Abbildung 1: Die Beliebtheit des Kohlenstoffatoms geht in erster Linie auf seine sechs Elektronen zurück, während die Atommasse 12 durch sechs Neutronen und sechs Protonen begründet ist.
Der Kohlenstoff ist wesentlich älter als die Erde (die es erst seit 4,6 Milliarden Jahren gibt), aber jünger als das Universum. Er ist über Milliarden von Jahren in den unterschiedlichsten Sternen diverse chemische Verbindungen eingegangen und hat diese wieder verlassen, ehe er zu einem Bestandteil des Lebens wurde – von den ersten Bakterien über die Bäume und Dinosaurier bis zu dir und mir. Selbst ein paar Hundert Millionen Jahre Speicherung in Form von Kohle, Öl oder Gas haben für den Kreislauf des Kohlenstoffs von Ewigkeit zu Ewigkeit kaum Bedeutung. Aber seit wann ist uns der Kohlenstoff bekannt?
Was die Geschichte wissenschaftlicher Entdeckungen angeht, richten wir unseren Blick gern als erstes auf die Page 24alten Griechen. Was den Kohlenstoff angeht, müssen wir aber noch weiter zurück. Es dauerte zwar eine ganze Weile, bis wir die Verbrennung verstehen und chemisch oder physikalisch erklären konnten, aber seit wir die Magie des Feuers und seine zerstörerische Kraft kennen (also seit der Steinzeit), ist uns auch die Holzkohle bekannt und wurde zu gewissen Teilen auch genutzt. (Der Begriff Karbon stammt im Übrigen aus dem Lateinischen und bedeutet verbranntes Holz – carbo). Früher hat man die Natur eingeteilt in die Kategorien brennbar – wie Holz – oder nicht brennbar – wie Stein oder Sand. Das Gegenstück zum Feuer war das Wasser, des Feuers eingeschworener Feind. Damals wusste natürlich noch niemand, dass das, was das Feuer nährte und was das Feuer löschte, beides zu großen Teilen aus Sauerstoff bestand, oder dass das Endprodukt der Verbrennung CO2 ist.
Dass die Reaktion, durch die uns das Feuer Wärme von außen schenkt, im Grunde dieselbe ist, durch die uns der Körper im Inneren Energie und Leben spendet, wäre wohl den meisten unbegreiflich gewesen. In beiden Fällen handelt es sich um in den Pflanzen gespeicherte Sonnenenergie, die als CO2 freigesetzt wird. Das Feuer selbst ist uralt, vermutlich kennen wir Menschen es so lange wie den aufrechten Gang. Am Lagerfeuer zu sitzen, am besten am Wasser, mit freier Sicht und einer schützenden Stütze für den Rücken, ist ein Ritual, das irgendwo tief in uns verwurzelt ist, vielleicht sogar in unseren Genen. Und wenn sich an solchen Orten dann ein steinerner, mit Asche gefüllter Ring findet, markiert dieser eine ungebrochene kulturelle Linie von der Entstehung unserer Art bis heute. Wir wissen nicht, ob unsere Ahnen am Feuer sich darüber gewundert haben, wie ein kaltes Stück Holz plötzlich eine solche Wärme von sich geben und sich schließlich in Asche verwandeln konnte. Vermutlich gingen aber einem im Kreis um das Lagerfeuer solche Gedanken durch den Kopf. Die Menschen waren schon Page 25immer erpicht darauf, die ursächlichen Zusammenhänge zu verstehen. Aber obwohl das Feuer eine wichtige Rolle in unserer Vorgeschichte eingenommen hat, blieb seine wohlige wie zerstörerische Kraft lange ein Mysterium.
Feuer und Verbrennung sind entscheidend, nicht nur, um Kohlenstoff und Sauerstoff miteinander zu verbinden, sondern auch für den gesamten Kohlenstoffkreislauf, ganz zu schweigen vom Wechsel zwischen den Haupt typen des Kohlenstoffs. Das Feuer ist überdies essenziell für unseren eigenen Stoffwechsel und unsere Evolution.6 Das menschliche Hirn hat eine bemerkenswert schnelle Entwicklung gemacht, sowohl was seine Größe als auch was seine Fähigkeiten angeht. Unsere nächsten noch lebenden Verwandten, die Schimpansen, haben ein Hirnvolumen von 300–500 cm3. Bei unseren größeren, wenn auch etwas entfernteren Verwandten, den Gorillas, beträgt es 400–700 cm3. Der Frühmensch Homo habilis hatte vor 1,7 Millionen Jahren noch ein Hirnvolumen vergleichbar mit dem der Gorillas. Schon 700.000 Jahre später näherte sich das Hirnvolumen des Homo erectus 1.500 cm3. Seither ist es etwa gleich geblieben oder sogar zurückgegangen, sodass der Neandertaler noch ein etwas höheres Hirnvolumen hatte als wir heute. Aber das Volumen ist nicht alles. Entscheidend sind auch die enorme Dichte der Neuronen und die gute Isolation der Nervenfasern. Dazu finden sich moderne Hirnabschnitte wie die Stirnlappen, in denen große Teile des Ich-Gefühls sowie die Fähigkeit zur abstrakten Reflexion und zum ethischen Urteilsvermögen beheimatet sind.
