Lost Island. Annika Kastner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Annika Kastner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947115204
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mei­nen Körper. Al­so rap­ple ich mich stöh­nend auf, be­freie mich aus dem Ge­strüpp, ren­ne dann – so schnell ich kann – in den Schutz der Bäu­me. Ich ig­no­rie­re mei­nen po­chen­den Körper, die schmer­zen­den Bei­ne und mei­ne Lun­ge, die höl­lisch brennt. Mein Le­ben wird nie wie­der das glei­che sein. Trä­nen ver­ne­beln mir die Sicht, als ich in die Tie­fen des Blät­ter­werks ein­tau­che und es mich vor Bli­cken ver­birgt.

      Er hat sie er­schos­sen. Sie bei­de. Er wird mich tö­ten, wenn er mich in die Hän­de be­kommt. Er darf mich nicht fin­den, nie­mand darf das, denn kei­ner wird mir glau­ben – ich kann ja selbst kaum be­grei­fen, dass das wirk­lich pas­siert ist. Oh mein Gott. Er soll­te ihn be­schüt­zen. Be­schüt­zen! Er ist Po­li­zist und da­für da, Men­schen vor den Bö­sen zu be­wah­ren. Nun sind sie alle tot, ich wer­de die Näch­ste auf sei­ner Lis­te sein.

      Kapitel 2 - Hazel

      Mü­de schen­ke ich mir ein Glas Weiß­wein ein, tre­te da­mit hin­aus in den Gar­ten, der vom Licht der un­ter­ge­hen­den Son­ne in sanf­tes Rot ge­taucht wor­den ist. Wind spielt mit mei­nen Haaren und ich schaue mich um. Mein Gar­ten, mei­ner. Das Ge­fühl, dass die­ses Fleck­chen mir ge­hört, ist un­be­schreib­lich. Ich las­se mir das Wort auf der Zun­ge zer­ge­hen. Meins! Et­was, das mir ge­hört, nach so lan­ger Zeit – das ge­fällt mir. Es klingt so nor­mal, wo­bei nor­mal et­was ist, was mir seit ei­nem Jahr fremd er­scheint. Al­so ge­nie­ße ich den Augen­blick, blei­be ste­hen, mus­te­re alles ge­nau. Ich schaue, ob ir­gend­was, was zu mei­ner nor­ma­len Rou­ti­ne ge­hört, un­ge­wöhn­lich ist. Ich bin immer auf der Hut. Mir fällt nichts auf. Alles ist ge­nau­so, wie es sein muss, doch das Ge­fühl der Furcht ist all­ge­gen­wär­tig. Wie ei­ne zwei­te Haut ist es ein Teil von mir ge­wor­den, wel­che sich nicht ab­strei­fen lässt, was auch gut ist, denn es macht mich vor­sich­ti­ger. Miss­trauen und Acht­sam­keit be­stim­men mein Le­ben, mein Fort­dau­ern, um ge­nau zu sein. Im Über­le­ben bin ich mitt­ler­wei­le ei­ne Meis­te­rin. Alles ist ru­hig, dem­nach at­me ich er­leich­tert ein, las­se mich auf ei­nem der Holz­stüh­le nie­der, die ich im On­li­ne­han­del un­ter ei­nem fal­schen Na­men be­stellt ha­be, denn mein al­tes Ich ist an je­nem Tag mit Dr. Con­ner ge­stor­ben. Mei­ne Bei­ne le­ge ich auf dem Stuhl ab, der mir ge­gen­über­steht, wo­rauf­hin ein zu­frie­de­nes Seuf­zen mei­nem Mund ent­fährt. Meins! Wann ha­be ich mir zu­letzt sol­chen Luxus ge­gönnt, et­was wirk­lich meins zu nen­nen oder an ei­ne rich­ti­ge Zu­kunft zu den­ken? Ein wag­hal­si­ger Ge­dan­ke.

