»Ich liebe dich«, antwortete Denise gehorsam.
»Das klingt wie eine Pflichtaufgabe.« Alexander verzog gekränkt den Mund.
»Ist es auch. Die schönste Pflicht in meinem Leben!« Innig schlang Denise die Arme um Alexanders Hals, stellte sich ein wenig auf die Zehenspitzen und küsste ihren Mann stürmisch.
»Du bist einfach wunderbar«, seufzte er. »Immer neu, immer anders, immer bezaubernd. Und du hast mir schon so viel Glück geschenkt Denise, dass ich dir nie genug dafür danken kann«, bekannte er leise.
»Was wäre ich ohne dich, Alexander. Ich könnte mir mein Leben überhaupt nicht vorstellen. Ich kann das, was Florence Theger durchgemacht hat, sehr gut verstehen. Ich glaube, mir erginge es ähnlich.«
»Du sprichst von der jungen Französin, die seit einigen Tagen hier ist? Ich glaube, die hat jetzt das Schlimmste überwunden. Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen.«
»Zuerst war ich skeptisch und hatte Angst, ihr die Kinder anzuvertrauen. Doch dann hat sich gezeigt, dass sie dieser Aufgabe doch gewachsen ist. Dieser Dr. Solten muss ein hervorragender Psychologe sein. Er hat von Anfang an gewusst, dass Florence ihre Hemmungen verlieren, dass sie aus ihrer Interessenlosigkeit herausfinden wird, wenn man ihr eine Aufgabe überträgt, die ihr liegt.«
Wie so oft ging Alexander willig auf die Sorgen seiner Frau ein. Ihre Probleme waren auch die seinen. »Ich hatte eben gerade Gelegenheit, sie im Park zu beobachten. Sie saß mit den Kleinen am Sandplatz und spielte so eifrig mit ihnen, dass ich fast glaubte, sie sei selbst noch ein Kind.«
»Stell dir vor, als sie hier ankam, glaubte sie in Sanny ihr Töchterchen zu erkennen. Es hat Frau Dr. Frey allerhand Mühe gekostet, sie davon zu überzeugen, dass dies ein Irrtum ist. Trotzdem mag sie Sanny am liebsten. Sie verwöhnt die Kleine geradezu.«
»Das ist eine völlig normale Reaktion. Ich nehme sogar an, dass gerade Sanny viel dazu beigetragen hat, dass Florence ihre Teilnahmslosigkeit so rasch ablegte. Immerhin scheint sie sich jetzt fast normal zu geben.«
»Solange sie mit den Kindern zusammen ist, ja. Aber sobald die Kleinen im Bett sind, sitzt sie in ihrem Zimmer am Fenster und sieht ins Leere. Ich würde ihr sehr gerne helfen, Alexander.«
»Meine mitleidige, hilfsbereite Denise!« Alexander streichelte sanft das Gesicht seiner Frau. »Ich weiß, dass du alle Menschen glücklich sehen willst. Und ich muss sagen, du schaffst es auch. Florence ist bereits auf dem besten Weg, gesund zu werden. Nur braucht so etwas viel Zeit.«
»Du hast recht wie immer, Alexander. Willst du nicht eine Tasse mit mir trinken?«
»Sehr gern. Du weißt doch, wie sehr ich deine Gesellschaft schätze. Ich bedauere nur immer wieder, dass wir viel zuwenig Zeit füreinander haben.«
Denise klingelte nach dem Hausmädchen und ließ zwei Gedecke bringen.
»Vielleicht macht gerade das die wenigen Stunden unseres Beisammenseins so reizvoll.« Denise wusste, ihre vielfachen Aufgaben in Sophienlust erforderten viel Kraft. Diese Stunden mit Alexander waren es, die ihr halfen, die Ausgeglichenheit und den Humor zu bewahren, mit dem sich vieles meistern ließ.
»Stimmt.« Alexander nahm in einem der gemütlichen Biedermeiersessel Platz.
Denise deckte flink und anmutig den Tisch. Zu dem heißen, aromatisch duftenden Kaffee hatte die Köchin Magda einige Gebäckstücke mitgeschickt. Denise verteilte sie auf die Teller und holte Kuchengabeln aus einem Schränkchen.
