Der Kaplan. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783835345577
Скачать книгу
kann nicht.«

      KAPLAN: »Warum nicht?«

      ERNESTO: »Zu tun.«

      KAPLAN: »Deine Mutter wird enttäuscht sein.«

      ERNESTO: »Ich habe ihr gesagt, dass ich nicht kommen kann.«

      KAPLAN: »Deine Mutter ist eine wundervolle Frau.«

      ERNESTO: »Ich weiß.«

      KAPLAN: »Sie himmelt dich an.«

      ERNESTO (beinahe tonlos): »Ich weiß.«

      KAPLAN: »Du kannst ihr eine Freude machen – indem du einfach nach unten kommst und ein wenig mit uns feierst. Ist das ein zu großes Opfer?«

      ERNESTO (schreit ihn plötzlich in einem Anfall heftiger Wut an): »Lassen Sie mich in Ruhe! Raus hier!«

      KAPLAN (steht vom Stuhl auf und zieht sich in Richtung Tür zurück. Schüttelt den Kopf – voller Mitleid): »Du brauchst mich nicht anzuschreien, Ernesto. Ich wollte nur deiner Mutter helfen – und dir auch.«

      ERNESTO (überwindet seinen Stolz; reuig): »Es tut mir leid, Kaplan … Ich wollte nicht grob zu Ihnen sein.«

      KAPLAN: »Schon in Ordnung.«

      ERNESTO: »Aber, verstehen Sie … Ich kann wirklich nicht an Ihrer Feier teilnehmen. Es wäre eine Folter für mich, und ich würde den anderen Gästen den Spaß verderben. Ich bin nicht dafür gemacht, mich zu amüsieren. Ich habe … andere Dinge zu erledigen.«

      KAPLAN: »Was denn für Dinge, Ernesto?«

      ERNESTO (mit einer gewissen jungenhaften Lebhaftigkeit und Naivität, da er offenbar beginnt, dem Kaplan zu vertrauen): »Ich bin mir sicher, Kaplan, dass ich berufen bin und eine Mission zu erfüllen habe. Ich bin dazu bestimmt, ein großer Mann zu werden …« (Mit einem gewissen trotzigen Nachdruck, als hätte ihm jemand widersprochen:) »Ja, ein großer Mann – trotz … trotz dem hier …« (Er zeigt auf seinen Buckel.) »Deshalb muss ich arbeiten – hart arbeiten, so hart ich nur kann. Und ich muss jede Chance nutzen. Wer Größe erlangen will, muss gefährlich leben.«

      KAPLAN (hat die Aufregung des Jungen mit väterlicher Neugier verfolgt. Plötzlich wird er ernst): »Gefährlich leben …: Ich glaube, dieses Motto gefällt mir nicht besonders, Ernesto. Es klingt wie eines der Schlagworte der faschistischen Philosophie.«

      ERNESTO (begreift, dass er zu weit gegangen ist – jetzt wieder zurückhaltend und misstrauisch): »Ich hab das … ohne nachzudenken … nur so gesagt.«

      KAPLAN: »Da bin ich mir sicher.« (An der Tür:) »Nun, ich gehe besser nach unten, sonst verpasse ich die ganze Feier. Willst du wirklich nicht mitkommen, Ernesto?«

      ERNESTO: »Ich kann nicht.«

      KAPLAN: »Ich würde gern mehr über deine Arbeit, deine Pläne, deine Ziele erfahren. Darf ich noch einmal vorbeischauen?«

      ERNESTO: »Wenn Sie wollen.«

      KAPLAN: »Nur, wenn ich sicher sein kann, dass du meine Absichten nicht falsch verstehst. Glaubst du mir jetzt, dass ich als Freund komme und nicht als Spion oder Agent?«

      ERNESTO (widerstrebend): »Ja … ja, ich glaube Ihnen, Kaplan.« KAPLAN: »Danke, Ernesto.« (Er geht hinaus. Ruft vom Korridor:) »Hey, Junge, hier draußen ist es ganz schön dunkel …«

      ERNESTO: »Warten Sie, ich zeige Ihnen den Weg …« (Er folgt ihm mit dem Licht.)

      SCHNITT AUF:

      21. INNEN, KORRIDOR … wie in Szene 19: ERNESTO hält seine kleine Kerze empor und geht voran zur Treppe. Der KAPLAN folgt ihm. An der Treppe bleibt ERNESTO stehen. Man hört, dass die KINDER unten ein Weihnachtslied singen.

