Der letzte Prozess. Thomas Breuer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Breuer
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839265208
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Gladow zog missbilligend die Augenbrauen zusammen, während Mario und Wolfgang aufsprangen und mit gesenkten Köpfen das Büro verließen.

      Lenz blickte die Kommissarin direkt an und ließ keinen Zweifel daran, dass es sich um eine Anweisung gehandelt hatte. »Lassen Sie sich bitte von Wolfgang zu Herrn Merschhaus und Frau Körting bringen«, fügte er hinzu. »Vielleicht haben die etwas bemerkt. Ich komme dann nach, wenn ich hier fertig bin.«

      Er verfolgte nun seinerseits belustigt, wie seine Kollegin trotzig den Kopf in den Nacken warf, den beiden jungen Männern folgte und die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ – gerade laut genug, um ein Zeichen zu setzen, ohne eindeutig subordinär zu wirken.

      »So, Frau Finke.« Lenz deutete auffordernd mit der Hand auf den freien Sessel. »Jetzt erzählen Sie mir mal etwas über Ihre beiden jungen Mitarbeiter.«

      »Was wollen Sie wissen?« Kerstin Finke nahm Platz.

      »Alles. Was sind das für Typen? Wie sind Sie mit ihrer Arbeit zufrieden? Wo liegen ihre Stärken, wo ihre Schwächen?«

      »Da weiß ich, ehrlich gesagt, gar nicht, wo ich anfangen soll.«

      »Wo Sie wollen. Ich habe Zeit.« Lenz legte sein charmantestes Lächeln auf und stellte erfreut fest, dass es wirkte.

      Kerstin Finke entspannte sich etwas, holte tief Luft und lehnte sich zurück. »Also, der Mario ist seit etwa einem halben Jahr bei uns. Er ist nicht gerade das, was ich unter einem gewissenhaften Bundesfreiwilligendienstler verstehe, aber er macht seinen Job. Sie haben ja selbst erlebt, dass er etwas … sagen wir: unkonventionell auftritt.«

      »Respektlos«, korrigierte Lenz. »Unverschämt und distanz­los.«

      »Na ja.« Kerstin Finke ließ ihren Kopf hin- und herpendeln. »Er wirkt so, das stimmt. Aber unter der coolen Fassade ist er, glaube ich, kein übler Kerl. Wir müssen leider heutzutage nehmen, was wir kriegen können. Wenn wir zu wählerisch wären, wäre der Pflegenotstand noch größer. Und was da in den letzten Jahren vor allem von den Gymnasien kommt … also Leistungsbereitschaft, Selbstdisziplin und Benehmen haben die jungen Leute kaum noch. Zum Glück sind wir ja bei unserer Arbeit nicht darauf angewiesen, dass sie rechnen, schreiben und lesen können. Damit ist es ja selbst bei Abiturienten nicht mehr so weit her.« Sie lachte.

      »Wolfgang ist ein anderer Typ«, formulierte Lenz seine Frage wie eine Feststellung.

      »Oh, ja. Wolfgang ist, verglichen mit seinen Altersgenossen, extrem gut erzogen, diszipliniert und sehr beliebt bei den Bewohnern. Die alten Leute halten viel von Respekt und Höflichkeit. Vor allem die, denen ich Wolfgang zugeteilt habe.«

      »Und sonst gibt es keine Pflegekräfte auf der Station?«

      »Doch, Pflegerin Michaela. Aber die hat momentan Urlaub und war nicht im Haus, als Herr Kottmann verschwunden ist. Deshalb muss Mario ja auch aushelfen, wenn Wolfgang Unterstützung braucht. Ab 20 Uhr beschäftigen wir reines Nachtpersonal. Für den Trakt B ist Rotraut Schumacher zuständig. Aber auch die war ja zum Zeitpunkt des Verschwindens von Herrn Kottmann nicht im Haus.«

      Lenz notierte sich die Namen. »Hat Ihrer Ansicht nach einer von den beiden jungen Männern irgendeinen Fehler gemacht, so dass Herr Kottmann Ihnen verlorengehen konnte?«

      »Nein. So etwas lässt sich einfach nicht verhindern. Das ist ja kein Gefängnis hier und keine geschlossene Anstalt. Unsere Bewohner bewegen sich absolut frei und ohne jede Bevormundung, sofern sie noch rüstig genug sind. Nur auf die Demenzkranken haben wir ein besonderes Auge. Natürlich auch nur in dem Rahmen, in dem wir das personell bewerkstelligen können. Ich gehe davon aus, dass Herr Kottmann aus eigenem Antrieb unser Gelände verlassen hat. Erst danach muss irgendetwas passiert sein.«

      »Also hat auch keiner der anderen Bewohner etwas bemerkt oder gesehen?«

      »Nein, wir haben alle befragt. Niemandem ist etwas aufgefallen. Auch nicht, dass Herr Kottmann das Haus verlassen hat.«

      »Gut, Frau Finke, ich möchte dann gerne noch Herrn Kottmanns Zimmer sehen.«

      »Wolfgang wird Sie hinführen«, entgegnete die Residenz-Leiterin. »Ich muss leider wieder an die Arbeit.« Sie griff zum Telefon, ließ sich den Pfleger geben, erteilte ihm die nötigen Anweisungen und wandte sich Lenz wieder zu. Ihr geschäftsmäßiges Lächeln machte deutlich, dass das Gespräch für sie damit beendet war.

