Mit einer heftigen Bewegung fegte sie den Sack weg und stand auf.
»Ich will baden gehen«, sagte sie, einer spontanen Regung folgend, »solange es noch hell draußen ist.«
»Dann tu das.« Der Zwerg seufzte und zog den Sack wieder zu sich heran.
Für einen Augenblick blieb sie stehen und wartete, ob er noch etwas sagen würde, doch dem schien nicht so. Sie durchwühlte ihr Gepäck nach einem Handtuch und einem frischen Hemd und knüllte alles zu einem Ballen zusammen, den sie sich unter den Arm klemmte.
»Ich gebe dir einen guten Rat«, sagte sie und beugte sich zu Thork über den Tisch. »Bleib von diesem Teich fern, solange ich dort bin. Wenn ich dich erwische, wie du auch nur einen Blick auf mich wirfst, bist du ein toter Mann.«
»Bewahre«, knurrte der Zwerg. »Lieber soll mich auf der Stelle der Schlag treffen!«
Lianna richtete sich hochzufrieden auf und marschierte ins Freie. Sie hatte gesehen, wie ihm das Blut in die Wangen geschossen war, und wie seine Hände, plötzlich ungeschickt, eine tiefe Kerbe in die Wurzel geschnitten hatten.
Sie hatte ihren Angriffspunkt gefunden.
Die Abendluft war weich und roch nach Heu und Nadelwald. Sie ging zum Teich hinüber, streifte ihre Kleidung ab und löste ihren Zopf. Mit dem Fuß testete sie die Temperatur des Wassers. Es war eiskalt. Sie holte tief Luft und stürzte sich kopfüber hinein.
Der Kälteschock lähmte sie für einen Augenblick. Ihr Gehirn schien in ihrem Schädel zu einem kleinen Ball zusammengepresst zu werden, während gleichzeitig ihr Herz schmerzhaft gegen ihre Rippen sprang. Sie tauchte auf und japste nach Luft. Der Teich war tief, sie konnte kaum darin stehen. Sie machte einige rasche Schwimmzüge, drehte sich dann auf den Rücken und sah in den wolkenlosen Himmel. Ihr langes Haar umwehte sie im Wasser, als wäre ihm Leben eingehaucht.
Sie fragte sich, ob es ihm wirklich so völlig fernlag, sie beim Baden zu beobachten. Dachte er nicht zumindest ein wenig darüber nach? Wenn er auch nur ansatzweise so funktionierte wie die Männer, die sie kannte, musste er darüber nachdenken. Sie stellte sich vor, wie er in der Hütte saß und mit der Versuchung rang. Die Vorstellung gefiel ihr. Es war ein Gefühl der Macht, das trotz der Kälte des Wassers eine angenehme, schwere Wärme zwischen ihren Schenkeln erzeugte. Sie konnte, wenn sie wollte, einen Felsen in Bewegung versetzen, und sie würde es tun. Niemand brachte sie von etwas ab, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte, das hatte sie sich und der Welt erst kürzlich wieder bewiesen. Alle hatten versucht, ihr die Trolljagd auszureden. Ihr Vater hatte geschrien, getobt und Anordnungen erlassen. Erin, ihre persönliche Dienerin und Vertraute, hatte auf sie eingeredet und sie an ihre Verantwortung erinnert, ihre Position, ihre Zukunft, eine Sidarthi-Prinzessin ging nicht einfach einen Troll erschlagen, und sie hatte allen alles versprochen und sanft gelächelt, und dann hatte sie ihr Pferd gesattelt und war davongeritten, und man hätte auf sie schießen müssen, um sie aufzuhalten.
Die Kälte des Wassers zwang sie, sich zu bewegen. Sie drehte sich, warf sich vorwärts und schwamm mit kräftigen Zügen hinüber zu dem Wasserfall, kämpfte sich durch die schäumende Flut, bis sie sich direkt unter dem herabstürzenden Wasser befand. Mit fast schmerzhafter Gewalt klatschte es auf ihre Schultern und ihr Gesicht, der Lärm füllte ihren Kopf und wusch ihre Missstimmung davon.
Sie hatte alles im Griff, egal wie der ungehobelte Zwerg sich benahm. Sie würde sich von ihm und seinem seltsamen Freund zurück auf die Trollspur bringen lassen und ihn dann elegant abhängen. Die Vorstellung bereitete ihr Genugtuung. Das Tempo des Schwarzen, wenn er ausgeruht war, würde er auf seinen kurzen Beinen niemals halten, geschweige denn einholen können. Es würde ihm noch leidtun, dass er sie behandelt hatte wie ein Stück Holz.
Sie durchquerte den Teich mit kräftigen Schwimmzügen, kletterte ans Ufer und rieb sich trocken.
