Das Herz einer Mutter - Unterhaltungsroman. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726444797
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ist sie ein paarmal umgezogen. Jetzt lebt sie wieder mit einer Freundin zusammen . . . Hat sie mir nicht doch gesagt, wo? Nein, ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern.«

      »Nun, ich muß schon sagen . . .« Paul Reimers zerkrümelte ein Stück Streuselkuchen zwischen den Fingern. »Ich finde das merkwürdig!«

      »Ich weiß es!« Frau Reimers Gesicht strahlte. »Wir brauchen uns gar nicht den Kopf über ihre Adresse zu zerbrechen! Sie arbeitet doch im Kaufhaus Maak . . . in der Schmuckabteilung! Du brauchst ja nur dorthin zu gehen, wenn du sie sehen willst. Nein, wird das eine Überraschung für sie sein!«

      Am Montag fuhr Paul Reimers nach Frankfurt.

      Am ersten Tag wurde noch nicht gearbeitet. Die meisten Herren, die an der Tagung teilnahmen, trafen erst im Laufe des Nachmittags ein. Auf dem Programm standen Vorträge, ein Empfang beim Oberstadtdirektor und ein gemeinsames Abendessen.

      Paul Reimers schwirrte der Kopf, als endlich alles zu Ende war. Er hatte das ungute Gefühl, auch auf diesem Kursus, von dem er sich so viel versprochen hatte, nichts weiter zu sein als ein kleines, unbedeutendes Rädchen.

      Er war dankbar, als ihm ein Bekannter aus Boppard vorschlug, noch einen kleinen gemeinsamen Bummel zu machen. Ein anderer Kursteilnehmer aus Koblenz schloß sich ihnen an. Aber bald merkte er, daß es den Herren nicht darum ging, einen ruhigen Schoppen zu trinken, sondern daß sie in der Großstadt etwas erleben wollten. Doch in der gutbürgerlichen Weinstube, in die sie gerieten, tat sich nichts. Eine Zeitlang versuchen die Herren, sich mit pikanten Geschichten vom Frankfurter Nachtleben über ihre Enttäuschungen hinwegzuhelfen, ergingen sich in detaillierten Schilderungen, bei denen Paul Reimers verlegen wurde.

      »Das ist ja unglaublich«, sagte er immer wieder, »nein, so etwas gibt’s doch gar nicht! Jetzt übertreiben Sie aber wirklich!«

      Und die anderen weideten sich an seiner Verlegenheit.

      Aber bald genügte das nicht mehr. Einer der Herren, der Koblenzer, faßte sich ein Herz und nahm den Ober beiseite. »Nun sagen Sie mal, wo kann man denn um diese Zeit hier noch hingehen?«

      »Kaiserstraße«, lautete die lakonische Antwort.

      Die Herren zahlten und brachen auf. Der Ober, mit dem Trinkgeld nicht ganz zufrieden, blickte ihnen mit leichter Verachtung nach. Paul Reimers zog nur deshalb mit, weil er kein Spielverderber sein wollte. Er fühlte sich durchaus nicht wohl in seiner Haut.

      Auf der Kaiserstraße glänzten die Lichtreklamen; blau, rot, grün, gelb schrien die Leuchtbuchstaben über den Nachtlokalen ihr Angebot den Herren aus der Provinz entgegen. Sie schlenderten dahin, blieben vor den Schaukästen stehen, betrachteten die Mädchen in den koketten Posen, stießen sich gegenseitig an. Sie fanden nicht den Mut zu einer Entscheidung.

      Ein mächtiger goldbetreßter Portier nahm sie ihnen ab. »Immer hereinspaziert, meine Herren«, sagte er in verschwörerischem Flüsterton, »hier bei uns sehen Sie das Beste vom Besten! Striptease, direkt aus Paris . . . einmalig, sage ich Ihnen!« Er schnalzte mit der Zunge, hielt die Tür einladend offen.

      Plötzlich entschloß sich Paul Reimers, nicht weiter mitzumachen. »Nein«, sagte er, »ohne mich! Ich geh’ jetzt in mein Hotel . . .«

      »Aber warum denn?« rief der Koblenzer. »Jetzt wird’s doch erst lustig!«

      »Ich möchte morgen früh ausgeschlafen sein«, erklärte Paul Reimers und fühlte selber, daß diese Ausrede in den Ohren der anderen fadenscheinig klingen mußte.

      »Ach, lassen Sie ihn doch«, sagte sein Bekannter aus Boppard, »wer nicht will, hat schon gehabt!«

      Der Koblenzer kicherte. »Ich glaube, das ist ein ganz Heimlicher! Der will uns loshaben, weil er noch was Besseres vorhat!« Lachend drängten die zwei Männer durch die offene Türe.

