In zweiter Ehe. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718957
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erwartete, daß Marina etwas sagen würde, aber sie schwieg. Marius wiederholte seine Frage: »Marina, sage mir jetzt bitte, warum du aus dem Internat weggelaufen bist! Wir haben über alles gesprochen – was ist denn eigentlich los?«

      »Ich…«, kam es sehr leise. »Es ist nur deinetwegen und… wegen dieser Frau. Wie kannst du… Vati, hast du uns denn gar nicht mehr lieb?«

      »Natürlich hab ich dich lieb, Marina… wie immer. Daran wird sich auch nie etwas ändern. Das habe ich dir doch gestern alles erklärt.«

      »Aber wenn ich es nicht verstehe, Vati, ich begreife es einfach nicht. Wie kannst du…«

      »Marina, ich kann jetzt nicht mit dir streiten, ich kann es wirklich nicht, ich habe dir alles gesagt, was zu sagen war. Du bist doch ein vernünftiges Mädchen. Nimm dich zusammen, Marina. Mutti bringt dich jetzt auf die Bahn, und du fährst…« Er stockte mitten im Satz, denn es hatte in der Leitung geknackt, als wenn der Hörer am anderen Ende der Leitung aufgehängt worden wäre. »Hallo!« rief er, aber Marina hatte das Gespräch, das ihn fast übermenschliche Anstrengung gekostet hatte, beendet.

      Er war schweißgebadet und völlig erschöpft. Seine Hand zitterte, als er den Hörer auflegte.

      Mit unsicheren Schritten ging er zu seinem Sessel zurück, sah Rechtsanwalt Kreuger und seine Frau an. Aber sie wichen seinem Blick aus.

      »Verzeihen Sie«, sagte er, »aber es war nicht meine Schuld…«

      Rechtsanwalt Kreuger hob den Kopf und sah ihn an, fast haßerfüllt. »Nicht?« fragte er schneidend.

      »Sind Sie dessen ganz sicher?«

      »Friedrich, bitte!« Frau Kreuger legte ihre Hand auf den Arm ihres Mannes. Er dämpfte seine Stimme. »Du hast recht, Sabine, dies ist nicht der rechte Moment, anzuklagen.« Er wandte sich Marius Ellmann zu. »Aber ich wünschte… weiß Gott, ich wünschte, Birgit hätte Sie niemals kennengelernt.«

      Marius Ellmann ballte die Hände, daß seine Knöchel weiß hervortraten. Aber er schwieg.

      »Niemand von uns ist ohne Schuld«, sagte Frau Kreuger leise. »Niemand.«

      Marina hatte sich über die Couch geworfen, das Gesicht in die Arme vergraben. Sie weinte hemmungslos, gab sich ganz ihrem Schmerz hin, keinem Trostwort, keiner Beruhigung zugänglich.

      Helen Ellmann stand daneben, mit hängenden Armen. Sie wagte nicht, Marina zu streicheln, suchte wieder und wieder tastend nach einem Wort, das den Schmerz ihrer Tochter lindern konnte. Marina reagierte nicht. Ihr Schluchzen ebbte nicht ab.

      Helen ertrug es nicht länger. Es war zuviel, was auf sie eingestürzt war. Sie verlor die Nerven, schüttelte Marina bei den Schultern und rief verzweifelt: »Marina! Schämst du dich denn nicht?! Weißt du nicht, was es für mich bedeutet, wenn dein Vater wieder heiratet?«

      Marina hob ihr tränennasses Gesicht und starrte ihre Mutter feindselig an. »Für dich? Dir kann es ja nur recht sein. Du hast ihn nie geliebt! Immer hast du mit ihm herumgestritten. Immer warst du mit ihm unzufrieden. Du bist es, die ihn aus dem Haus getrieben hat!«

      »Das ist nicht wahr!«

      Marina erhob sich mit einem Ruck, setzte die schlanken Beine auf den Teppich, strich sich das zerzauste Haar aus der Stirn. »Du kannst die Wahrheit nicht vertragen. Du bildest dir ein, bloß weil du gut aussiehst, müßte sich alles nach dir richten. Du hast ja jetzt, was du willst. Du hast dir diesen Bankier geangelt, er wird dir alles bieten, was du bei Vati vermissen mußtest.«

      »Marina! Was fällt dir ein, so mit mir zu reden? Ich bin deine Mutter!«

      »Leider.«

      Helen Ellmann biß sich auf die Lippen. »Bitte, Marina«, sie zwang sich zur Ruhe, »bitte, laß uns vernünftig miteinander sprechen. Bin ich schuld, daß Vater wieder heiraten will?«

