Die Pickwickier. Charles Dickens. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles Dickens
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783961183319
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füllten die Luft um ihn her, die dunkelgrünen Wiesen glänzten im Morgentau, der auf jedem Blättchen schimmerte, wie es im sanften Lufthauch erzitterte, und die Vögel sangen, als wäre jeder funkelnde Tropfen eine Quelle der Begeisterung. Mr. Pickwick versank in eine süße, wonnige Träumerei, aus der ihn plötzlich ein lautes "Hallo" weckte.

      Er wandte sich nach rechts, sah aber niemand, er spähte nach links und suchte, irgend etwas Außergewöhnliches zu entdecken. Alles vergeblich. Er sah zu den Wolken empor, aber sie schienen sein nicht zu begehren. Endlich tat er, was ein gewöhnlicher Mensch gleich anfangs getan haben würde: er sah in den Garten, und richtig – da stand Mr. Wardle.

      "Ausgeschlafen?" fragte der gutmütige Herr fröhlich. "Ein schöner Morgen, wie? Freut mich, daß Sie so früh auf sind. Geschwind, kommen Sie herunter, ich warte hier auf Sie."

      Mr. Pickwick ließ sich das nicht zweimal sagen, und nach 7ehn Minuten stand er an der Seite des alten Herrn.

      "Hallo!" sagte er, als er seinen Wirt, mit einer Flinte bewaffnet und eine zweite neben ihm im Grase, sah. "Was haben Sie vor?"

      "Ihr Freund und ich wollen vor dem Frühstück ein paar Krähen schießen. Er ist doch ein famoser Schütze – oder?"

      "Er behauptet es wenigstens", erwiderte Mr. Pickwick. "Allerdings war ich noch nie Zeuge."

      "Na", sagte der alte Herr, "ich wollte, er käme endlich. Joe – Joe!"

      Der fette Junge, der unter dem belebenden Einfluß der Morgenluft nicht halb so schläfrig zu sein schien als sonst, trat aus dem Hause.

      "Geh hinauf und rufe den Herrn. Sag ihm, er kann mich und Mr. Pickwick beim Krähenhorst finden. Zeig dem Herrn den Weg, hörst du?"

      Der Knabe entfernte sich gehorsam, und der alte Herr verließ, ein zweiter Robinson Crusoe, beide Flinten auf den Schultern, mit seinem Begleiter den Garten.

      "Hier sind wir an Ort und Stelle", sagte er, als sie nach einem Gang von wenigen Minuten in eine Allee gekommen waren.

      Die Bemerkung war unnötig, denn das unaufhörliche Gekrächze der ahnungslosen Krähen verriet ihren Aufenthalt ohne weiteres.

      Der alte Herr legte die eine Flinte auf den Boden und lud die andre.

      "Da kommen sie", sagte Mr. Pickwick und deutete auf die Gestalten der Herren Tupman, Snodgraß und Winkle im Hintergrunde. Der fette Junge, ungewiß, welchen Herrn er holen sollte, brachte scharfsinnigerweise alle drei, um jedem Irrtum vorzubeugen.

      "Kommen Sie", rief der alte Wardle, sich an Mr. Winkle wendend, "ein Nimrod wie Sie sollte schon lange bei der Hand sein, und wenn's sich auch nur um Krähen handelt."

      Mr. Winkle antwortete mit einem gezwungenen Lächeln und nahm die herrenlose Flinte mit der Miene eines philosophischen armen Sünders, der den Tod durch den Strick vor sich sieht. Vielleicht war es Mut, aber immerhin sah es der Angst merkwürdig ähnlich.

      Der alte Herr winkte, und zwei zerlumpte Jungen begannen alsbald auf zwei der Bäume zu klettern.

      "Was haben die Burschen vor?" fragte Mr. Pickwick hastig.

      Er war etwas unruhig, denn er wußte nicht, ob sich die Jungen nicht vielleicht aus Armut, wie er schon so oft gehört hatte, zur Zielscheibe ungeschickter Schützen hergeben wollten, um sich durch dieses gefährliche Mittel einen kläglichen Erwerb zu sichern.

      "Nur das Wild zu stellen", antwortete Mr. Wardle lachend.

      "Wozu?" fragte Mr. Pickwick.

      "Nun, in schlichten Worten: um die Krähen aufzuscheuchen."

      "Oh! Sonst nichts?"

      "Sind Sie jetzt beruhigt?"

      "Vollkommen."

      "Schön. Soll ich anfangen?"

      "Wie's gefällig ist", sagte Mr. Winkle, froh ob der Galgenfrist.

      "Treten Sie zur Seite. Also los."

      Der Junge schrie und schüttelte einen Ast, auf dem sich ein Nest befand. Ein halb Dutzend junger Krähen, in lebhafter Unterhaltung begriffen, flog auf, um zu sehen, was es gäbe. Der alte Herr gab Feuer. Eine fiel herunter, und die andern flogen davon.