      KAPLAN: »Hörst du … Ist das nicht schön? … Reizt dich das nicht, Ernesto?«

      ERNESTO (schüttelt den Kopf)

      KAPLAN (auf Englisch): »Wie schade.«

      Er streckt die Hand aus: ERNESTO ergreift sie. Sie schütteln sich die Hände. ERNESTO dreht sich um, um zurück in seinen Raum zu gehen; nach ein paar Schritten bleibt er stehen und sagt mit gesenkter Stimme über die Schulter:

      ERNESTO (auf Englisch): »Kommen … Sie … wieder.«

      KAPLAN (schon auf dem Weg die Treppe hinab): »Das tue ich bestimmt, mein Junge. Ganz bestimmt.«

      SCHNITT AUF:

      22. INNEN, WOHNZIMMER …: Die Feier ist in vollem Gange. Die KINDER – jedes mit seinem Weihnachtsgeschenk im Schoß – singen voller Begeisterung, und die anwesenden Amerikaner (das ROTKREUZ-MÄDCHEN, der LIEUTENANT, JACK und TOM) hören mit offensichtlichem Vergnügen zu; die älteren Frauen (MÜTTER und NONNEN) sitzen zusammen am Kamin, trinken Schokolade und tratschen. Als der KAPLAN von der dunklen Treppe hereinkommt, verlässt SIGNORA SILOTTI sofort den Kreis ihrer Freundinnen und eilt zu ihm.

      SIG. SILOTTI (lebhaft; auf Italienisch): »Wird er kommen?«

      KAPLAN (schüttelt den Kopf. Als er ihre Enttäuschung bemerkt, legt er ihr den Arm um die Schulter und redet besänftigend auf sie ein; auf Italienisch): »Machen Sie sich keine Sorgen, Signora. Alles ist gut. Wir sind jetzt Freunde, Ernesto und ich.«

      SIG. SILOTTI (strahlend): »Oh, das ist wunderbar … er ist ein guter Junge, nicht wahr?«

      KAPLAN (lächelt ihr zu): »Ja, er ist ein guter Junge. – Und nun wollen wir mal schauen, wie es mit der Feier aussieht …« (Auf Englisch:) »Sind alle glücklich?«

      TOM: »Klar, Sir …«

      ROTKREUZ-MÄDCHEN (gleichzeitig): »Wir haben viel Spaß …«

      LIEUTENANT (gleichzeitig): »Es ist eine großartige Feier, wirklich, Kaplan!«

      JACK: »Die Donuts gehen uns aus. Ansonsten – alles buono.«

      KAPLAN (an die Kinder gewandt; auf Italienisch): »Geht es euch gut, Kinder?«

      KINDER (antworten unisono): »Ja, Mister Padre, ja.«

      EIN KLEINES MÄDCHEN: »Sehen Sie, was ich bekommen habe …« (Sie zeigt ihm ihr Geschenk.)

      ANDERE KINDER: »Und ich … Und ich …« (Alle zeigen ihm ihre Geschenke.)

      LUIGI (zeigt sein Geschenk – ein stattliches Taschenmesser): »Das hat er mir gegeben …« (Zeigt auf Tom.) »Ist es nicht wundervoll?«

      UMBERTO (zeigt sein Geschenk – eine stattliche Taschenlampe; stolz): »Vom Tenente. Haben Sie je im Leben eine so starke Taschenlampe gesehen, Mister Padre?«

      (Er leuchtet mit der Lampe dem KAPLAN direkt ins Gesicht.)

      KAPLAN (geblendet, hebt die Hände schützend vor die Augen, verzieht das Gesicht): »Ganz schön stark, kann man wohl sagen …«

      KINDER (brechen in Gelächter aus)

      NONNE (steht auf und klatscht in die Hände): »Kinder! Nicht so wild! Lacht nicht über Mister Padre!«

      KAPLAN (an Jack gewandt; auf Englisch): »Haben sie schon Spiele gespielt?«

      JACK: »Noch nicht. Hatten genug damit zu tun, sich den Bauch vollzuschlagen.«

      KAPLAN (auf Englisch): »Na, dann los!« (An die Nonne gewandt; auf Italienisch:) »Was für ein Spiel würden die Kinder jetzt wohl gern spielen, Schwester?«

      NONNE (schlägt ein Spiel vor)

      Jetzt sollte ein beliebtes italienisches Spiel folgen, bei dem im Kreis getanzt und gesungen wird. Alle nehmen daran teil – KINDER, MÜTTER, AMERIKANER –, und die NONNEN leiten die Aktivitäten sehr effizient. Es gibt