»So schnell wie möglich wäre mir recht. Ich habe diese Stadt gründlich satt.«
»So schnell wie möglich ist morgen«, sagte Krona stur. Entnervt stand Fenrir auf und stellte sich ans Fenster.
»Ich komme gerade aus einem Gefängnis«, sagte Krona. »Meint ihr nicht, ich habe eine Pause verdient?«
»Ist ja gut«, sagte Lomir. »Schließlich haben wir die Pferde noch nicht. Ich schlage vor, wir brechen morgen in aller Frühe auf, und ich gehe mich jetzt um die Pferde kümmern.«
»Einverstanden«, sagte Pintel. »Bitte für mich ein kleines Braves.«
»Ich werde sehen, was ich tun kann.« Lomir erhob sich.
»Und ich beginne umgehend meine mehr als verdiente Pause«, sagte Krona. »Dieses Zimmer ist für mich gedacht, oder? Also, dann raus mit euch allen. Zerbrecht euch woanders eure Köpfe.«
»Dein Wunsch sei uns Befehl«, sagte Pintel sanft und rutschte von seinem Stuhl. Die anderen folgten ihm. Fenrir verließ als Letzter den Raum und zog geräuschvoll die Tür hinter sich ins Schloss.
Jetzt, da die Anspannung allmählich wich, breitete sich tiefe, dunkle Müdigkeit in Krona aus. Sie gähnte und stützte sich schwer auf den Tisch, kam endlich in die Höhe und taumelte mehr als sie ging zu dem einladend mit weißen Laken bezogenen Bett hinüber. Sie schlief, kaum dass ihr Kopf das Kissen berührte.
»Besuch«, sagte Jolnir und blinzelte gegen die tief stehende Herbstsonne.
Gendig Runenmeister schubste ihn sachte mit dem Griff seines Krückstockes.
»Lass dich nicht ablenken. Ein sauberes Orda ist unverzichtbar, wenn deine Zauber gelingen sollen. Lies den letzten Absatz nochmal.«
Doch Jolnir gehorchte nicht. Es hielt ihn nicht auf seinem Stein, er sprang auf und streckte sich, um besser zu sehen. Das Buch rutschte aus seinen Händen und fiel zu Boden. Missbilligend und mit steifem Rücken bückte Gendig sich, um es aufzuheben.
»Alle Götter!«, rief Jolnir. »Es sind Fremde. Sie müssen wirklich von weither kommen. Sie haben Menschen dabei!«
Gendig stützte sich auf seinen Stock und lehnte sich nach vorne. Dort, wo der Weg ins Tal führte, war tatsächlich Bewegung, dunkle Flecken erschienen zwischen den roten, vom Wind leicht bewegten Ahornflecken, und jetzt hörte er auch das Knirschen von Sand und kleinen Steinen. Er gab nicht gern zu, wie schlecht seine Augen geworden waren, und war dankbar, dass zumindest sein Gehör ihn nicht im Stich ließ.
»Ich wünsche Euch einen guten Tag, ehrenwerter Meister der Runen«, sagte eine Stimme in der Zwergensprache, und aus dem Flecken der Wanderer lösten sich zwei Gestalten, die näher kamen und einige Schritte vor Gendigs Sitz verharrten.
»Kommt näher«, verlangte Gendig und kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen. Die beiden folgten seiner Aufforderung, und langsam schälten sich ihre Gesichtszüge aus dem diffusen Nebel, der über allem lag. Der eine war ein junger Zwerg, groß und schlank und mit ernsten braunen Augen. Er überragte seinen Begleiter um Haupteslänge, obwohl dieser kein Zwerg zu sein schien, Gendig dachte zuerst, er hätte ein Menschenkind vor sich, bis der kleine Fremde näher kam und er sein Gesicht erkennen konnte, das nicht das eines Kindes war, obwohl die riesigen blauen Augen ihm etwas Kindliches verliehen.
»Mein Name ist Nardon Haltir«, sagte der Zwerg, »und dies ist Pintel Luffelheim. Wir kommen von weit her, um Euch zu sprechen.«
»Tag, zusammen«, sagte der Kleine in schrecklichem Zwergisch und lächelte ansteckend.
»Seid gegrüßt«, sagte Gendig. »Ihr mögt auch meinen Enkel begrüßen, Jolnir Felsspalter.«
»Hallo«, sagte Jolnir und musterte die Neuankömmlinge interessiert.