      »Ja, das bist du«, sagte Marina hart, »du hast ihn dahin getrieben.«

      »Du bist ungerecht, Marina. Ich habe deinen Vater immer geliebt.«

      »Davon hat man aber nicht viel gemerkt.«

      »Warum, glaubst du, habe ich ihn geheiratet? Ich will es dir sagen: weil ich ihn geliebt habe!«

      »Dann hast du dich wohl auch aus Liebe scheiden lassen, wie?«

      »Weil dein Vater es wünschte, Marina, aus keinem anderen Grund!«

      »Und warum hat er es gewünscht? Weil du ihm das Leben zur Hölle gemacht hast! Wenn es nach dir gegangen wäre, hätte Vater sich totarbeiten sollen, immer hattest du es mit seiner Karriere. Immer mehr Luxus wolltest du! Direktor hätte er werden können, aber er hat es ja abgelehnt! Warum? Weil ihm die Herren unsympathisch waren, weil er ihre Geschäftsprinzipien für bedenklich hielt. Ich will dir sagen, warum… wegen deines dummen, törichten Stolzes! An uns hat er ja sowieso nie gedacht.«

      »Du bist noch sehr jung, Marina.«

      »Auf einmal. Immer, wie es dir gerade paßt! Ich bin alt genug, um zu sehen, daß du alles falsch gemacht hast. Du bist schuld, daß wir Vater verloren haben!«

      »Und wenn es so wäre? Bin ich nicht gestraft genug?«

      »Du hast doch deinen Bankier und…«

      »Ich will ihn nicht. Wie oft soll ich dir das noch erklären?! Ich liebe deinen Vater, und ich habe auf ihn gewartet… auch nach der Scheidung. Ich habe niemals daran gedacht, daß er eine andere heiraten könnte. Begreifst du denn wirklich nicht, was das für mich bedeutet?«

      »Wenn du ihn wirklich so sehr liebst, warum hast du ihm das nicht gesagt? Warum hast du ihn nicht gebeten…«

      »Warum hast du ihn nicht gebeten? Warum hast du ihm nicht gesagt, daß wir ihn lieben und daß wir ihn nicht verlieren wollen? Er hat ja dir die Eröffnung gemacht, daß er wieder heiraten will, und er war ja vorhin am Telefon ganz überrascht, daß du mit seiner Heirat nicht einverstanden bist. Wahrscheinlich hast du dagesessen und den Mund nicht aufgemacht!«

      »Was hätte ich denn tun sollen?«

      »Ihm die Wahrheit sagen, daß du es nicht erträgst!«

      »Ich konnte es nicht, Mami, ich war wie vor den Kopf geschlagen. Und außerdem… Florian war dabei. Er hat genug unter alldem gelitten. Sollte ich ihm die Sache noch schwerer machen?«

      »Ich glaube nicht, daß es Florian so viel ausmacht.«

      »Das kommt dir nur so vor. In Wirklichkeit… er hat schrecklich unter eurer ewigen Streiterei gelitten, aber das Internat ist einfach die Hölle für ihn. Darüber hast du dir nie Gedanken gemacht… du nicht und Vati nicht. Ihr schimpft, weil er schlechte Noten bekommt, aber woran es liegt, das fragt ihr euch nicht.«

      »Willst du uns etwa auch noch dafür verantwortlich machen?«

      »Ihr seid an allem schuld! Ihr mit eurem Egoismus und euren ewigen Streitereien. Wenn ihr nur einen Augenblick an uns gedacht hättet, hättet ihr euch nie scheiden lassen… nie.«

      Helen Ellmann schwieg. »Es tut mir leid, Marina«, sagte sie dann. »Glaub mir, bitte: Ich liebe euren Vater. Ich habe ihn immer geliebt. Aber was können wir jetzt noch tun?«

      Marina sprang auf. »Ich weiß, was ich tun werde, Mami. Bitte, versuch nicht, es mir auszureden, ich werde nach Hamburg fahren. Ich werde Vater sagen… nein, viel besser, ich werde mit ihr reden… mit dieser Birgit.«

      »Aber was, um Himmels willen, willst du ihr sagen?«

      »Ganz einfach. Daß sie uns ihn nicht nehmen darf. Daß wir ihn lieben, und vor allen Dingen, daß wir ihn brauchen, daß er unser Vater ist und daß er zu uns gehört. Ich werde ihr sagen, daß er dich immer noch liebt und nie aufhören wird, dich zu lieben. Ich werde sie zwingen, ihn freizugeben.«

      Birgit Kreuger erwachte aus tiefer Bewußtlosigkeit. Sie war unendlich weit fort gewesen, in jener Welt, an die es keine Erinnerung gibt. Sie fand nur sehr mühsam wieder zurück.