»Was?«, fragte er, aufgeschreckt.
»Nett sein«, erklärte sie geduldig, als spräche sie zu einem Kranken. »Wie heute Morgen, zum Beispiel. Als du noch dachtest, ich würde schlafen. Ich fand es sehr nett von dir, dass du dir Sorgen um mich machst. Völlig unnötig, aber nett.«
»Was ich heute Morgen sagte, war nicht für deine Ohren bestimmt.«
»Na und? Das ändert doch nichts.«
Er blieb stehen, die Hände zu Fäusten geballt, drehte sich dann zu ihr um, erschrak, als er feststellte, wie dicht das Höllenross sich hinter ihm befand, und machte einen großen Schritt rückwärts. Sie saß entspannt im Sattel, eine Hand auf dem Oberschenkel, die andere locker auf dem Widerrist des Hengstes abgestützt, und lächelte zu ihm hinunter.
»Prinzessin«, sagte er. »Worauf willst du hinaus? Sag mir das bitte, damit ich es auch verstehe.«
»Ich will, dass du ein bisschen netter zu mir bist«, erklärte sie in halb belustigtem, halb ungeduldigem Tonfall. »Nur ein kleines bisschen. Das kann doch nicht so schwer sein!«
»Und warum?«
Die Frage schien ihm naheliegend, und er war überrascht zu sehen, wie wenig sie damit gerechnet hatte. Sie warf die Hände in die Luft, eine Geste, die er nun schon an ihr kannte, setzte zu einer Antwort an, schüttelte den Kopf, dass das Ende ihres Zopfes schaukelte, und ihre blassen Wangen färbten sich in zartem Rosa.
»Keine Ahnung«, sagte sie schließlich. »Einfach so. Man versucht doch, nett zueinander zu sein, wenn man zusammen reist, oder nicht?«
»Das kann ich schlecht beurteilen«, erwiderte er und bemühte sich, freundlich zu klingen. »Üblicherweise reise ich allein.«
Sie lachte wieder. »Na, was mag das wohl für Gründe haben.«
»Keine, die ich mit dir diskutieren werde.« Er drehte sich um und nahm seinen Weg wieder auf. In seinem Rücken hörte er, wie sie ihr Pferd in Bewegung setzte und ihm hinterher kam.
»Ich wollte das nicht diskutieren«, sagte sie, das Lachen noch in der Stimme. »Es war ein Scherz, verdammt. Macht man bei euch Zwergen denn niemals einen Scherz?«
Er enthielt sich einer Antwort, da er nicht wusste, ob sie nun beabsichtigte, mit ihm über zwergentypischen Humor zu sprechen, oder ob sie nur wieder etwas dahin gesagt hatte, und sie kam nicht mehr auf das Thema zurück.
Thorks Befürchtungen zum Trotz versuchte sie nicht, ihn abzuhängen. An diesem und an den nächsten beiden Abenden errichteten sie gemeinsam ihr Lager, aßen von den Vorräten, die Galdur ihnen mitgegeben hatte, hielten abwechselnd Wache, und wenn Thork morgens erwachte, war sie immer noch da mit ihrem héltier, von dessen Gefährlichkeit er nach wie vor überzeugt war. Mehrmals trafen sie auf die Spuren kleinerer Schratgruppen, doch die Spuren waren alt und die Nächte blieben ruhig. Und mit der Zeit trat etwas ein, was der einzelgängerische Zwerg zuvor niemals für möglich gehalten hätte: Er begann, sich an Liannas Gesellschaft zu gewöhnen. Ihr Lachen heiterte ihn auf, selbst wenn in strömendem Regen weder Lagerfeuer noch Tabakspfeife brennen wollten, und er lauschte bereitwillig ihren Geschichten, die sie von vergangenen Abenteuern erzählte, auch wenn er ihr kein Wort glaubte. Wenn sie sich trennten, um Feuerholz zu suchen oder einen Weg zu erkunden, ertappte er sich dabei, wie er nach ihr Ausschau hielt. Morgens beim Aufwachen galt sein erster Blick ihr, und selbst das Höllenross ertrug er mit Fassung, solange es ihm nicht zu nahe kam. Er spürte die Veränderung, auch wenn er ihr nicht völlig auf den Grund gehen konnte. Er, der die letzten sechzig Jahre überwiegend in selbstgewählter Einsamkeit verbracht hatte, begann, sich besser zu fühlen, wenn sie bei ihm war.
Sie hatte eine Art, sich zu bewegen, die ihm allmählich vertraut wurde. Sie besaß den typischen, leicht wiegenden Gang von Menschen, die reiten gelernt hatten, bevor sie laufen konnten. Wenn sie mit ihrem Pferd umging, lag eine Zärtlichkeit in allem, was sie tat, die seiner Aufmerksamkeit nicht entging.