      Ein Jahr auf der Flucht hat vieles ver­än­dert, aus mir ei­ne an­de­re Per­son ge­macht. Kaum sit­ze ich tie­fen­ent­spannt da, legt Storm ih­ren gro­ßen Kopf auf mei­nen Schoß. Mei­ne Mund­win­kel he­ben sich zu ei­nem Lä­cheln. Sach­te strei­che ich mei­nem Hund über das wei­che Fell, ge­nie­ße die Nä­he, je­nes Wis­sens, dass ich trotz al­lem nicht allei­ne bin. Nicht mehr. Seit ich sie vor elf Mo­na­ten in mein Le­ben ge­las­sen ha­be, gibt Storm mir ein Ge­fühl der Si­cher­heit. Sie ist ei­ne Kämp­fe­rin und ge­nau wie ich ei­ne Über­le­ben­de. Ex­akt ei­nen Monat, nach­dem ich mein al­tes Le­ben hin­ter mir las­sen hab müs­sen, ha­ben wir uns ge­trof­fen.

      Ich pres­se die Lip­pen zu­sam­men. Un­gern den­ke ich da­rüber nach, was ich ver­lo­ren ha­be. Noch viel we­ni­ger an die­sen spe­ziel­len Tag, der Aus­lö­ser für all das ge­we­sen ist. Die furcht­bar­sten Stun­den mei­nes Da­seins. Der Tag, an dem ich mei­ne Freun­de, mei­ne Exis­tenz und mein Le­ben ver­lo­ren ha­be, nur weil ich zur fal­schen Zeit am fal­schen Ort ge­we­sen bin. Was ich hin­ge­gen seit zwölf Mo­na­ten nicht ver­lo­ren ha­be, ist die Angst. Sie sitzt wie ein Schat­ten in mei­nem Na­cken, ver­höhnt und er­mahnt mich zu glei­chen Tei­len. Aber ist es nicht bes­ser, in Angst zu le­ben, als tot zu sein wie Dr. Con­nor? Manch­mal weiß ich die Ant­wort nicht. Je nach­dem, wie der Tag ge­we­sen ist, oder in wel­chem schä­bi­gen Mo­tel ich ge­ra­de auf­ge­wacht bin. Es hat Ta­ge in die­sem Jahr ge­ge­ben, an de­nen ist es de­fi­ni­tiv ver­lo­cken­der ge­we­sen, tot zu sein. Ich bin nie der ängst­li­che Typ ge­we­sen – und jetzt? Der klein­ste Schat­ten jagt mir schre­ckli­che Furcht ein, ich has­se es. Hil­flos … So ken­ne ich mich nicht. Im Ge­gen­teil. Ich bin immer stolz da­rauf ge­we­sen, so eigen­stän­dig zu sein. Ich ha­be alles im Griff ge­habt, bin da­bei ge­we­sen, er­folg­reich durch­zu­star­ten. Wür­den mei­ne Freun­de mich über­haupt wie­der­er­ken­nen? Ich, die einst für je­den Spaß zu ha­ben ge­we­sen ist, ver­steckt sich nun am liebs­ten in ih­rem Haus. Türen und Fens­ter fest ver­schlos­sen. Es wi­ders­trebt mir ja selbst, aber was soll ich tun, wenn die Furcht grö­ßer ist? Ich weiß, dass ich mich in ei­nem Trauma be­fin­de, doch der Schul­di­ge ist auf frei­em Fuß und ich bin nicht be­reit, zu ster­ben. Ich kann kaum zu ei­nem Arzt ge­hen, oh­ne zu viel preis­zu­ge­ben. Wie soll ich das al­so ver­ar­bei­ten? Nein, er wür­de mich fin­den, denn ich weiß nicht, wer noch alles auf der Ge­halts­lis­te die­ser Or­ga­ni­sa­tion steht. Frü­her bin ich auf die Men­schen zu­ge­gan­gen, mit ei­nem brei­ten Lä­cheln im Ge­sicht. Ich bin ge­sel­lig ge­we­sen, kom­mu­ni­ka­tiv, und ha­be Spaß am Le­ben ge­habt, es