Die Pickwickier. Charles Dickens. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles Dickens
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783961183319
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sein Entzücken keine Grenzen.

      "Kann es etwas Schöneres, etwas Herrlicheres geben?" fragte er Mr. Winkle.

      "Nein", erwiderte der Angeredete, dem schon seit einer Viertelstunde ein untersetzter Mann auf den Zehen stand.

      "In der Tat, ein großartiger, ein überwältigender Anblick", rief Mr. Snodgraß, in dessen Brust plötzlich das Feuer der Dichtkunst aufloderte. "Die tapfern Verteidiger des Vaterlandes im Strahlenglanz vor den friedlichen Bürgern zu sehen, die Gesichter glühend – nicht von kriegerischer Wildheit, nein, von gesitteter Disziplin –, die Augen flammend, nicht von dem rohen Feuer der Raublust oder der Rachgier, nein, von dem sanften Lichte der Humanität und Intelligenz."

      Mr. Pickwick ging vollkommen in den Geist dieser Lobrede ein, konnte ihr jedoch nicht buchstäblich beipflichten, denn das sanfte Licht der Intelligenz brannte doch ziemlich schwach in den Augen der Krieger – als der Ruf ertönte: "Augen grrad aus!", und die Zuschauer einige Tausend Sehorgane vor sich hatten, die ohne allen Ausdruck gerade vor sich hin starrten.

      "Wir haben uns hier trefflich postiert", sagte Mr. Pickwick, sich nach allen Seiten umschauend. Die Menge hatte sich nämlich nach und nach verlaufen, und die Herren waren beinahe allein.

      "Vortrefflich", bestätigten Mr. Snodgraß und Mr. Winkle.

      "Was geschieht jetzt?" fragte Mr. Pickwick und setzte seine Brille auf.

      "Ich – ich – glaube fast", sagte Mr. Winkle und wurde blaß, "ich glaube fast, sie wollen schießen."

      "Unsinn", versetzte Mr. Pickwick hastig.

      "Ich – ich – glaube wirklich, es ist so", bestätigte Mr. Snodgraß etwas unruhig.

      "Unmöglich", widersprach Mr. Pickwick. Aber kaum war das Wort seinem Munde entflohen, da legte das ganze halbe Dutzend Regimenter die Gewehre an, als hätten sie alle ein und dasselbe Ziel, nämlich die Pickwickier, und gaben die fürchterlichste Salve ab, die je die Erde erschütterte oder einen ältlichen Herrn aus der Fassung brachte.

      In dieser schreckensvollen Lage, auf der einen Seite dem verderblichen Feuer blanker Gewehrläufe ausgesetzt und auf der ändern von den anrückenden Truppen bedrängt, zeigte Mr. Pickwick die ganze Kaltblütigkeit und Selbstbeherrschung, die von einem großen Geiste unzertrennlich sind. Er faßte Mr. Winkles Arm, drängte sich zwischen ihn und Mr. Snodgraß und bat die Herren ernstlich, zu bedenken, daß, außer der Möglichkeit, durch den Lärm des Gehörs beraubt zu werden, vom Schießen unmittelbar keine Gefahr zu gewärtigen sei.

      "Aber – aber – angenommen, einer von den Soldaten würde sich zufälligerweise vergreifen und scharf laden?" stellte ihm Mr. Winkle vor, schon bei dem bloßen Gedanken erbleichend. "Ich habe ein Zischen gehört – ssswt – hart an meinen Ohren vorbei."

      "Sollten wir uns nicht lieber flach auf den Boden werfen?" fragte Mr. Snodgraß.

      "Nein, nein, es ist schon vorüber", antwortete Mr. Pickwick. Seine Lippen bebten, und seine Wangen erbleichten, aber kein Wort der Furcht oder Bestürzung entfloh den Lippen des unsterblichen Mannes.

      Mr. Pickwick hatte recht; das Feuer wurde eingestellt, aber kaum blieb ihm Zeit, sich wegen der Richtigkeit seiner Meinung Glück zu wünschen, als Leben in die Reihen der Krieger kam. Der heisere Ruf des Kommandos lief die Front entlang, und ehe sich noch einer der Herren in Mutmaßungen über das neue Manöver ergehen konnte, rückte das ganze halbe Dutzend Regimenter mit gefälltem Bajonett im Sturmschritt auf die Stelle zu, die Mr. Pickwick und seine Freunde einnahmen.

      Der Mensch ist sterblich, und es gibt einen gewissen Punkt, über den Mannesmut nicht hinaus kann. Einen Augenblick starrte Mr. Pickwick die anrückenden Truppen durch seine Brille an, drehte ihnen dann den Rücken – um den Ausdruck, er floh, erstens als ungebührlich zu vermeiden, und zweitens, weil die Figur des Gelehrten sich durchaus nicht zu dieser Art von Rückzug eignete – und trabte von dannen, immerhin jedoch so schnell, wie es die Beschaffenheit seiner Beine erlaubte. Ja, er beeilte sich so sehr, daß er das Fürchterliche seiner Lage in seinem ganzen Umfange nicht eher erfaßte, als bis es zu spät war.