Er sah ihr zu, wenn sie abends ihren Zopf entflocht und ihr Haar durchkämmte. Er sah es gerne, wenn es ihr so über den Rücken fiel, es wirkte, als hätte es ein Eigenleben, wie es jede ihrer Bewegungen auffing und weiterführte.
Sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht, wenn er sicher sein konnte, dass sie es nicht bemerkte, abends am Lagerfeuer, solange sie sich mit der Pflege ihrer Waffen beschäftigte. Er beobachtete das Spiel von Licht und Schatten auf ihren Wangen, und wenn sie schlief, saß er lange und studierte ihre ruhigen Züge: ihre fein geschwungenen Augenbrauen, ihre langen dunklen Wimpern, die wie Schatten auf den Wangen lagen, die Mundwinkel, in denen ein kleines Lächeln den Tag überdauert hatte. Ihre Haut schimmerte hell im flackernden Feuerschein, während ihr rabenschwarzes Haar das Licht schluckte wie ein Teppich aus Dunkelheit. Abend für Abend betrachtete er sie und staunte über die Vollkommenheit, die sich seinem Blick bot, sie war lebendig und warm und voller Heiterkeit, und sie berührte ihn auf eine Art, die ihn hilflos machte.
In der dritten Nacht beschloss er, sie zu zeichnen.
Jedes unnötige Geräusch vermeidend, tastete er in seinem Rucksack, bis er den Behälter gefunden hatte, in dem er Zeichenpapier, Kreiden und Kohlestifte aufbewahrte. Er suchte ein Stück unbenutztes Papier aus und strich es auf den Knien glatt. Das Feuer fütterte er mit einem trockenen Ast. Sie lag ihm gegenüber, dem Feuer zugewandt. Ihre Schultern hoben und senkten sich gleichmäßig, dem Rhythmus des Atems folgend. Er suchte einige Kreidestifte aus, spitzte sie mit einem kleinen Messerchen an und blies den Kreidestaub fort, bevor er begann, sich mit vorsichtigen Linien an ihr schlafendes Gesicht heranzutasten.
Er ließ sich Zeit. Der Wald lag ruhig um ihn, eine schwarze Masse gegen die helle Lichtinsel ihres Lagers.
Langsam erschien ihr Gesicht aus dem hauchfeinen Netz der Hilfslinien. Er verspürte Befriedigung, fast Triumph, als er erkannte, dass es ihm gelingen würde, ihren Zauber einzufangen: Er würde ihn für sich bewahren können, selbst wenn sie sich morgen auf ihr Höllenross schwang und ihre Reise ohne ihn fortsetzte.
Mit großer Vorsicht legte er einen Schatten auf ihre Wangen, dort, wo ihre langen Wimpern lagen, und vertiefte die Grübchen in ihren Mundwinkeln, sie sah nun aus, als hätte sie die Augen nur zum Spaß geschlossen und sich schlafend gestellt, und er lächelte zurück, ohne es richtig zu merken.
Sie erwachte, bevor er mit seiner Zeichnung fertig war. Sie atmete tief durch, drehte sich auf den Rücken, fuhr sich mit schlaftrunkener Geste übers Gesicht und stieß ein kleines Seufzen aus, bevor sie die Augen öffnete und zu ihm herüber sah.
Als sie begonnen hatte, sich zu bewegen, war er heftig erschrocken. Sein Herz machte einen Satz und schlug ihm plötzlich schmerzhaft gegen die Rippen. Er ließ die Kreide fallen und hielt, einem Impuls folgend, die Zeichnung ins Feuer. Seine Hand zitterte.
Als sie ihn schließlich übers Feuer hinweg ansah, hatten die Flammen das meiste der Zeichnung verzehrt und in ein hauchdünnes Ascheblättchen verwandelt, das sich knisternd zusammenrollte und dann zerfiel. Einzelne Ascheflocken gerieten in den Sog der Flammen und wurden gegen den dunklen Nachthimmel gewirbelt.
»Was machst du da?«, fragte sie mit kleiner, verschlafener Stimme und blinzelte ins Feuer.
»Nichts«, sagte er barsch. »Schlaf.«
Statt seinem Befehl nachzukommen, drehte sie sich auf den Bauch und sah sich um. Ihr Blick fiel auf seine Zeichengerätschaften, die er neben sich ausgebreitet hatte.
»Wofür ist das gut?«, fragte sie erstaunt. »Schreibst du irgendetwas auf?«
»Das geht dich nichts an«, wehrte er ab, doch sie streckte die Hand nach dem Pergamentbehälter aus, bekam den Tragriemen zu fassen und zog ihn zu sich hinüber. Er war nicht schnell genug. Sein Griff ging ins Leere. Seine Hände zitterten noch immer. Er umfasste seine Knie.
»Gib das her«, forderte er finster.
»Gleich.«
Sie machte nicht die geringsten Anstalten. Stattdessen zog sie den Inhalt des Behälters ans Licht und blätterte