ge­nos­sen. Heu­te neh­me ich die Bei­ne in die Hand, wenn mir je­mand zu na­he­kommt. Allein, aber si­cher, denn ich kann nie­man­den trauen. Wo­her soll ich letzt­lich wis­sen, wer zu ih­nen ge­hört und dass man mich nicht hin­ter­rücks ver­rät? Ich ha­be mei­ne Kon­ten über Nacht on­li­ne auf­ge­löst, alles, was ins Auto ge­passt hat, mit­ge­nom­men und dann bin ich in­ner­halb kür­zes­ter Zeit ver­schwun­den. Jeg­li­chen Kram, der mir in die Fin­ger ge­kom­men ist, ha­be ich zu Geld ge­macht, um mich über Was­ser zu hal­ten. Das Gu­te an mei­nem vor­he­ri­gen Lebens­stil ist ge­we­sen, dass ich durch das Stu­di­um sehr spar­sam ge­we­sen bin. Da kommt ei­ni­ges zu­sam­men, auch das Er­be mei­ner Eltern. Mit die­sem Geld bin ich vor dem, was ich ge­se­hen ha­be und vor dem Mann, der Dr. Con­nor und eben­so un­se­ren Pa­tien­ten kalt­blü­tig er­mor­det hat, ge­flo­hen. Nie­mand wird mir das je glau­ben. Wem soll ich ver­trauen, wenn so­gar die Poli­zei kor­rupt ist? Ich ha­be immer ge­dacht, so et­was pas­siert nur in Fil­men. Fil­me, die ich frü­her ger­ne ge­se­hen ha­be wohl­ge­merkt, weil ich es für pu­re Fik­tion und nicht für die Rea­li­tät ge­hal­ten ha­be. Jetzt, wo ich selbst mit­ten in ei­nem ste­cke, brau­che ich sol­che Fil­me nicht mehr. Mir ist auch be­wusst, dass nicht alle Poli­zis­ten so sind, aber wie soll ich die Gu­ten von den Bö­sen un­ter­schei­den? Sie ha­ben wohl kaum ein Zet­tel auf der Stirn kle­ben, der mir da­bei hel­fen wird. Ich weiß, dass sie nach mir su­chen. Es ist über­all in den Nach­rich­ten ge­we­sen, auf je­dem Sen­der und in je­der Zei­tung des Lan­des. Sie su­chen mich als wich­ti­ge Zeu­gin, er­hof­fen sich Details, was an je­nem Tag ge­sche­hen ist. Details, die nur ich ih­nen lie­fern kann, aber nicht wer­de. Sie wis­sen, dass ich et­was ge­se­hen ha­be. Wa­rum bin ich sonst ver­schwun­den? Es wird spe­ku­liert, ob ich zu der Gang ge­hö­re, ein Opfer oder be­reits tot bin, ver­gra­ben an ei­nem un­be­kann­ten Ort. Sol­len sie das ru­hig den­ken. Nur er weiß, dass ich es nicht bin, denn nie­mand außer ihm hat das In­te­res­se, mich tot zu se­hen – ich weiß schließ­lich, wer er ist. Ich ha­be ihn im Fern­se­hen er­kannt, heu­chelnd und schuld­be­wusst ge­stan­den, dass er kurz auf der Toi­let­te ge­we­sen ist. Lüg­ner. Sei­ne ver­steck­te Bot­schaft an mich, wie er laut und deut­lich zu der Pres­se ge­sagt hat: »Soll­te sie noch le­ben, wer­de ich sie fin­den.« Ich weiß, er war­tet nur da­rauf, dass ich ei­nen Feh­ler ma­che. Dann wird er vor mei­ner Tür ste­hen, um mich zu ho­len. Aber ich bin nicht dumm und ver­su­che, Feh­ler zu ver­mei­den. Bis zum heu­ti­gen Tag bin ich da­rin sehr er­folg­reich. Dass ich noch le­be, ist der be­ste Be­weis, oder? Schwach­stel­len