Die Luft war warm im Vergleich zum Wasser und legte sich wie eine zarte Berührung auf ihre Haut. Während sie Wasser aus ihren Haaren wrang, sah sie hinüber zum Haus. Es lag still in der Abendsonne, nichts bewegte sich an den Fenstern.
Ohne sich sonderlich zu beeilen, schlüpfte sie in ihre Kleidung. Leise raschelnd glitt das Leinenhemd über ihre Haut, sie genoss das Gefühl, endlich wieder saubere Sachen zu tragen. Sie ließ das Hemd am Kragen weit offen stehen, so dass der Ansatz ihrer Brüste hervor schimmerte. Sie fand es ausreichend, um Leidenschaft in jedem beliebigen Felsen zu wecken. Das Wasser, das aus ihrem Haar tropfte, tat ein Übriges und modellierte den feinen Leinenstoff eng an ihren Körper.
Siegessicher ging sie über die Wiese hinüber zum Haus und betrat den Raum wie eine Bühne.
Der Zwerg hatte inzwischen einen Kochtopf über die Feuerstelle gehängt, in dem er rührte. Er sah sich nicht um, obwohl er ihren Schritt gehört haben musste.
»Großartig«, sagte sie. »Gibt’s schon Essen?«
»Dauert noch«, gab er zurück und sah in den Topf.
Sie blieb mitten im Raum stehen und sah ihn an. Irgendwann musste er aufhören zu rühren.
Endlich legte er den hölzernen Kochlöffel auf den Rand des Topfes und drehte sich um. Er hatte offenbar etwas sagen wollen, doch sein Blick hatte sie kaum gestreift, als er mit einem Ruck den Kopf wegdrehte, als hätte man ihn mit einer Laterne geblendet.
»Vater der Steine«, polterte er. »Ich bitte dich, Mädchen, zieh dir etwas an!«
»Ich verstehe nicht ganz«, erwiderte sie mit sanfter Unschuld, während in ihrem Inneren ein Gefühl des Triumphes explodierte.
»Du verstehst sehr wohl«, knurrte er, nahm den Kochlöffel vom Topfrand, wobei er sich die Finger verbrannte und hässlich fluchte, und begann wieder zu rühren. Seine Bewegungen waren fahrig. Sie grinste breit.
»Oh«, sagte sie und achtete darauf, völlig ernst zu klingen. »Ich habe wohl dein Gefühl für Sitte und Anstand verletzt. Verzeih mir bitte. Es lag nicht in meiner Absicht.«
»Da bin ich mir sicher«, gab er in einem Ton zurück, der das Gegenteil zum Ausdruck brachte.
Ihren Sieg auskostend gesellte sie sich zu ihm an die Feuerstelle, während sie ohne große Eile ihr Hemd schloss. Seine Wangen waren heftig gerötet, es mochte wegen der Nähe des Feuers sein oder aus anderen Gründen.
»Riecht lecker«, sagte sie und beugte sich zu ihm über den Topf. Er fuhr zurück, als hielte sie ihm eine Giftschlange entgegen. Fast begann er, ihr leidzutun.
Der Triumph hatte sie versöhnlich gestimmt. Sie beschloss, es nicht zu übertreiben.
»Ich kann mich auch mal um das Essen kümmern«, schlug sie vor und nahm ihm den Löffel aus der Hand.
»Ja«, sagte er heiser. »Gute Idee.«
Sie grinste vergnügt in den Topf hinein, während er sich ganz hinten in der Hütte zu schaffen machte.
Lianna legte sich an diesem Abend früh schlafen, zum einen, weil es nichts mehr zu tun gab, nachdem sie den Schwarzen versorgt hatte, zum anderen, weil sie den anstrengenden Tag mittlerweile in jedem ihrer Knochen spürte. Mit völliger Selbstverständlichkeit nahm sie die mit Wolldecken und Stroh gepolsterte Schlafstatt Galdurs für sich in Beschlag, während Thork sich sein Lager, ohne ein Wort darüber zu verlieren, auf dem Fußboden bereitete. Sie erinnerte sich an ihren Entschluss vom Nachmittag, möglichst nicht zu schlafen, doch das bequeme Bett war stärker als ihre Vorsätze. Außerdem war der eigentümliche Hausherr nicht anwesend, so beruhigte sie sich, und in der Gesellschaft des Zwerges hatte sie bereits zwei Nächte unbeschadet überstanden. Er würde nicht bis zur dritten warten, nur um ihr etwas anzutun.
Sie schlief, kaum dass ihr Kopf das Kissen berührt hatte.
Mitten in der Nacht wurde sie wach. Sie öffnete die Augen und richtete sich auf. In dem spärlichen Mondlicht, das durch die halb offene Tür drang, sah sie, dass das Lager des Zwerges leer war.