      Die Truppen, die Mr. Pickwick vor wenigen Sekunden durch ihren Anmarsch außer Fassung gebracht hatten, rückten vorwärts, um den Scheinangriff der Belagerer der Zitadelle zu erwidern, und die Folge davon war, daß der Meister und seine beiden Jünger sich plötzlich zwischen zwei Linien von unabsehbarer Ausdehnung eingeschlossen sahen. Die eine rückte im Sturmschritt vor, und die andere erwartete mutig den Angriff.

      "Hoi!" schrien die Offiziere der Sturmkolonnen.

      "Weg da!" riefen die Offiziere der Verteidigungslinie.

      "Wohin denn?" kreischten die bestürzten Pickwickier.

      "Hoi! Hoi! Hoi!" war die ganze Antwort.

      Es war ein Augenblick grauenvoller Verwirrung; die Erde bebte unter den Tritten der stürmenden Truppen. Ein ersticktes Gelächter; das halbe Dutzend Regimenter war nur noch ein halbes Tausend Meter entfernt, und die Sohlen von Mr. Pickwicks Stiefeln schwebten in den Lüften.

      Mr. Snodgraß und Mr. Winkle hatten jeder mit bewunderungswürdiger Gewandtheit einen unfreiwilligen Purzelbaum geschlagen, und das erste, was sie sahen, war ihr hochverehrter Meister, der in einiger Entfernung seinem in lustigen Sätzen dahinrollenden Hute nachlief.

      Es gibt wenige Augenblicke im menschlichen Leben, in denen man mit seinem Mißgeschick so wenig auf Verständnis oder Mitleid stößt, als wenn man seinem Hut nachläuft. Es gehört keine geringe Kaltblütigkeit und ein hoher Grad von Beurteilungskraft dazu, einen fortrollenden Hut wieder einzufangen. Eile ist unangebracht: man überrennt ihn; verfällt man in das entgegengesetzte Extrem, verliert man ihn. Da heißt es, den Flüchtling genau im Auge behalten, behutsam und vorsichtig sein, die Gelegenheit scharf abpassen, ihm allmählich vorkommen, dann plötzlich die Hand ausstrecken, ihn bei der Krempe packen und fest auf das Haupt stülpen. Und dabei nur ja freundlich lächeln, als mache einem der Vorfall genausoviel Spaß wie dem lieben Zuschauer!

      Eine zarte Brise wehte, und Mr. Pickwicks Hut rollte spielend dahin. Der Wind blies stärker und Mr. Pickwick desgleichen, und lustig schoß der Hut dahin, wie das Fischlein in der klaren Flut, und wäre wohl außer seines Herrn Bereich gerollt, hätte nicht in dem Augenblick, als Mr. Pickwick eben im Begriffe stand, ihn seinem Schicksale zu überlassen, eine höhere Hand eingegriffen.

      Mr. Pickwick war nämlich völlig erschöpft und, wie gesagt, eben im Begriff, die Jagd aufzugeben, als der Hut mit einiger Heftigkeit an das Rad eines Wagens getrieben wurde, der neben einem halben Dutzend andrer Fuhrwerke stand, und zwar an der Stelle, auf die der Gelehrte zusteuerte. Seinen Vorteil wahrnehmend, sprang Mr. Pickwick rasch vor, versicherte sich seines Eigentums, stülpte es auf seinen Kopf und hielt inne, um Atem zu schöpfen. Noch keine halbe Minute hatte er so dagestanden, da hörte er sich laut beim Namen rufen und erkannte mit einem Male die Stimme Mr. Tupmans. Er blickte auf und sah ein Bild, das ihn mit Verwunderung und Freude erfüllte.

      In einer offnen Halbchaise, deren Pferde ausgespannt waren, um mehr Platz auf dem engen Raum zu schaffen, saß ein stattlicher alter Gentleman in einem blauen Rock mit Wanken Knöpfen, Manchesterbeinkleidern und Stulpenstiefeln, zwei junge Damen mit Schleier und Federhüten, ein junger Herr, der in eine der beiden jungen Damen mit Schleier und Federhüten verliebt zu sein schien, eine Dame von schwer abzuschätzendem Alter – wahrscheinlich die Tante der Vorerwähnten – und Mr. Tupman, so behaglich und ungeniert, als ob er von jeher zur Familie gehört hätte. Hinten auf der Chaise war ein Korb von ansehnlicher Größe aufgepackt – einer von jenen Körben, die in einem kontemplativen Geiste Vorstellungen von kaltem Geflügel, Zungen und Weinflaschen erwecken –, und auf dem Bock saß in einem Zustand von Schlaftrunkenheit ein fetter rotbackiger Junge, den kein spekulativer Beobachter einen Augenblick betrachten konnte, ohne in ihm nicht mit Sicherheit eine Person zu erkennen, die dazu berufen sein mußte, den Inhalt des vorerwähnten Korbes zur geneigten Zeit zutage zu fördern.

      Mr. Pickwick hatte kaum einen hastigen Blick auf diese anziehenden Gegenstände geworfen, als er abermals von seinem treuen Schüler begrüßt wurde.

      "Pickwick, Pickwick", rief Mr.Tupman, "geschwind,