»Ist es möglich, diese Unterhaltung in der Sprache der Menschen zu führen?«, fragte der Zwerg, der sich als Nardon vorgestellt hatte. »Die Zwergisch-Kenntnisse meines Begleiters sind leider lückenhaft.«
»Natürlich«, sagte Gendig. »Es ist eine Weile her, aber es wird gehen.«
»Prima«, sagte der Kleine namens Pintel und strahlte. »Jetzt verstehe ich Euch. Vielen Dank.«
»Was ist mit Euren Begleitern?«, fragte Gendig und deutete mit seinem Stock auf die verschwommenen Umrisse der anderen Fremden, die sich einige Schritte abseits hielten.
»Ich bat sie, etwas zurückzubleiben«, erklärte der Zwerg. »Der Höflichkeit halber. Wir wollten Euch nicht fünf Mann hoch überfallen wie die Wegelagerer.«
»Sehr rücksichtsvoll«, sagte Gendig. »Ich bin erfreut, zu sehen, dass es noch gutes Benehmen gibt bei der Jugend. Nun, was führt Euch zu mir? Ich gestehe, ich bin neugierig. Ich empfange wenig Besuch von Fremden.«
»Erinnert Ihr Euch an einen gewissen Mandor Markholt, einen Kaufmann aus Halmesholm?«, fragte Nardon.
»Natürlich«, sagte Gendig. »Ein junger, sehr geschäftstüchtiger Mensch. Ich kannte auch seinen Vater und dessen Vater. Kaufleute mit Leib und Seele. Wie geht es dem jungen Mandor?«
Nardon räusperte sich. »Er ist leider tot. Im Alter von achtundsechzig Jahren verstorben - ein respektables Alter für einen Menschen.«
»Du liebe Güte«, sagte Gendig staunend und betroffen. »Wie die Zeit vergeht.«
»Er starb im Kreise seiner Lieben nach einem langen und erfüllten Leben«, sagte Nardon. »Lang für seine Verhältnisse, versteht sich. Aber nicht das ist das eigentliche Problem. Ihr erinnert Euch auch an eine gewisse Einrichtung zur Prüfung der Erben, die Ihr mit Hilfe Eurer Zauberei geschaffen habt?«
»Ich bin alt und etwas kurzsichtig«, sagte Gendig, »aber mein Erinnerungsvermögen ist völlig intakt, junger Freund.«
»Ja«, sagte Nardon und errötete bis an die Haarwurzeln. »Äh, selbstverständlich. Verzeiht mir. Ich wollte keinesfalls etwas anderes andeuten.«
»Schon gut«, sagte Gendig. »Ich nehme an, es geht darum, die Prüfungsebenen wieder in Stand zu setzen? Nun, das könnte tatsächlich ein Problem werden, denn ich reise nicht mehr.«
»Sie sind großartig, übrigens«, schaltete sich der Kleine ein, seine Augen leuchteten vor Begeisterung. »Meisterhaft. Ich habe noch nie so viel umwerfende Sprucharbeit auf einem Haufen gesehen. Allein die Beleuchtung! Unglaublich stilvoll, und alles völlig intakt! Ihr müsst großen Aufwand allein mit den Erhaltungszaubern betrieben haben.«
»Ich sehe, Ihr seid ein Kollege?«
»Verglichen mit Euch bin ich ein Stümper.«
»Immerhin seid Ihr kundig genug, um gute Arbeit zu würdigen. Was hat Euch am besten gefallen?«
»Das ist schwer zu sagen. Das Monster im See war großartig. Beeindruckend. Götter! Es hätte uns fast erwischt! Na, und das Tropfsteinwesen hat uns ebenfalls alles abverlangt. Die Rätsel waren einfach. Es war aber eine hübsche Idee, ein Abbild von Euch als Schlüsselhüter zu erschaffen. Was ich natürlich jetzt erst feststelle, denn damals kannte ich Euch ja noch nicht …«
»Ich unterbreche nur ungern diesen munteren Austausch«, sagte Nardon. »Aber unser Problem ist leider dringender als lediglich die Wiedererrichtung der Prüfungsebenen, und es duldet keinen Aufschub.«
»Ihr vernichtet gerade einen Teil des guten Eindruckes, den ich von Euren Umgangsformen gewonnen hatte«, tadelte Gendig. »Aber offenbar habt Ihr es eilig, wie die meisten Jungen. Nun rückt heraus mit Eurem Problem.«
»Das Artefakt, das durch die Ebenen geschützt war«, sagte Nardon. »Wir müssen alles darüber in Erfahrung bringen, was es in Erfahrung zu bringen gibt. Es ist leider einer völlig falschen Person in die Hände gefallen.«
»Aber wie konnte das passieren?«, fragte Gendig. »Sollte nicht gerade das durch die Prüfung verhindert werden?«
»Die fragliche Person hat die eigentliche Erbin umgebracht und ihre Gestalt angenommen«,