Sämtliche Werke von Shakespeare in einem Band: Zweisprachige Ausgabe (Deutsch-Englisch). William Shakespeare. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: William Shakespeare
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075833631
Скачать книгу
Kommst du so handlos vor des Vaters Blick?

       Wer ist der Tor, der Wasser trug ins Meer

       Und Holz in Trojas hellentflammten Brand?

       Mein Gram stand auf dem Gipfel, eh du kamst;

       Jetzt, gleich dem Nil, bricht er die Schranken durch.

       Ein Schwert! Auch meine Hände hau ich ab!

       Sie fochten ja für Rom, und ganz umsonst!

       Wenn sie mich nährten, pflegten sie dies Leid;

       Vergeblich im Gebet erhob ich sie,

       Und ohne Segen hab ich sie gebraucht! –

       Nun sei ihr letzter Dienst von mir begehrt,

       Daß mir die eine helf abhaun die andre.

       's ist gut, Lavinia, daß du ohne Hand;

       Denn Rom zu dienen helfen Hände nicht.

      Lucius.

       Sprich, holde Schwester, wer dich so gemartert?

      Marcus.

       Ach! Der Gedanken lieblich Instrument,

       Das süße Redekunst so hold geplaudert,

       Riß man aus seines zarten Käfigs Haft,

       Wo's wie ein süß melodscher Vogel sang,

       Im Wechselton entzückend jedes Ohr!

      Lucius.

       Statt ihrer sprich! Wer hat die Tat vollbracht?

      Marcus.

       So fand ich sie, ach! schweifend in dem Forst,

       Besorgt, sich zu verbergen wie ein Reh,

       Das eine unheilbare Wund empfing!

      Titus.

       Sie war mein Reh, und der die Wund ihr schlug,

       Tat weher mir, als hätt er mich durchbohrt.

       Nun steh ich wie ein Mann auf einem Fels,

       Umgeben von der weiten, wüsten See,

       Der Wog auf Woge schwellen sieht die Flut,

       Und stets erwartet, ob ein neidscher Schwall

       In seinen salzgen Tiefen ihn begräbt.

       Zum Tod hier gingen meine armen Söhne;

       Hier steht mein andrer Sohn, aus Rom verbannt,

       Und hier mein Bruder, weinend um mein Weh;

       Doch was am schärfsten meine Seele spornt,

       Ist mein geliebtes Kind, mein liebstes Herz. –

       Und hätt ich nur dein Bildnis so gesehn,

       Ich fiel' in Wahnsinn; was denn soll ich tun,

       Erblick ich deinen holden Körper so?

       Ohn Hände, deine Tränen abzutrocknen,

       Noch Zunge, zu erzählen, wer dich quälte.

       Tot ist dein Gatte, und um seinen Tod

       Verurteilt deine Brüder, jetzt enthauptet.

       Sieh, Marcus! ach, Sohn Lucius, sieh sie an!

       Als ich die Brüder nannte, netzte gleich

       Die Wange frisches Naß, wie Honig taut

       Auf die gepflückte, fast gewelkte Lilie!

      Marcus.

       Vielleicht weint sie, weil jene ihn getötet;

       Vielleicht, weil sie die Brüder schuldlos weißt

      Titus.

       Wenn sie ihn töteten, dann sei vergnügt,

       Denn schon zur Strafe zog sie das Gesetz.

       Nein, nein! sie übten nicht so arge Tat,

       Das zeugt der Gram, der ihre Schwester beugt.

       Mein holdes Kind, die Lippen küß ich dir;

       Ein Zeichen gib, wie ich dir irgend helfe.

       Willst du, daß Lucius und dein guter Ohm

       Und du und ich um einen Quell uns setzen

       Und, niederschauend, unsre Wangen sehn,

       Entstellt und feucht, gleich Wiesen, noch nicht trocken

       Vom Schlamm, mit dem die Flut sie überschwemmt?

       Und solln wir starren in den Quell so lang,

       Bis sich des Wassers süße Klarheit trübt

       Und salzig wird durch unsre bittern Tränen?

       Solln wir die Hand uns weghaun so wie dir,

       Die Zung abbeißen und mit stummen Zeichen

       Verhaßter Tage Überrest verbringen?

       Was solln wir tun? Laßt uns, die Zungen haben,

       Ein Jammerspiel entwerfen fernern Elends,

       Daß wir ein Wunder werden künftger Zeit!

      Lucius.

       Mein Vater, weint nicht mehr; bei Euerm Gram

       Seht, wie die arme Schwester schluchzt und stöhnt! –

      Marcus.

       Still, Nichte! – Titus, trockne dir die Augen!

      Titus.

       Ah, Marcus, Marcus! Oh, ich weiß, mein Bruder,

       Dein Tuch kann keine meiner Tränen fassen,

       Du hast es mit den eignen schon ertränkt.

      Lucius.

       Ach, Schwester, deine Wangen trockn' ich ab!

      Titus.

       Sieh, Marcus! ihre Zeichen merk ich wohl;

       Fehlt' ihr die Zunge nicht, jetzt spräche sie

       Zu ihrem Bruder, wie ich sprach zu dir;

       Sein Tuch, von frommen Tränen ganz durchnetzt,

       Ist ihrer Wange nun zu keinem Dienst.

       Wer fühlte Leid und Sorgen je, wie diese?

       Von Hilfe fern wie Höll vom Paradiese?

      Aaron kommt.

      Aaron.

       Titus Andronicus, mein Herr, der Kaiser,

       Entbeut dir: wenn dir deine Söhne lieb,

       Soll Marcus, Lucius, wer es sei von euch,

       Oder du, Alter, selbst, abhaun die Hand

       Und sie dem König senden; alsobald

       Schickt er die Söhne lebend dir zurück;

       Das soll die Buße sein für ihre Schuld.

      Titus.

       O gnädger Kaiser! O huldvoller Mohr!

       Sang je ein Rabe so der Lerche gleich,

       Die süße Zeitung gibt vom Morgenrot?

       Mit Freuden send ich gleich dem Kaiser meine Hand;

       Willst du sie abhaun helfen, lieber Mohr?

      Lucius.

       Halt! Vater, diese edle, tapfre Hand,

       Die sonst so manchen Feind zu Boden warf,

       Sollst du nicht senden; meine bring ich dar;

       Der jüngre mißt wohl eh'r sein Blut als du,

       Und deshalb zahl ich für der Brüder Haupt.

      Marcus.

       Wes Hand von euch hat Rom nicht Schutz verliehn,

       Und hoch im Kampf die blutge Axt gezückt,

       Vernichtung schreibend auf der Feinde Helm?

       O keine, die nicht höchsten Ruhm erfocht,