Von Flusshexen und Meerjungfrauen. Jennifer Estep. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jennifer Estep
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959915564
Скачать книгу
Er lächelte sein verschlagenes Lächeln. »Schwimm ruhig hinein. Was immer du suchst – das Glück könnte an diesem Ort auf deiner Seite sein.«

      Taro beäugte den Kappa misstrauisch. Sein Lächeln gefiel ihm nicht. Trotzdem entschied er sich, dem Rat zu folgen. Die Strömung trieb ihn ja wirklich genau auf die Grotte zu. Und was sprach dagegen, dort drin nach dem Schwert zu suchen? Irgendwo musste er ja anfangen. Mit einer kräftigen Bewegung seiner Arme und Beine glitt er durch den engen Eingang in die Grotte hinein.

      Er hatte die Öffnung kaum passiert, als ihm klar wurde, dass etwas nicht stimmte. Der Kappa hatte von einer Grotte gesprochen, die wie ein Fischernetz die angespülten Schätze fing. Doch was Taro sah, als er einen ersten Blick umherwarf, wirkte überhaupt nicht wie eine Schatzhöhle. Vielmehr wie … ein kleines Haus. Verschiedene Gegenstände, deren Nutzen Taro nicht auf den ersten Blick erkennen konnte, waren auf Boden und Wänden verteilt, nach einem Muster, das keineswegs willkürlich wirkte – eher wie ein äußerst ungewöhnlich eingerichtetes Zimmer, mit Flechtnetzen aus Algen an den Wänden, weichen Seegrasnestern und allerlei dekorativen Teilen aus Steinchen und blank poliertem Holz hier und da. Taro hielt inne, trieb schwebend in der Mitte des Raums und sah sich staunend und zugleich ein wenig ratlos um. »Bist du sicher …?«, begann er – doch in diesem Moment hörte er ein Geräusch, das ihm sämtliche Haare an Kopf und Körper zu Berge stehen ließ: Er hörte, wie sich ein großer Stein vor den Eingang schob. Und auch ohne sich umzuwenden, wusste Taro sofort, dass das nicht von innen geschah; sondern dass der Kappa, der ihn hergelockt hatte, den Felsen, der in Wahrheit eine Tür war, von draußen in seine perfekt angepasste Fassung aus undurchdringlichem Algengeflecht drückte – und dass das hässliche Schaben, das auf der anderen Seite ertönte, das Geräusch eines vorgeschobenen Riegels war. Taro schoss zur Tür hinüber und drückte mit aller Kraft dagegen … Nichts.

      »Oi! Froschmann!«, brüllte er. »Lass mich raus!«

      Immer noch nichts. Nicht ein Laut. Bis im nächsten Moment der Kopf des Kappa in einer der winzigen Öffnungen auf der anderen Seite der Hütte erschien und einen beachtlichen Teil des matten Lichtes aussperrte, das noch von draußen hereindrang. »Nimm’s nicht persönlich, Menschenjunge«, sagte er. »Aber ich kann auf keinen Fall zulassen, dass diese Frau, der deine neue Haut gehört, hierher zurückkehrt. Deshalb wirst du leider hierbleiben müssen, bis sie oben am Ufer vertrocknet ist.«

      Taro starrte ihn entsetzt an. »Was!? Aber … wieso?«

      Das Gesicht des Kappa verzerrte sich in hässlicher Wut und er stieß ein blubberndes Zischen aus. »Weil sie einfach nicht aufhört, auf ihrer Flöte zu spielen!« Er fuchtelte wild mit den Armen und zerrte an den Algenhaaren, dass die schlabbrige Haut über seinem Gesicht Falten schlug und ihn noch wilder und bösartiger aussehen ließ. »Tag und Nacht, Nacht und Tag, seit der Zeit der Kirschblüten geht das schon so! Bis ans andere Ende des Sees bin ich gezogen, um ihr zu entkommen, aber es hilft nichts, durch das Wasser höre ich jeden Ton, es ist einfach nicht zu ertragen! Ich habe es im Guten versucht, oh ja, habe sie gebeten, damit aufzuhören, und seither spielt sie nur noch mehr und nur noch lauter. Aber damit ist jetzt Schluss! Schluss, sage ich! Ich habe eine Ewigkeit darauf gewartet, dass dieses Salamanderweib endlich zum Schlafen an Land geht, und ich werde nicht zulassen, dass sie zurückkommt!«

      Taro konnte es kaum glauben. Darum ging es hier? Um eine Flöte? Seine Kehle wurde eng, als ihm etwas dämmerte. »Dann war das die ganze Zeit dein Plan? Du wolltest mich hier einsperren? Hast du also absichtlich gegen mich verloren?«

      »Und ob ich das habe!« Der Kappa grinste sein wildes Grinsen. »Jetzt wird sie mir büßen, dass sie für all meine Klagen taub war!«

      »Aber ich verstehe das nicht! Warum hast du ihr nicht selbst die Haut gestohlen, wenn du es schon tun musstest? Was habe ich damit zu tun? Bitte, lass mich gehen!«

      »Ganz einfach.« Der Kappa funkelte ihn listig an. »Eine leere Kappa-Haut lebt und atmet und wird stets den Weg zu ihrem Kappa zurück suchen. Solange du aber darin steckst, wird das nicht passieren. Die Haut wird schön mit dir zusammen hier unten bleiben, und du wirst ja wohl nicht dumm genug sein, sie am Grund des Sees einfach auszuziehen, nicht wahr?« Er lachte glucksend. »Keine Sorge, ich werde dich füttern und umsorgen, bis ich dich wieder herauslassen kann – nämlich wenn diese Pest endlich Geschichte ist!« Der Kappa sang nun fast, seine Augen leuchteten.

