Mit einem lauten Dröhnen hob der Hubschrauber wieder von der Plattform ab und begann in die Höhe zu steigen.
Elizabeth war nun wütend. Sie hob ihre Waffe mit beiden Händen und leerte den Rest des Magazins in den Helikopter. Funken stoben an dem metallenen Rumpf auf. Einige der Hohlmantelgeschosse hatten den Motor getroffen. Der Schlitten ihrer leer geschossenen Pistole blieb zurückgezogen stecken. Der Hubschrauber gewann weiter an Höhe.
Dann hallte das plötzliche, schrille Kreischen von Metall durch die Nacht, als der Motor mitten in der Luft den Geist aufgab. Eine dicke, ölig-schwarze Rauchwolke stieg aus dem hinteren Teil des Hubschraubers auf. Das Fluggerät neigte sich etwas zur Seite und schwenkte auf sie zu. Durch das Cockpit konnte sie das schreckensverzerrte Gesicht des Piloten sehen, als die Maschine außer Kontrolle geriet. Elizabeth stürmte die Landeplattform hinunter und warf sich ins Gras. Der Hubschrauber fegte über sie hinweg und bohrte sich direkt in den Boden. Die drehenden Rotoren gruben sich ins Erdreich. Der Motor heulte laut auf und explodierte dann in einer orangefarbenen Stichflamme. Der Donner grollte wie ein Gewitter über das ländliche Virginia und verhallte schließlich.
Elizabeth hob ihren Kopf und sah zu dem brennenden Wrack. Dann blickte sie zu dem Mann zurück, den sie getötet hatte. Er lag auf dem Rücken. Sein Hemd war blutgetränkt und unter seinem Körper hatte sich bereits eine kleine Lache gebildet. Die Spitzen seiner braunen Halbschuhe ragten in den Himmel.
Elizabeth richtete sich auf. Ihre Hände zitterten.
Sie schob ein frisches Magazin in ihre Pistole, brachte den Schlitten in die Ausgangsposition zurück, sicherte die Waffe und steckte sie ins Holster zurück.
Der Absturz war sicher nicht unbemerkt geblieben. Sie konnte es sich nicht leisten, dass sich die örtliche Polizei, die Verkehrsbehörde und alle anderen an der Absturzstelle herumtreiben würden. Nicht, bevor sie herausgefunden hatte, wer diesen Hubschrauber geschickt hatte. Nicht, bevor sie mehr Informationen besaß. Sie würde ein paar Gefallen einfordern und die nationale Sicherheit einbeziehen müssen. Das würde unschön werden, aber auf diese Weise konnte sie die Sache lange genug unter Verschluss halten, um herauszufinden, was passiert war. Wenn sie Herr der Lage bleiben wollte, blieb ihr keine andere Wahl.
Sie zog ihr Handy hervor und rief Clarence Hood unter seiner privaten, abhörsicheren Nummer an. Hood war der Leiter der CIA und ein Verbündeter, auf den Elizabeth zählen konnte. Dafür gab es auch einen guten Grund. Wären Elizabeth und ihr Team nicht gewesen, säße Hood jetzt in einem Bundesgefängnis, anstatt im siebten Stockwerk in Langley.
»Clarence, hier ist Elizabeth. Ich brauche Ihre Hilfe.«
»Elizabeth. Haben Sie schon von dem Präsidenten gehört?«
»Ja. Wie ist sein Status?«
»Ungewiss. Er befindet sich gerade auf der Intensivstation des Walter-Reed-Krankenhauses.«
»Hier ist etwas passiert«, sagte Elizabeth. Sie erzählte ihm von dem Anruf und dem Hubschrauber. Während sie ihm davon berichtete, sah sie zu dem Wrack auf ihrem Rasen.
»Er brennt immer noch«, sagte sie. »Die Explosion wird jemandem aufgefallen sein. Die Polizei und alle anderen werden in wenigen Minuten hier sein. Sie müssen sie aufhalten.«
»Dieser Mann, der sich selbst als Agent des Secret Service ausgab, sagte, dass der Präsident ihn geschickt hätte?«
»Ja. Ich frage mich, ob es etwas mit dem zu tun hat, was Rice widerfahren ist.«
»Denken Sie an einen Mordversuch?«
Das Einzige, was Hoods zunehmende Anspannung erkennen ließ, war der leichte Südstaatenakzent, der sich wieder in seine Stimme schlich.
