Das Herz einer Mutter - Unterhaltungsroman. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726444797
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tanken, Luft prüfen . . . das Übliche! Heute abend brauche ich ihn wieder!«

      Ben legte salutierend die Hand an die Mütze. »Immer gern zu Ihren Diensten, gnädige Frau!«

      Kitty öffnete ihre Handtasche. »Und hier ist mein Wohnungsschlüssel. Bring ihn doch bitte zu Frau Hommers und sag ihr, sie möchte saubermachen.«

      Er verstaute den Schlüsselbund in der Brusttasche seines Overalls. »Hast du keine Angst, während deiner Abwesenheit beklaut zu werden?«

      »Für wie dumm hältst du mich eigentlich?« gab sie ungerührt zurück. »Los, steh nicht hier herum, bestell mir ein Taxi. Ich muß zum Bahnhof.«

      Ben verbeugte sich ironisch. »Wie gnädige Frau befehlen!«

      Während er ins Büro zurückeilte, zündete sie sich eine Zigarette an, öffnete die Autotür und las die Kilometerzahl ab.

      Als Ben zurückkam und meldete, daß das Taxi in wenigen Minuten da sein würde, sagte sie: »Danke! Noch eins, Ben, keine Extratouren, ja? Ich würde es herauskriegen, verlaß dich drauf.«

      »Nur keine Bange«, erwiderte er keß, »ich werde deine stadtbekannte Großzügigkeit nicht strapazieren!«

      Sie blies ihm den Rauch ihrer Zigarette ins Gesicht. »Ein Mundwerk hast du, Junge. Aus dir kann noch mal was werden!«

      Sie trat ihre Zigarette aus, als das Taxi hielt. Ben half dem Chauffeur den Koffer zu verstauen und winkte ihr nach, als sie davonfuhr. Aber sie sah sich nicht mehr um.

      Als Frau Anna Reimers mit ihren beiden jüngsten Kindern vom sonntäglichen Kirchgang nach Hause kam, nahm sie sich nicht die Zeit, ihren Mantel auszuziehen. Sie stürzte sofort in die Küche, griff nach einem Topflappen, öffnete das Backrohr und zog den Rost, auf dem die Kasserolle mit dem Schweinebraten stand, heraus.

      Erleichtert atmete sie auf, als sie sah, daß sie nichts versäumt hatte. Der Braten begann sich gerade angenehm zu bräunen. »Gott sei Dank! Und ich dachte schon . . . die ganze Zeit während der Predigt mußte ich immerzu daran denken . . . wirklich zu dumm von mir!«

      Sie griff zur Kelle, schöpfte Saft ab und goß ihn über den brutzelnden Braten.

      Ohne daß sie darauf geachtet hatte, war ihr Rolf, der Fünfzehnjährige, gefolgt und hatte sie von der Schwelle aus beobachtet. Als sie sich jetzt umdrehte und wieder auf den Flur hinaus wollte, stieß sie fast mit ihm zusammen.

      »Willst du mir helfen?« fragte sie lächelnd und fuhr ihm liebevoll durch das blonde, mit viel Wasser mühsam gebändigte Haar. Rolf war ein lebendiger Junge mit einer vergnügten Himmelfahrtsnase und blauen, sehr wachen Augen. Daß er vom Gymnasium einigermaßen gute Noten nach Hause brachte, bestärkte Frau Reimers noch in ihrem mütterlichen Stolz auf ihren einzigen Sohn.

      Jetzt zog er eine Grimasse. »Nein, Mutti, das nicht! Ich wollte nur fragen . . . wie lange dauert es noch mit dem Essen?«

      »Hast du denn solchen Hunger? Wir haben doch spät gefrühstückt.«

      »Darum dreht’s sich ja gar nicht! Ich wollte nur wissen . . . kann ich noch mal runter? Die anderen warten auf mich.«

      »Jetzt vor dem Essen? Aber Rolf!«

      »Papa ist doch auch noch nicht da!«

      Frau Reimers zog ihren Mantel aus, hängte ihn sorgfältig in der Flurgarderobe über einen Bügel – morgen würde sie ihn auf dem Balkon lüften und gründlich durchbürsten, bevor er in den Kleiderschrank zurückkam. »Bei Papa ist das etwas anderes«, sagte sie, »das weißt du doch ganz genau. Er wäre bestimmt lieber gleich mit uns nach Hause gegangen, aber er mußte noch zum Frühschoppen, weil er dort wichtige Herren von der Stadtverwaltung trifft.«

      »Na, eine Ausrede hat der doch immer!«

      »Rolf!« Frau Reimers’ blaue Augen, die, ihren 43 Jahren zum Trotz, immer noch etwas Kindliches hatten, wurden dunkel vor Empörung.