      »Wenn Ihnen doch noch etwas einfallen sollte, rufen Sie mich an.« Lenz reichte ihr seine Visitenkarte. »Die Festnetznummer stimmt nicht mehr. Ich bin erst seit heute bei der Kripo in Paderborn. Aber über die Handynummer erreichen Sie mich immer.« Er stand auf und gab Kerstin Finke die Hand.

      »An ihrem ersten Tag haben Sie schon so einen unangenehmen Fall?« Sie hielt seine Hand einen Augenblick länger fest als notwendig.

      »Unangenehm sind meine Fälle eigentlich immer«, blieb Lenz ungenau und freute sich über ihr Mitgefühl. »Schließlich arbeite ich im Dezernat für Kapitalverbrechen.« Er nickte ihr noch einmal lächelnd zu und verließ das Büro.

      Kerstin Finke schloss die Tür hinter ihm. Schade, dachte Lenz. Wenn sie mich zu Kottmanns Zimmer begleitet hätte …

      Wolfgang erwartete ihn bereits auf dem Flur und führte ihn an einer Sitzgruppe vorbei, auf der einige alte Leute saßen und gerade von Gina Gladow befragt wurden. Dann bog der Pfleger nach links ab. Auch auf diesem Flur wirkte alles chic und viel freundlicher, als Lenz es von den Altersheimen gewohnt war, die er bisher gesehen hatte. Der Bodenbelag bestand aus hellem Vinyl in Holzoptik und an den weißen Wänden hingen farbenfrohe Drucke verschiedener Künstler. Lenz erkannte darunter auch ein signiertes Bild von Otmar Alt, dem Star der Hammer Kunstszene. Geldmangel schien in diesem Haus wohl eher unbekannt.

      Schließlich hielt Wolfgang vor einer Zimmertür. »Hier wohnt Herr Kottmann.«

      Lenz öffnete die Tür und deutete in den Raum. »Sehen Sie sich bitte genau um. Ist irgendetwas anders als sonst? Jetzt, da Sie wissen, dass Herr Kottmann möglicherweise ermordet wurde, fällt Ihnen vielleicht etwas auf, dem Sie vorher keine Beachtung geschenkt haben.«

      Der Pfleger betrat das Zimmer, blieb in der Mitte stehen und drehte sich langsam um seine eigene Achse, während Lenz die Aussicht durch das Fenster auf die tief unter ihm liegenden Flussauen bewunderte.

      »Nein, alles wie immer«, sagte Wolfgang schließlich.

      »Gut, dann warten Sie bitte draußen«, ordnete Lenz an.

      In diesem Moment tauchte seine Kollegin hinter ihm auf. »Und?«, erkundigte er sich. »Haben dieser Merschhaus und die Frau – wie hieß die doch gleich?«

      »Körting.«

      »Frau Körting, richtig. Haben die beiden etwas über das Verschwinden von Anton Kottmann aussagen können?«

      »Nein. Kottmann ist gegen halb fünf reingegangen, weil es ihm zu frisch wurde. Danach haben sie ihn nicht mehr gesehen.«

      »Hmh«, machte Lenz nachdenklich. »Nicht schön, das. Gar nicht schön.«

      Gina Gladow musterte ihn belustigt.

      Lenz ignorierte den Blick. »Sehen Sie im Bad nach, ob Sie einen Kamm oder eine Zahnbürste für den DNA-Abgleich finden.«

      Er selbst wandte sich dem Kleiderschrank zu und öffnete ihn. Hosen und Hemden hingen über Kleiderbügeln und entsprachen den Marken, die der Tote getragen hatte. Die Unterhemden in einem der kleineren Fächer waren penibel ausgerichtet und selbst die Stofftaschentücher lagen glattgebügelt und auf Kante gestapelt da. So etwas hatte Lenz zuletzt während seiner Ausbildung in der Polizeikaserne gesehen, allerdings auch nur als Beispiel für die korrekte Ordnung und nicht in seinem eigenen Spind.

      Gina Gladow kam mit einem Plastikbeutel aus dem Badezimmer und zeigte Lenz die Zahnbürste, bevor sie sich an die Durchsuchung des Nachtschränkchens neben dem Bett machte.

      »Oh, was haben wir denn hier?« Sie hielt ein zusammengefaltetes hellrotes Stück Pappe hoch, auf dem die Hälfte eines Hakenkreuzes zu sehen war. Seine Kollegin faltete es auseinander