      "Nimm sie, Joe", sagte der alte Herr.

      Ein Lächeln umspielte das Antlitz des Jungen. Unbestimmte Visionen von einer Krähenpastete umgaukelten seine Seele. Er lachte, als er mit dem Vogel zurückkam. – Er war sehr fett. Der Vogel nämlich.

      "Nun, Mr. Winkle", sagte der alte Herr, seine Flinte von neuem ladend, "schießen Sie!"

      Mr. Winkle trat vor und legte an. Mr. Pickwick und seine Freunde bückten sich unwillkürlich, um den Krähen auszuweichen, die; wie sie zuversichtlich glaubten, auf den mörderischen Schuß ihres Freundes hageldicht herabfallen würden. Eine feierliche Pause – die Jungen auf den Bäumen schreien – Flügelschläge – ein Laut wie vom Schnappen eines Hahnes.

      "Hallo?" rief der alte Herr.

      "Will es nicht losgehen?" fragte Mr. Pickwick.

      "Es hat versagt", antwortete Mr. Winkle, totenbleich, wahrscheinlich vor Enttäuschung.

      "Seltsam", sagte der alte Herr, die Flinte betrachtend. "Sie hat noch nie versagt. Aber Sie haben ja kein Zündhütchen drauf."

      "Meiner Treu", sagte Mr. Winkle, "das habe ich ganz vergessen."

      Die Sache war bald in Ordnung gebracht, und Mr. Pickwick bückte sich abermals. Mr. Winkle trat mit entschloßner Miene vor, und Mr. Tupman lugte hinter einem Baum hervor. Der Junge schrie – vier Vögel flogen auf. Mr. Winkle drückte ab. Da. Ein Schrei. – Nicht von einer Krähe. – Ein Angstschrei. Mr. Tupman hatte das Leben unzähliger Krähen gerettet, indem er einen Teil der Ladung mit dem linken Arm aufgefangen hatte.

      Die Verwirrung, die jetzt folgte, spottete jeder Beschreibung. In der ersten Aufregung nannte Mr. Pickwick Mr. Winkle ein "Scheusal", Mr. Tupman lag am Boden, und Mr. Winkle kniete, von Entsetzen geschüttelt, neben ihm. Mr. Tupman flüsterte, geistesabwesend, einen weiblichen Taufnamen und schloß zuerst das eine und dann das andre Auge. Erst allmählich kehrte er wieder ins Leben zurück, als man seinen Arm mit Taschentüchern verband und ihn, gestützt, langsamen Schrittes nach Hause führte.

      So näherte sich der Zug dem Landhaus. Die Damen standen an der Gartentür und warteten auf die Ankunft der Schützen zum Frühstück. Die jugendliche Tante zeigte sich, lächelte und winkte den Herren, schneller zu gehen. Sie ahnte nicht, was vorgefallen. Armes Geschöpf! Es gibt Fälle im menschlichen Leben, wo Unwissenheit ein Glück ist. Sie kamen näher.

      "Aber was hat denn der alte Herr?" fragte Isabella Wardle.

      Jungfer Tante achtete nicht auf die spöttische Frage; sie glaubte, sie bezöge sich auf Mr. Pickwick. In ihren Augen war Tracy Tupman ein Jüngling; sie betrachtete seine Jahre durch ein Verkleinerungsglas.

      "Nur keine Aufregung", rief Mr. Wardle, um seine Töchter nicht zu beunruhigen, die wegen des Gedränges um Mr. Tupman die wahre Natur des Unfalls nicht genau zu erkennen vermochten. "Nur keine unnötige Aufregung." "Was ist denn geschehen?" riefen die Damen. "Mr. Tupman ist ein kleiner Unfall zugestoßen. Das ist alles."

      Die jungfräuliche Tante stieß einen durchdringenden Schrei aus, bekam einen hysterischen Lachkrampf und sank ihren Nichten in die Arme.

      "Bespritzt sie mit kaltem Wasser", riet der alte Herr.

      "Nein, nein", murmelte die jungfräuliche Tante, "es ist mir schon besser. Bella, Emilie, einen Arzt! Ist er verwundet? – Ist er tot? – Ist er ... Hahaha!" Ein zweiter Lach- und Weinkrampf befiel sie.

      "Beruhigen Sie sich", sagte Mr. Tupman, durch diesen Beweis von Teilnahme bis zu Tränen gerührt. "Teuerstes Fräulein, beruhigen Sie sich."

      "Es ist seine Stimme!" rief die Tante, und heftige Symptome eines dritten Anfalls stellten sich ein.

      "Seien Sie unbesorgt, ich bitte Sie, meine Teuerste", bat Mr. Tupman in einschmeichelndem