Der letzte Prozess. Thomas Breuer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Breuer
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839265208
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haben wir gleich unsere Hausärztin gerufen. Die hat sie gründlich untersucht …«

      »Ha!«, rief Merschhaus dazwischen. »Gründlich untersucht! Elf Minuten war sie in Elfis Zimmer. Elf Minuten! Ich habe auf die Uhr gesehen. Von wegen: gründlich untersucht! Die wusste doch schon vorher, was sie diagnostizieren sollte.«

      »Herr Merschhaus, bitte!«, wies Lenz ihn zurecht und blickte dann Kerstin Finke aufmunternd an.

      »Frau Dr. Reuther ist eine ausgewiesene Notfallärztin«, erklärte die Residenzleiterin bestimmt. »Sie hat eindeutig Herzversagen festgestellt. Ohne jeden Zweifel. Und genau so steht es auch im Totenschein.«

      »Ihr steckt doch hier alle unter einer Decke.« Merschhaus sprang auf. »Einen nach dem anderen bringt ihr von uns um die Ecke. Und ich weiß auch warum: Weil wir euch lästig sind. Ihr habt Angst, dass wir euren guten Ruf gefährden. Deshalb müssen wir weg. Aber damit ist jetzt Schluss. Ab sofort lassen wir uns nur noch von Wolfgang helfen.« Die anderen Alten nickten und murmelten zustimmend. »Alle anderen Pflegekräfte haben absolutes Verbot, unsere Zimmer zu betreten.«

      »So geht das nicht, Herr Merschhaus!« Kerstin Finke richtete sich auf und wurde mit einem Mal geschäftlich. »Ich leite dieses Haus und ich lasse mir von niemandem vorschreiben, wie ich das mache. Auch von Ihnen nicht, Herr Merschhaus. Glauben Sie mir, gerade bei den Bewohnern aus Trakt B täte es mir leid, wenn ich sie verlieren würde. Aber wenn es nicht anders geht, werde ich Ihnen allen kündigen!«

      Nun richtete sich das aufgeregte Gemurmel der Alten gegen Merschhaus. Der japste entrüstet nach Luft und drehte sich schließlich zu den anderen um. »Krisensitzung!«, ordnete er an. »In fünf Minuten im Aufenthaltsraum. Wir lassen uns doch nicht drohen, Kameraden!« Gefolgt von den anderen marschierte er voraus und stieß eine Glastür so heftig auf, dass sie laut vor die Wand schlug. Der Pfleger Wolfgang wechselte einen unsicheren Blick mit seiner Chefin und folgte den alten Leuten dann mit besorgter Miene. Augenblicklich war die Sitzecke bis auf die Polizeibeamten und Kerstin Finke verwaist.

      »Was war das denn jetzt?«, fragte Gina Gladow fassungslos. »Und was hat es mit dem Trakt B auf sich?«

      Kerstin Finke ließ sich in einen der Sessel fallen und schnappte ebenfalls nach Luft. »Da wohnen unsere besonders zahlungskräftigen Bewohner. Deshalb fordern die auch immer eine besondere Zuwendung. Und die bekommen sie auch, aber in diesem Fall kann ich unmöglich nachgeben.«

      »Und was hat Herr Merschhaus damit gemeint, dass die Bewohner des Traktes B dem Ruf des Hauses schaden?«, erkundigte sich Lenz. »Zahlungskraft ist doch nicht rufschädigend – eher im Gegenteil.«

      Kerstin Finke rang mit sich und setzte mehrfach zu einer Antwort an. Schließlich sagte sie: »Also gut, Sie werden es ja sowieso herauskriegen. Alle Bewohner im Trakt B haben eine Vergangenheit, die nicht jedem gefällt.«

      »Waren das Nutten und Zuhälter, oder was?«, zeigte sich Gina Gladow verständnislos.

      »Unsinn!« Die Residenz-Leiterin sah Lenz direkt in die Augen. »Dann hätten wir sie nicht aufgenommen. Sie waren im Dritten Reich bei der SS und haben in Wewelsburg gearbeitet.« Als wäre sie geradezu erleichtert, nachdem sie das ausgesprochen hatte, lehnte sie sich nun in ihrem Sessel zurück.