Die gewaltige Hirnkapazität fordert aber auch ihren Page 26Tribut in Form von Energie. Mehr als 20 Prozent unseres Energieverbrauchs werden für ein Organ benötigt, das alles in allem nur bescheidene 2 Prozent des Körpergewichts ausmacht. Heute und in unserem gut genährten Teil der Welt ist dieser Energiebedarf kein Problem mehr. In anderen Teilen der Welt sieht das jedoch anders aus, und historisch gesehen war es ein hoher Preis, den zu bezahlen sich trotzdem gelohnt hat.
Aber wo kommen das Lagerfeuer und der Kohlenstoff ins Spiel? Die Antwort, behauptet Richard Wrangham, liegt im Titel seines Buches Catching Fire. How cooking made us human.7 Vermutlich zogen wir bereits vor mehr als 100.000 Jahren Nutzen aus dem Feuer, und schon davor beobachteten unsere Vorfahren, dass es nach einem Savannenbrand leicht war, verendetes Wild zu finden, und dass dieses Wild wesentlich leichter zu essen war. Diese Tatsache muss sie auf die Idee gebracht haben, das Feuer strategisch zu nutzen, um das Wild zu jagen oder zu verbrennen, und da alle Tiere das Feuer fürchteten, konnte ein brennender Zweig einen ansonsten so furchteinflößenden Löwen auf Abstand halten. Das Feuer wurde vom Feind zum Freund. Das Braten über dem Feuer und schließlich das Kochen waren überdies eine ausgezeichnete Art, um Parasiten und Bakterien in und auf dem Essen zu töten. Das Feuer veränderte nicht nur die Chemie des Essens, sondern auch seine – und unsere – Biologie. Gebratenes oder gekochtes Essen ist leichter zu kauen und macht damit einen Teil der Kiefermuskulatur und der massiven Kieferpartien überflüssig. Überdies ist es leichter zu verdauen. Es ist harte Arbeit, über rohes Essen genug Energie aufzunehmen, und während andere Primaten rund 20–30 Prozent ihres eigenen Körpergewichts aufnehmen müssen, um ihren Energiebedarf zu decken, und dafür einen ganzen Tag brauchen, kommen wir mit Page 27nur 5 Prozent und viel weniger Zeit aus. Nahrungsmittel wie Weizen, Reis und Kartoffeln, die in rohem Zustand beinahe unverdaulich sind, konnten so zu einem zentralen Bestandteil unserer Ernährung werden. Das Feuer war damit ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum modernen Menschen und unserer Vorherrschaft über die Natur – auf jeden Fall gewisser Teile davon. Wir konnten auf diese Weise genug Energie aufnehmen, um uns ein größeres Hirn und ein einfacheres Verdauungssystem zu leisten, und hatten mehr Zeit, um soziale Verbindungen zu pflegen (eine weitere Ursache für mehr Hirnmasse), praktische Probleme zu lösen und uns zu fragen, wie Dinge brennen können.
Vielleicht saß schon vor 50.000 Jahren ein Jugendlicher an einem ausgebrannten Feuer, nachdem der Rest der Gruppe satt eingeschlafen war, und fragte sich, wohin das Holz verschwunden war. Schließlich waren nur noch ein paar schwarze Brocken und etwas Asche da. Vielleicht fragte er sich, warum seine Finger schwarz wurden, wenn er in die Asche griff. Vielleicht strich er sich verwundert über den Arm oder zeichnete ein paar Striche auf einen Stein. Vielleicht war es genau eine solche nachdenkliche Stunde, die dann jemanden bewog, vom Lagerfeuer aufzustehen und das erste stilisierte Mammut aus Dankbarkeit für das Feuer und das Leben an die Höhlenwand zu zeichnen.
Die Holzkohle ist also ein alter Bekannter. Diese Form von Kohlenstoff ist uns seit der Zeit des Homo sapiens bekannt und wird seit rund 40.000 Jahren auch für künstlerische Zwecke genutzt. Eine Vielzahl von teilweise sehr naturalistischen Tier- und Handzeichnungen (die Signatur des Künstlers?) wurde allein mit Holzkohle oder einer Mischung mit anderen Farben erstellt. Die Tatsache, dass dieselbe Art von Kunst aus der derselben Epoche sowohl in Europa als auch in Indonesien zu finden ist, kann darauf hindeuten, dass sie schon vor dieser Zeit existiert Page 28hat. Vielleicht wurde sie aus Afrika mitgebracht. Aber wie kann man wissen, dass die ersten Felszeichnungen vor 40.000 Jahren entstanden? An dieser Stelle treten die radioaktiven Isotope des Kohlenstoffs auf den Plan. Diese kann man für die sogenannte Radiokarbondatierung heranziehen.
Das Ganze basiert auf der Tatsache, dass alle lebenden Organismen eine kleine Menge des radioaktiven Isotops 14C in sich tragen. Solange der Organismus am Leben ist, bleibt das Verhältnis zum »normalen« Kohlenstoff (12C) konstant. Stirbt