      Der Junge legte schmeichelnd seinen Arm um ihre Taille. »Nun hab dich man nicht so, Mutti! Ich wollte ja bloß sagen . . . Ich finde es nicht richtig, wenn einer in der Familie immer ’ne Sonderstellung einnimmt! Warum kann Papa weg und ich muß bleiben?«

      »Weil ich es so wünsche«, sagte Frau Reimers mit Nachdruck. Sie ließ ihren Sohn stehen, kehrte in die Küche zurück und band sich eine Schürze über das einfache blaue Kleid, dem ein weißer Kragen und weiße Manschetten eine gewisse festliche Frische verliehen.

      Rolf war so leicht nicht kleinzukriegen. Er folgte ihr in die Küche. »Aber ich weiß nicht, was ich hier soll«, maulte er.

      »Beschäftige dich . . . mit irgend etwas«, sagte die Mutter, »hör doch Schallplatten. Ich weiß gar nicht, warum du dir diese Beatles und Rolling Stones und all den Unsinn kaufst, wenn du dann nichts damit anzufangen weißt.«

      »Platten hören! Am Sonntagmorgen! Und bei dem Wetter! Das kann doch nicht dein Ernst sein!«

      Frau Reimers hatte das Tuch von der Schüssel mit dem Hefeteig-Ansatz genommen und rief laut: »Karin! Karin!«

      Der Ruf war nicht zu überhören, aber es dauerte Minuten, bis Karin in die Küche trat, in einem schottisch karierten Hausmantel, den sie lose übergeworfen hatte. Darunter trug sie einen hellblauen Unterrock.

      »Ja, was gibt’s?« fragte sie unwillig.

      »Karin, bitte, kümmere du dich doch um Rolf«, sagte Frau Reimers, ohne sich nach ihrer Tochter umzusehen, »er langweilt sich. Vielleicht könnt ihr etwas zusammen spielen oder . . .«

      Das Gelächter der beiden riß sie herum.

      »Spielen!« rief Rolf. »Aber Mutti, wir sind doch keine kleinen Kinder mehr!«

      Frau Reimers war rot geworden. Sie schämte sich ein bißchen, weil sie begriff, daß sie sich wieder einmal vertan hatte. »Dann tut sonst etwas«, sagte sie, »macht euch nützlich . . . Wie wäre es, wenn ihr schon mal den Tisch decken würdet?«

      Karin wurde ernst. »Tut mir furchtbar leid, Mutti, aber . . . ich glaube, ich habe ganz vergessen, dir das zu erzählen. Ich kann heute mittag nicht mit euch essen.«

      »Was sagst du da?« Die Augen von Frau Reimers wurden groß. »Ausgerechnet heute, wo es Schweinebraten und grüne Kartoffelklöße gibt? Wo ich mir all die Arbeit gemacht habe!«

      »Ich weiß ja, ich weiß«, sagte Karin beschwichtigend, »ich hätte es dir früher sagen sollen, aber ich habe es vergessen. Das kann doch passieren.«

      »Aber gerade heute! Wo wir doch Helga erwarten!«

      Karin zuckte die Schultern. »Wer weiß, ob die kommt! Die hat bestimmt sonntags was Besseres zu tun.«

      »Aber sie hat mir doch geschrieben!« Frau Reimers deutete mit dem Kinn auf den Küchenschrank. »Da, im mittleren Fach liegt die Karte . . . ja, bei den Rabattmarken . . . lies selber!«

      Karin begann zu wühlen und zog die Postkarte, die eine bunt kolorierte Ansicht der Frankfurter Paulskirche zeigte, heraus. Sie betrachtete sie stirnrunzelnd, drehte sie dann um und las die wenigen hingekritzelten Zeilen.

      »Primitiv«, sagte sie abfällig und schob die Karte wieder zurück.

      Frau Reimers hatte sich wieder ihrem Hefeteig zugewandt, den sie jetzt kräftig durchknetete. »Ansichtspostkarten sind nun mal so«, sagte sie, »und, ehrlich gestanden, ich finde sie hübsch.«

      »Ich meine doch die Schrift«, sagte Karin hart. »Helga schreibt mit ihren zweiundzwanzig Jahren immer noch wie eine geistig minderbemittelte Vierzehnjährige.«

      »Karin!« Frau Reimers schrie fast. »Wie kannst du so lieblos von deiner Schwester sprechen?«

      »Wenn es doch wahr ist!«

      »Ärgere dich nur nicht, Mammutschka«, sagte Rolf. »Karin ist bloß wütend, weil Helga schicker ist als sie!« Er bückte sich rasch und wich einer Ohrfeige aus, die ihm die Schwester verpassen wollte. »Also, ich haue jetzt ab.