»Es scheint mir ein zu großer Zufall zu sein, und ich glaube nicht an Zufälle«, erklärte Elizabeth. »Ich denke, Sie sollten sicherheitshalber Rices Wachpersonal verstärken.«
»In fünfzehn Minuten ist ein Team bei Ihnen«, versprach Hood. »Falls vorher jemand bei Ihnen auftaucht, dann halten Sie ihn so lange hin. Rufen Sie mich morgen an, dann besprechen wir alles Weitere.«
»Das werde ich«, sagte Elizabeth und beendete das Gespräch.
Die Flammen des brennenden Hubschraubers erhellten die Nacht. Auf der Veranda vor ihrem Büro sah sie die Katze liegen, die ungerührt das Feuer beobachtete.
Kapitel 8
Am nächsten Morgen unterrichtete Elizabeth ihr Team.
Nach der Unterhaltung mit ihr hatte Hood das Ärzteteam des Präsidenten angewiesen, mit Hilfe von speziellen Tests nach allem zu suchen, was untypisch für einen koronaren Vorfall wäre. Daraufhin waren Spuren eines seltenen Gifts in seinem Blut gefunden worden. Dieses Gift stammte von einer Pflanze, die nur auf den Gipfeln der Berge von Haiti wuchs. Ein Extrakt dieser Pflanze konnte alle Symptome einer Herzattacke hervorrufen und war für gewöhnlich tödlich. Jemand hatte also versucht, ihn umzubringen.
Vor den Zäunen rund um das Weiße Haus türmten sich bereits Blumen und Genesungswünsche. Die Information, dass Rice Ziel eines Mordanschlags gewesen war, wurde vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Der Secret Service, das FBI und die anderen ermittelnden Organe hatten noch keine Spur.
Alle schwiegen, als Elizabeth ihnen von dem Anschlag auf den Präsidenten erzählte. Von seinem Platz aus konnte Nick noch die verkohlten Überreste des Helikopters in dem Blumenbeet vor dem Haus sehen. Jemand hatte seinen Einsatz wesentlich erhöht, aber sie kannten weder das Spiel, noch, wer es mit ihnen spielte.
»Mich hatte niemand aus dem Bethesda angerufen«, erklärte Elizabeth. »Rice hatte nicht darum gebeten, mich zu sprechen. Es war eine Falle.«
»Erinnern Sie mich daran, Sie niemals wütend zu machen«, sagte Nick. »Ist kaum zu glauben, dass Sie tatsächlich einen Hubschrauber nur mit einer Pistole abgeschossen haben.« Er deutete auf das Wrack hinaus.
Alle Blicke folgten seiner Geste. Ein solcher Anblick bot sich ihnen nicht jeden Tag.
»Ich war außer mir.« Harker griff nach ihrem Montblanc und tippte damit auf ihren Schreibtisch.
»Das meinte ich.«
»Was passiert jetzt mit dem Hubschrauberwrack?«, wollte Ronnie wissen.
»Hood kümmert sich darum.«
»Konnte man den falschen Agenten identifizieren?«
»Er war früher beim FBI gewesen, wurde aber vor ein paar Jahren rausgeworfen. Man verdächtigte ihn, eine wichtige Ermittlung gefährdet zu haben. Damals konnte man ihm nichts nachweisen, aber sie entließen ihn.«
»Und wieso haben sie einen Hubschrauber geschickt?«
»Ich denke, dass sie mich entführen wollten. Und wenn das nicht gelingen sollte, mich umzubringen.«
»Wie geht es dem Präsidenten?«, erkundigte sich Selena. Sie trug eine hellblaue Seidenbluse, die zur Farbe ihrer Augen passte.
»Er lebt, wird aber für eine Weile außer Gefecht sein. Vizepräsident Edmonds hat die Geschäfte übernommen. Er wird aber noch nicht vereidigt, es sei denn, Rice stirbt oder wird sein Amt nicht mehr aufnehmen können.«
»Das könnte zu einem Problem werden«, sagte Nick. »Edmonds mag uns nicht besonders.«
»Ich mag ihn auch nicht, aber damit müssen wir klarkommen. Edmonds hält uns für eine Bande durchgeknallter Spinner. Solange er auf dem großen Stuhl sitzt, werden wir aus dem Weißen Haus keine Unterstützung erhalten.«
»Werden wir versuchen, herauszufinden, wer hinter Rice her war?«, fragte Selena.
»Das tun derzeit schon einige. Fürs Erste sollen die sich damit beschäftigen. Ich mache mir im Moment mehr Sorgen darüber, wieso sie hinter mir her waren. Wieso ich? Wer immer dahintersteckt, kannte meine private Nummer und wusste, dass ich Rices Ruf folgen würde.