Rhys nahm ihre Hand und drückte sie sanft, ehe er sie wieder losließ. »Rhys.« Obwohl ihre Haut weich war, fühlte sie sich an wie Eis. Kalt. Hart darunter. Sein Puls beschleunigte sich. Leute sollten sich nicht wie Eisskulpturen anfühlen.
»Es ist mir eine Freude.« Wieder das gleiche Lächeln. Sie setzte sich auf den Stuhl, der Rhys am nächsten war.
Nur selten schenkte er der körperlichen Attraktivität von Frauen so viel Aufmerksamkeit, aber diese hier – sie war anders. Schokoladenfarbenes Haar, das sich wie Wasser bewegte, fiel ihr fast bis auf die Schultern. Tiefbraune Augen zierten ihr rundes Gesicht. Ihre Haut war beinahe leuchtend, wie Perlmutt. Wäre sie ein Mann, würde es ihm sehr schwerfallen, ihr einen Wunsch abzuschlagen.
Radmila runzelte kaum wahrnehmbar die Stirn, bevor ihre Gesichtszüge sich glätteten. »Bist du allein, Rhys?« Sanfte Worte.
Er schauderte. Irgendetwas an dieser Frage sorgte dafür, dass sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Er sollte nicht antworten, doch die Antwort fiel trotzdem aus seinem Mund. »Ich warte auf einen Freund.«
»Wir warten ebenfalls auf jemanden.« Sie schaute kurz zurück zur Bar. »Vielleicht können wir uns gemeinsam die Zeit vertreiben.«
Wir. Rhys folgte der Richtung, in die sie geblickt hatte. Ein blonder Mann kam auf sie zu, die rechte Hand in seiner Tasche. Seine blauen Augen verschlugen Rhys den Atem, obwohl er erst den halben Raum durchquert hatte – blass wie ein Sommermorgen. Er war dünn – dünner als Silas – und er hatte ebenso marmorne Haut wie Radmila.
Sie ergriff die linke Hand des Mannes, als er sich zu ihr gesellte. »Hat der Kellner unseren Freund gesehen?«
»Vor einiger Zeit, aber nicht kürzlich.«
Gott, die Stimme des Mannes. Sie war geschmeidig und fließend wie der Klang einer Oboe. Rhys umschloss das Buch auf seinem Schoß mit seinen Händen. Sein Instinkt sagte ihm, vor den beiden zu fliehen, doch als der Blick des Mannes zu ihm wanderte und an ihm hängen blieb, konnte er nicht wegsehen.
»Ich sehe, du hast einen neuen Freund gefunden.«
Noch mehr, als Radmilas Lächeln es geschafft hatte, ließ das Lächeln des Mannes das Blut in Rhys' Adern gefrieren. Er würde alles tun, um den Mann berühren zu dürfen, von ihm berührt zu werden. Der Gedanke stieß Rhys ab, auch wenn er gleichzeitig hart wurde.
»Rhys, das ist Jarek.«
Jarek machte einen Schritt auf ihn zu und bot ihm seine rechte Hand an.
Er versuchte, sie nicht zu ergreifen. Versagte. Kalte Haut. Eiserner Griff. Rhys konnte nicht loslassen.
»Ich bin sehr erfreut, dich kennenzulernen, Rhys.«
Die Art, wie Jarek seinen Namen sagte, wie das Verlangen in den Augen des blonden Mannes brannte, ließ Rhys' Knochen in Flammen aufgehen.
»Er wartet ebenfalls auf einen Freund«, erklärte Radmila. Sie ließ die Hand ihres Partners los.
»Ah, ich verstehe.«
Diese Worte und die plötzliche Kälte seiner eigenen Haut ließen Rhys seine Hand zurückziehen. Oder er dachte zumindest darüber nach. Seine Hand blieb fest in Jareks Griff.
»Nein, Rhys. Das geht so nicht.« Jarek nahm das Buch von Rhys' Schoß und legte es auf den Tisch. »Warum setzt du dich nicht zwischen Radmila und mich? Dann können wir uns ein bisschen unterhalten?«
Rhys stand auf, obwohl sein Verstand ihn anschrie, es nicht zu tun. Oh Gott. Wo zur Hölle war Silas? Er musste ihnen entkommen, diesen… Leuten?
Alles, was er tun konnte, war das, was Jarek ihm befahl. Sie rückten die Stühle so zurecht, dass sie näher beieinandersaßen, Rhys zwischen den beiden.