»Ich sehe dir so gern zu. Alle deine Bewegungen sind voll Harmonie und Anmut.« In Alexanders dunklen Augen spiegelte sich die Liebe wider, die er für seine schöne Frau empfand. »Wie schade, dass ich um elf Uhr in Maibach sein muss.«
»Und ich habe Heidi versprochen, nach ihr zu sehen.«
»Wie geht es denn unserer Kleinen?«
»Der Verdacht auf Mumps hat sich leider bestätigt. Heidi hat dicke Hängebacken und kann nur flüssige Nahrung zu sich nehmen. Sie tut mir richtig leid. Zum Glück schläft sie viel und merkt dann nichts von ihrem Zustand.«
»Und wie lange soll das andauern?« Alexander schüttelte missbilligend den Kopf. Er mochte die kleine, stets fröhliche Heidi sehr gern. Dass sie nun so krank war, bedrückte ihn.
»Etwa eine Woche. Danach wird sie sich wohler fühlen, muss aber noch isoliert bleiben, um die übrigen Kinder nicht anzustecken.«
»Bring ihr das von mir!« Alexander zog einen Beutel Bonbons aus der Tasche.
»Kannst du zaubern?« Denise setzte überrascht ihre Tasse ab.
»Nein. Aber du weißt doch, dass ich nicht mit leeren Händen nach Sophienlust kommen kann. Manchmal verteile ich meine kleinen Schätze schon draußen im Park. Aber heute hat mich niemand bemerkt.«
»Somit wäre geklärt, weshalb dir unsere Schützlinge immer so erfreut entgegenlaufen und weshalb danach oft die Suppe verschmäht wird. Du weißt doch, dass Süßigkeiten den Appetit verderben.«
»Wer wird denn so streng sein? Eine heimliche Nascherei ist doch viel interessanter als die Süßigkeiten, die man erlaubt bekommt.«
»Erstaunlich, wie gut du dich mit Kindern auskennst.«
»Erlaube mal, schließlich bin ich schon Opa!« Stolz hob Alexander den Kopf.
Denise lachte herzlich. Natürlich hatte sie ihre große Stieftochter Andrea und das Enkelkind Peterle ausgesprochen gern. Aber auch mit dem ebenfalls schon erwachsenen Stiefsohn Sascha, hatte sie sich von Anfang an ausgezeichnet verstanden. Sie war die ›Mutti‹ der beiden geworden, und daran hatte auch Andrea’s Heirat nichts geändert.
*
Graue Wolken zogen rasch am Himmel dahin. Es war ein trüber frischer Frühlingstag.
Florence packte den kleinen Dany sorgfältig in den Sportwagen, zog Sanny ein warmes Mäntelchen über und stülpte Christoph eine Pudelmütze über den Kopf.
»Wollen Sie bei diesem Wetter ausgehen?«, erkundigte sich Justus, der bereitstand, um Danys Wagen die Freitreppe hinunterzutragen. Der alte Mann hatte schon in Sophienlust gearbeitet, als Nicks Urgroßmama noch gelebt hatte. Er versorgte die Ponys, arbeitete im Garten und war für kleinere Reparaturen zuständig. Doch noch nie hatte man ihn so oft im Herrenhaus gesehen, wie in den letzten Tagen.
»Kinder müssen bei jedem Wetter an die frische Luft«, antwortete Florence in ihrem eigenartig singenden Tonfall.
Justus legte den Kopf schief und lauschte den Tönen nach. Diese helle melodische Stimme faszinierte ihn. Überhaupt imponierte ihm die kleine Französin mächtig.
»Herr Dr. von Lehn hat uns eingeladen, die Tiere im Tierheim zu besichtigen«, berichtete Florence leise. Sie war ein völlig anderer Mensch, seit man ihr die Sorge für die Jüngsten in Sophienlust übertragen hatte. Sie kümmerte sich wieder um die Uhrzeit, sah nach dem Wetter und sprach mit den Kleinen. Dabei hatte sie kaum noch Zeit, an das Unglück zu denken, das ihr das Liebste genommen hatte, das sie besessen hatte.
»Sanny darf einen richtigen Bären streicheln«, plapperte die Kleine, die nicht von Florences Seite wich. Zwischen der jungen Frau und dem dreijährigen mutterlosen Mädchen war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Sanny hatte ihre Mutti vermisst, und Florence hatte ihr Kind verloren. Die beiden hatten sich gefunden.
»Und junge Kätzchen sind auch da«, meldete sich Christoph, ein Junge, der vorübergehend in Sophienlust war, weil seine Mutti krank war. Mit seinen fünf Jahren war er ein großes kräftiges Kind.
»Dürfen wir auch mitkommen?« Pünktchen und Nick, wie immer unzertrennlich, kamen durch die Halle gelaufen.
»Hausaufgaben fertig?«, erkundigte sich Florence freundlich.
»Ehrensache! Und Mutti weiß auch Bescheid.« Nick, der große sympathische Junge mit dem blau-schwarzen Haar und den intelligenten Augen hielt sich ausgesprochen