      »Nein!«, rief Taro heftig. »Ich werde dir nicht helfen, eine unschuldige Frau zu töten, die nichts Schlimmeres verbrochen hat, als Musik zu machen!«

      Der Kappa lachte höhnisch auf. »Natürlich wirst du das nicht. Du hast es nämlich schon getan. Und du wirst mich jetzt auch nicht mehr daran hindern. Bis später, Menschenkind.« Damit verschwand er von dem winzigen Fenster und ließ Taro allein.

      »He! Warte!« Taro paddelte hastig zum Fenster und sah den Froschmann eben noch in einem Dickicht aus Wasserpflanzen verschwinden, das hinter der Hütte wuchs wie ein kleiner Wald. »WARTE!«

      Aber seine Menschenstimme verklang schnell im Wasser und der Kappa hörte ihn nicht – oder wollte ihn wohl auch einfach nicht hören. Taro starrte verzweifelt den Luftblasen hinterher, die aus seinem Mund entwichen und zu der plötzlich so unerreichbar fern scheinenden Wasseroberfläche hinauftrieben. Was sollte er nur tun? Er musste hier irgendwie rauskommen! Aber die Fensteröffnung war zu klein, die Tür fest verschlossen, und die Algenwände so viel unnachgiebiger, als sie auf den ersten Blick aussahen. Rastlos schwamm Taro hinüber zum nächsten Fenster, das in eine Art winzigen Garten aus Seegras und Sternpflanzen blickte. Auch dieses war viel zu klein, als dass er sich hätte hindurchzwängen können. Wie zum Hohn schwammen ein paar Fische an ihm vorbei in die Hütte, drehten eine kleine Runde und schwammen wieder hinaus. Taro hätte weinen mögen.

      In diesem Moment jedoch geschah ein kleines Wunder. Als Taro den Fischen mit dem Blick folgte, wie sie ruhig und glitzernd im Unterwassergarten ihre Kreise zogen, sah er plötzlich im Seegras unter dem Fenster etwas funkeln. Ein verirrter Strahl gebrochenen Mondlichtes fing sich im blanken Metall einer … Schwertklinge?

      Taro schnappte nach Luft. Yaes Schwert! War das möglich? Konnte das wirklich wahr sein? Konnte seine Rettung wirklich, wie der Kappa gesagt und doch eigentlich gelogen hatte, von der Strömung bis hierher und in Reichweite seines Armes getrieben worden sein? Oder zumindest beinahe in Reichweite. Denn sosehr Taro sich auch streckte und sich gegen die Algenwand presste, um den Arm noch ein Stück weiter durch das kleine Fenster zu schieben, er schaffte es nur gerade eben, den Schwertgriff mit seinen Fingern zu streifen. Ein Werkzeug. Er brauchte ein Werkzeug!

      Sein Blick fiel auf die Seegrasnester, die das Kappa-Haus dekorierten. Und wenn er sich eine Schlinge aus Gras knüpfte und sie an einen der dekorativen Stöcke band?

      Entschlossen machte sich Taro an die Arbeit. Es brauchte eine ganze Weile, bis er mit den Schwimmhaut-Fingern und in der ungewohnten Schwerelosigkeit des Wassers eine Art Angel zusammengebastelt hatte. Und noch länger dauerte es, bis er es tatsächlich schaffte, die Schlinge aus dem Fensterloch heraus und um den Schwertgriff zu manövrieren. Selbst unter Wasser schwitzte er inzwischen wie nach einem Tagwerk bei der Buchweizenernte. Wenn es ihm nun wieder abrutschte, wenn es weiter davontrieb, wenn …

      Doch dann, endlich, schlossen sich seine Finger um den Schwertgriff, und er zog die Klinge vorsichtig durch das Fenster zu sich herein. Er hatte das Gefühl, noch nie in seinem kurzen Leben so erleichtert gewesen zu sein, obwohl er gar nicht wusste, wie genau ihm die Klinge helfen konnte. Es fühlte sich einfach unbeschreiblich gut an, sie wiedergefunden zu haben.

      In diesem Augenblick hörte er vor dem anderen Fenster jemanden ein zufriedenes Liedchen pfeifen, das sich rasch näherte. Ein schneller Blick verriet Taro: Der Kappa kam zurück! Er trug eine Schale mit etwas, das seltsam schleimig und tentakelig aussah. Taro verbarg das Schwert hastig hinter einem der Seegrasbüschel. Er wusste es besser, als den Kappa offen mit der Waffe zu konfrontieren. Der Froschmann war hier im Wasser zu Hause. Er selbst war trotz seiner neuen Haut immer noch ein Mensch, der im fremden Element höchstens unbeholfen herumpaddeln konnte. Hier unten würde er den Kopfteich des Kappa nicht durch eine List leeren können, und kein Sonnenstrahl würde ihm zu Hilfe kommen. Er musste ihn also auf andere Art bezwingen,