      Paul Reimers stand plötzlich allein dem Portier gegenüber, der ihn von oben herab musterte. Er wandte sich rasch ab und ging weiter. Zu seiner eigenen Überraschung fühlte er sich durchaus nicht erleichtert. Er kam sich blamiert vor. Morgen würden die anderen ihn auslachen. Beinahe hätte er sich umgedreht und wäre den anderen nachgegangen. Aber das hätte nur noch alberner gewirkt.

      Nein, es gab eine andere Möglichkeit, diese Scharte wettzumachen. Er brauchte sich nur eines dieser leichten Mädchen aufzugabeln, von denen es in Frankfurt ja nur so wimmeln sollte. Dann würde er es sein, der den anderen morgen etwas zu erzählen hatte.

      Er erinnerte sich an die Worte des Koblenzers. »Die ganz großen Edelnutten«, hatte der gesagt, »fahren mit ihren Luxusschlitten die Kaiserstraße lang und picken sich ihre Freier auf.«

      Paul Reimers trat an den Bordstein. Er konnte es sich nicht recht vorstellen, aber immerhin begann er, langsam vorbeigleitende Wagen zu kontrollieren und entdeckte mehr als einmal eine verführerische, einsame Frau am Steuer.

      War es möglich? Gab es so etwas wirklich? Sollte er so hinter dem Mond zurück sein?

      Eine prickelnde Erregung überfiel ihn, der heiße Wunsch, etwas zu erleben, sich zu bewähren – nicht mehr nur deshalb, um den anderen gegenüber mit seinem Erlebnis prahlen zu können.

      Mit so einer Frau in einem Luxusauto mußte doch alles ganz anders sein als zu Hause mit Anna. Und er hatte nicht mal gewußt, daß es so etwas gab. Sein halbes Leben hatte er versäumt.

      Er trat noch einen Schritt vor, winkte zaghaft mit der Hand, überschlug im gleichen Augenblick seine Barschaft.

      Ein schneeweißer Mercedes 220 glitt langsam heran, hielt dicht neben ihm. Paul Reimers zerstreute seine letzten Bedenken. Ach was, dachte er, die Welt wird es schon nicht kosten!

      Ein Fenster wurde heruntergekurbelt, und eine rauhe, leicht ironische Stimme sagte: »Guten Abend, Herr Direktor!«

      Er sah undeutlich ein sorgfältig geschminktes Gesicht unter kupferroten üppigen Locken, grüne Augen unter langen schwarzen Wimpern und – erkannte seine Tochter Helga.

      2

      Den Bruchteil einer Sekunde starrten sich Vater und Tochter durch das geöffnete Fenster des weißen Mercedes an.

      Dann sagte Paul Reimers mit einer Stimme, die fremd in seinen eigenen Ohren klang: »Helga . . . du?«

      Jetzt reagierte sie. »Was wollen Sie von mir?« stieß sie rauh hervor. »Ich kenne Sie ja gar nicht!«

      Blitzschnell ging das Fenster in die Höhe. Der weiße Mercedes glitt davon.

      Paul Reimers war es, als drehte sich die nächtliche Großstadtstraße um ihn. Er taumelte, schwankte zur Seite, suchte einen Halt. Aber um ihn war nichts, eine öde, gähnende Leere, die ihn zu verschlingen drohte.

      Jemand packte ihn am Arm. »Ist Ihnen nicht gut?« fragte eine unbekannte Stimme. »Kann ich etwas für Sie tun?«

      Paul Reimers atmete tief und klammerte sich an den Fremden. »Danke«, sagte er mühsam, »es ist nichts . . . nur eine kleine Übelkeit!« Er sah in das freundliche, besorgte Gesicht eines älteren Herrn.

      Eine Frau, mit einem komischen kleinen Hut auf den weißen Locken, stand mehrere Meter entfernt. Sie schwenkte ungeduldig ihre Handtasche. »Laß doch den Kerl«, sagte sie schrill, »siehst du denn nicht, daß er betrunken ist?«

      »Aber, Lilly, ich muß doch . . .« Der ältere Herr protestierte.

      »Gar nichts mußt du, Otto! Komm endlich!«

      Paul Reimers quälte sich ein Lächeln ab. »Danke«, sagte er, »es geht mir wirklich schon besser!«

      »Na also!« Die Frau kam und zog ihren Begleiter fort.

      Sie entfernten sich.

      »Zu albern von dir, den Samariter zu spielen«, hörte Paul Reimers die Frau noch sagen.

      Dann verschwanden sie aus seinem Gesichtskreis und seiner Erinnerung.

      Er ging langsam weiter. Es war Helga, dachte er, ich kann mich doch nicht so täuschen. Ich kenne doch