind schon zu wecken? Es war so verstört gewesen. Sicher schlief Marina tief und erschöpft. Vorsichtig drückte Helen die Türklinke nieder. Das Zimmer war immer noch verschlossen.

      Durch das Dielenfenster fiel das graue Licht des frühen Morgens. Es mußte gegen sieben Uhr sein.

      Wieder preßte Helen ihr Ohr gegen die Tür, lauschte mit angehaltenem Atem. Drinnen blieb es totenstill.

      Plötzlich durchzuckte sie ein entsetzlicher Gedanke: Wenn Marina nun nicht schlief?! Wenn sie sich etwas angetan hatte!? Wenn…

      Sie klopfte gegen die Tür, rüttelte an der Klinke. »Marina!« rief sie. »Mach auf!«

      Von drinnen kein Geräusch und keine Bewegung.

      Panik ergriff Helen. »Marina«, rief sie, »hörst du mich denn nicht?! Du bist wach, ich weiß es! Sag ein Wort! Bitte!«

      Alles blieb still wie zuvor.

      Helens Herz hämmerte. Sie schlug mit beiden Fäusten gegen die Tür und schrie: »Marina! Marina! Ich bitte dich, sag ein Wort… Mach die Tür auf! Bitte! Bitte!«

      Auch jetzt kam kein Laut.

      »Marina, wenn du nicht sofort öffnest, breche ich die Tür auf!«

      Endlich hörte sie das Knarren des Bettes, Schritte näherten sich, der Schlüssel wurde gedreht – Helen Ellmann riß die Tür auf.

      Marina stand vor ihr, sehr bleich, die schönen Augen rotgerändert, das Haar zerzaust. Sie trug immer noch das Pepitakostüm, mit dem sie gestern abend gekommen war, es war zerknautscht. Offensichtlich hatte sie sich mit ihren Kleidern aufs Bett geworfen.

      »Marina«, sagte Helen Ellmann, »was ist mit dir? Warum hast du mich so erschreckt? Weshalb siehst du mich so an? Ich muß mit dir sprechen, Marina… bitte erkläre mir doch…«

      »Ich will nicht!« sagte Marina wild. »Ich will nicht. Du bist an allem schuld! Du allein! Ich hasse dich. Oh, wie ich dich hasse.«

      III

      Der stürmischen Nacht war ein klarer, kalter Wintertag gefolgt. Die Straßen Hamburgs waren voller Leben. Kinder eilten zur Schule, junge Mädchen schritten hastig auf hochhackigen Schuhen daher, um noch rechtzeitig ins Büro zu kommen. Männer liefen, um die Straßenbahn zu erwischen. Rasselnd zogen Frauen und Männer die Jalousien der Läden hoch, Autos hupten, Straßenbahnen klingelten, und von der Elbe her tönte das Tuten der Dampfer.

      Auf Rechtsanwalt Kreuger, seine Frau und Marius Ellmann wirkten Lärm, Leben und Licht so überraschend und verwirrend, daß sie unwillkürlich ihren Schritt verhielten, als sie den Vorhof der Klinik verließen. Sie hatten in den Stunden, die sie in der Stille des Krankenhauses verbrachten, völlig vergessen, daß draußen das Leben weiterging.

      Der Rechtsanwalt war der erste, der sich in Bewegung setzte, seine Frau war mit wenigen Schritten an seiner Seite.

      Marius Ellmann folgte ihnen. Er tat es gedankenlos und ohne Absicht, aus dem einzigen Grund, weil er selber kein Ziel hatte und keine Zuflucht wußte. Seine Beine waren während der langen Nacht steif und gefühllos geworden, mechanisch setzte er einen