      »Wie bitte?« Gina Gladow blickte zwischen Lenz und Kerstin Finke hin und her. »Der Kottmann war nicht der einzige Nazi hier?«

      Auch Lenz hatte Mühe, das Gehörte richtig einzuordnen. »Und warum haben die sich ausgerechnet hier bei Ihnen versammelt?«

      »Die Zeit in Wewelsburg war für alle die schönste Zeit ihres Lebens. Nach dem Krieg …«

      »Sie meinen, nach dem Dritten Reich«, fiel ihr Gina Gladow ins Wort. »Das sollte man nicht in einen Topf werfen.«

      »Nach dem Dritten Reich«, fuhr die Residenz-Leiterin fort, »waren sie in ganz Deutschland verstreut, hatten dort ihre Familien und ihre Berufe. Aber jetzt, im Alter, sind sie alle allein. Und da zieht es sie eben wieder in die Nähe des Ortes zurück, an dem sie sich so wohlgefühlt haben. Hier bei uns haben sie sich wiedergetroffen. In dieser Gemeinschaft fühlen sie sich zu Hause.«

      »Und das lassen Sie sich auch besonders bezahlen.« Gina Gladows Tonfall ließ offen, ob das eine Feststellung oder ein Vorwurf war.

      »Die alten Leute können es sich leisten. Und diejenigen, die selbst nicht so viel Geld haben, werden aus einem Fonds unterstützt.«

      »Ein Fonds für Altnazis? Das wird ja immer schöner!« Gina Gladow schüttelte angewidert den Kopf. »Und da regen Sie sich über Nutten und Zuhälter auf.«

      »Warum vertrauen die alten Leute nur Wolfgang?« Lenz bemühte sich im Gegensatz zu seiner jungen Kollegin um Ruhe und Beschwichtigung.

      »Weil er ihre Vergangenheit nicht verurteilt, sondern …«

      »Sondern?«, kam es lauernd von Gina Gladow.

      »Na ja, er bewundert die alten Leute und begegnet ihnen mit Respekt.«

      »Ein Neonazi?«, spuckte die junge Kriminalbeamtin förmlich aus.

      »So würde ich ihn nicht bezeichnen. Er hat … na ja … eher konservative Ansichten.«

      »In was für einem Sumpf sind wir hier eigentlich gelandet? Altnazis, ein Fonds für Alte Kameraden und ein Neonazi als Pfleger.« Gina Gladow schüttelte heftig den Kopf. »Ich könnte kotzen!«

      Lenz konnte ihre Reaktion nachvollziehen. Gleichzeitig tat ihm Kerstin Finke leid, die wie ein begossener Pudel in ihrem Sessel hockte. »Wir möchten dann bitte noch das Zimmer von Frau Gerken sehen«, sagte er.

      »Das geht nicht«, entgegnete sie. »Das Zimmer ist schon wieder belegt. Da ist nichts mehr so wie bei Frau Gerken. Unsere Bewohner bringen ihre eigenen Möbel mit, verstehen Sie?«

      Wolfgang kam wieder aus dem Beratungsraum der alten Leute und stellte sich neben Gina Gladow, die augenblicklich einen großen Schritt von ihm weg machte.

      »Sind die Zimmer alle gleich aufgebaut?«, setzte Lenz seine Befragung fort.

      »In Trakt B ja«, antwortete die Residenz-Leiterin.

      »Haben Sie selbst Frau Gerken aufgefunden?«

      »Nein, Wolfgang hatte Dienst und war dafür zuständig, die Bewohner in diesem Trakt bei ihrer Morgentoilette zu unterstützen.«

      Lenz wandte sich dem Pfleger zu. »Beschreiben Sie uns bitte, wie Sie Frau Gerken aufgefunden haben.«

      »Na ja, sie lag ganz normal im Bett, als ich hereinkam. Ich dachte zuerst, sie würde noch schlafen, auch wenn das ungewöhnlich war. In diesem Trakt sind fast alle Bewohner Frühaufsteher. Ich habe versucht, sie zu wecken, und dabei festgestellt, dass sie nicht mehr lebte.«

      »Was heißt ›ganz normal‹? Lag sie auf dem Rücken oder auf der Seite?«

      »Auf dem Rücken.«

      »Und die Hände?«

      »Die hatte sie auf der Bettdecke … wie sagt man? … verschränkt.« Wolfgang legte seine Hände wie zum Gebet zusammen und zeigte sie Lenz.

      »Hm. Haben Sie noch selbst etwas unternommen oder gleich Frau Finke informiert?«

      »Ich habe den Notknopf betätigt und der Stationsleiterin gesagt, sie soll sofort die Notärztin alarmieren. Die kam dann auch kurz darauf und hat den Tod festgestellt.«

      »Können Sie sich sonst an irgendetwas Ungewöhnliches erinnern?«

      »Nein, wie gesagt: Alles war wie immer.«

      »Lag vielleicht etwas auf dem Nachttischchen? Oder auf dem Boden?«

      Wolfgang dachte einen Moment nach. »Da waren nur Frau Gerkens Herztabletten auf dem Nachttischchen und ein halb ausgetrunkenes Glas Wasser, sonst nichts.«

      »Frau Gerken hatte doch Herzprobleme?«

      »Na ja, das haben doch die meisten in dem Alter. Wahrscheinlich war einfach die Tanzveranstaltung