»Nun.« Jarek streichelte mit dem Daumen über Rhys' Handrücken. »Auf wen wartest du?«
Scharfe Nadelstiche malträtierten Rhys' Lunge, als er versuchte, nicht einzuatmen, und darum kämpfte, nichts zu sagen. Dennoch kam es ihm über die Lippen. »Silas.«
»Silas?«
»Quint.« Die Worte auszusprechen, fühlte sich an, als hätte man ihn in Glas geschubst und dann über die Scherben gezerrt.
Radmilas Lachen erklang. »Er hat seinen Namen umgestellt.«
Jarek lächelte, zeigte dabei einen Mund voller Zähne, die falsch waren. Jeder einzelne war spitz, wie bei einem Sägeblatt. »Und weißt du, wo Silas ist?«
Bei dieser Frage hatte Rhys zumindest kein Problem, sie von allein zu beantworten. »Nein.«
»Wann wird er zurückkehren?«
»Beim ersten Tageslicht.« Denn Vampire – das war es, was diese zwei sein mussten – konnten Sonnenlicht nicht ertragen. Doch momentan war es dunkel und Silas war nicht hier.
Warum war Silas nicht hier?
»Natürlich«, murmelte Jarek. Er hob Rhys' Hand an seinen Mund und leckte darüber. »Du bist überaus entzückend. So voller Angst.« Er drehte Rhys' Hand um und kratzte mit den rasiermesserscharfen Zähnen über sein Handgelenk. Dann biss er zu.
Jareks Mund fühlte sich an, als würde Säure sein Fleisch verätzen. Rhys konnte nicht einmal schreien. Nur einen Sekundenbruchteil später verebbte der Schmerz. Jarek zog sich zurück.
Bissspuren und Blut, aber die Wunde war so klein, dass sie wie der Biss eines Katzenbabys aussah. Wenn sich ein kleiner Biss so anfühlte, würde Rhys einen richtigen Biss niemals überleben.
»Nun«, sagte Jarek. »Reiche Radmila deine andere Hand.«
Gott, nein. Aber er tat, wie ihm geheißen.
Radmila biss ihn genauso, wie Jarek es getan hatte, und es hatte denselben Effekt auf ihn. Am Ende atmete er die Luft in flachen Atemzügen ein. Als sie eine Hand losließ, sagte sie Jarek etwas in einer Sprache, die Rhys nicht verstand. Er lachte als Antwort.
Jarek strich mit einem Finger Rhys' Hals hinab. »Weißt du, was dein Freund Silas Quint ist?«
Die Antwort bahnte sich ihren Weg aus Rhys' Kehle, obwohl er versuchte, Jareks Berührung zu entkommen. »Fae.«
»Und hat der Fae dir gesagt, was du bist?«
»Ich…« Was er war? Erinnerungen an ihr Gespräch beim Abendessen kamen Rhys in den Kopf. »Er sagte, ich wäre ziemlich einzigartig auf der Welt.«
Radmila schnaubte.
Jarek schnalzte mit der Zunge. »Nun, nun. Die Fee hat ihm die Wahrheit gesagt.«
»Aber nur einen Teil davon.« Ihre Hand umkreiste sein Handgelenk. »Ich will mehr von ihm.«
»Ja«, sagte Jarek. »Aber nicht hier.« Er erhob sich und zog Rhys ebenfalls auf die Beine. »Mach dir keine Sorgen. Dein Fae wird dir schon bald Gesellschaft leisten.«
Radmila stand auf und verhakte ihren Arm mit Rhys'. »Es ist eine perfekte Nacht für einen Spaziergang an Deck.«
Sie führten ihn zu dem dunklen Glas der Außentüren, die sich öffneten, als sie sich näherten. Die Nacht war windig und kühl, gefüllt mit dem Geruch des Ozeans. Eine Mondsichel hing über dem Wasser, warf ein weißes Licht auf das pechschwarze Wasser. Es wäre wunderschön, wäre er nicht zwischen zwei Vampiren eingeklemmt. Wo war Silas? Er sollte diese Kreaturen jagen!
»Ich möchte dich fast laufen lassen«, flüsterte Jarek ihm ins Ohr. »Nur um deine Hoffnung sterben zu schmecken.«
Ein Laut entkam seiner Kehle, doch es war nicht mehr als ein Wimmern.
Radmila leckte über Rhys' Hals. »Oh, aber das ist sie gerade, oder nicht?«
Sie führten ihn zu einem im Schatten liegenden Tisch nahe des Schotts. Jarek drückte ihn hart gegen die Metallwand. Kleidung zerriss und seine Krawatte wurde ihm vom Hals gerissen. Sein Hemd folgte, die Knöpfe klackerten auf dem Holzboden. Kalte Lippen fuhren