An den Rechtsanwalt schrieb er, dass er Beates Begehren für nichts anderes als eine vorübergehende Anwandlung halte. Er werde in Geduld abwarten und sei zu jeder Stunde versöhnungsbereit. Schließlich hätten sie einen Sohn, und bekanntlich wirke sich eine Scheidung niemals günstig auf die Kinder aus. Werner kam sich sehr schlau vor, dass er den verzeihenden Gatten spielte und die Rollen von vornherein genau andersherum verteilte, als sie in Wahrheit lagen. Nicht ihn treffe die Schuld, o nein, allein Beate sei zu tadeln!
Das, was Werner schrieb, gefiel ihm so gut, dass er am Ende selbst daran zu glauben begann. Er betrachtete sich als zu Unrecht verfolgten Unschuldigen und bedauerte sich als solcher. Vor allem aber gab er die Hoffnung nicht auf. Noch reichte die Summe, die Beate ihm für die Übergangszeit angeboten und überwiesen hatte. Sie wollte, dass er sich frei fühle, denn sie wusste, dass man leichter mit ihm verhandeln konnte, wenn er Geld in der Tasche hatte. Ausnahmsweise verjubelte Werner den Betrag nicht, sondern harrte in der kleinen, recht bescheidenen Pension aus, weil ihm klar war, dass er den Kampf unter allen Umständen gewinnen musste.
Und dann kam ihm endlich die rettende Idee. Natürlich gab es einen Trumpf, den er ausspielen konnte. Warum war ihm das nicht sofort eingefallen?
Werner rief Beate an und kam ausnahmsweise nicht auf die Scheidung zu sprechen. Beate war außer Atem und eilig, weil sie viel zu tun hatte. Der Anruf hatte sie beim Verpacken der Eier unterbrochen, die noch an diesem Tag ausgeliefert werden sollten. Im Laufschritt war sie zum Hause geeilt und freute sich nun wahrhaftig nicht, als ihr Mann am Apparat war.
»Du schnaufst ja so. Ist etwas Besonderes los?«, fragte Werner.
»Ich habe zu tun, Werner. Worum geht es? Ich möchte dich bitten, in Zukunft nur noch mit meinem Anwalt zu sprechen. Das ist sinnvoller und einfacher. Ich habe nicht die Zeit, mich stundenlang mit dir am Telefon zu unterhalten.«
»Du bist wieder einmal mit dem linken Bein aufgestanden, Schätzchen. Ich unternehme immer wieder den Versuch, dich zu versöhnen. Wie kann man nur so nachtragend sein? Im Übrigen wollte ich dich nur um die genaue Anschrift von Sophienlust bitten, weil ich unseren Jungen besuchen möchte.«
Beate holte Atem. Sie war jetzt ruhiger geworden. »Ach so, du willst Uwe besuchen. Nun ja, der Ort heißt Wildmoos. Der nächste kleinere Flecken ist Bachenau, die Kreisstadt heißt Maibach. Du findest es auf der Karte.« Dann schilderte sie ihm noch, an welcher Ausfahrt er die Autobahn verlassen musste.
»Ich habe Uwe lange nicht gesehen. Soll ich ihm Grüße von dir ausrichten Beate?«
»Wenn du magst … Dr. Rhode war am vergangenen Wochenende dort. Ich weiß, es geht Uwe gut.«
»Du hast ihn hoffentlich nicht schon gegen mich aufgehetzt?«, erkundigte sich Werner aggressiv. »Das fände ich reichlich geschmacklos. Immerhin bin ich sein Vater.«
»Nein, das habe ich nicht getan«, entgegnete Beate kühl. »Ich möchte den Jungen nicht noch mehr verunsichern, als das ohnehin schon geschehen ist durch deine ständige Abwesenheit und anderes. Er soll in dir einen guten Vater erblicken, so weit das möglich ist.«
»Du bist die Güte selbst«, spöttelte Werner und verbarg dahinter seine Erleichterung. »Vielleicht kommst du auch nach und nach wieder dazu, in mir einen netten Ehegatten zu sehen. Das wäre wirklich reizend und erfreulich. Glaubst du, es macht mir Spaß, in dieser miesen kleinen Pension zu hausen und nichts Vernünftiges zu tun zu haben? Mir wird es allmählich ziemlich langweilig.«
»Was macht denn die Exportfirma? Da müsste doch allerlei an Arbeit für dich anfallen.« Beates Ironie war jetzt nicht zu überhören.
»Ich bin stiller Teilhaber und brauche nur zu kassieren. Damit, dass man sich selber abrackert, sind wirklich große Geschäfte nun einmal nicht zu machen«, behauptete er hochfahrend. »Aber du mit deinem Honig, deinen Eiern und Tomaten kannst natürlich nicht über deine eigene Nase hinwegschauen und bildest dir ein, man könnte nur dann Geld verdienen, wenn man vor Sonnenaufgang aufsteht und außerdem die Nacht zum Tage macht vor lauter Schufterei. Ich mache das eleganter.«
»Ja, ich weiß es, Werner. Darüber haben wir schon einige Male gesprochen, und es hat mich viel Geld gekostet, dass ich so töricht war, dieser schönen Theorie Glauben zu schenken. Verschone mich jetzt bitte damit. Fahre in Gottes Namen zu Uwe, und sei recht nett zu ihm. Er hat den Kontakt zu dir ein bisschen verloren. Vielleicht wird sich das ändern, wenn du zu ihm kommst. Denn im Grunde möchte er gern einen Vater haben, zu dem er aufblicken kann. Berücksichtige das bitte.«
»Ich habe auch ein paar Begriffe von moderner Psychologie und Kindererziehung. Ich werde schon in der richtigen Weise mit Uwe umgehen und brauche deine guten Ratschläge wirklich nicht. Also – Wildmoos bei Bachenau im Kreis Maibach. Kann man ja nicht verfehlen. Und die Dame heißt Frau von Schoenecker.«
»Stimmt. Sei vorsichtig auf der Autobahn. Es ist ziemlich viel Verkehr, und die Fahrt ist weit.«
»Im Autofahren brauchst du mir auch keine Ratschläge zu erteilen. Außerdem möchtest du mich ja lieber heute als morgen los sein. Ein Unfall, ein schönes Begräbnis …«
»Versündige dich nicht, Werner. Ich wünsche die Scheidung, aber ich wünsche dir gewiss nichts Böses. Was du eben gesagt hast, war sehr hässlich.«
»Verstehst du keinen Spaß? Es war nur so hingesagt. Manchmal bist du wirklich seltsam. Du schilderst unserem Jungen einen guten Vater, du redest davon, dass du mich geliebt hast – aber du willst dich unbedingt für immer von mir trennen. Willst du es überhaupt?«
»Doch, Werner, ich will es. Du hast mir zu viel angetan, und ich liebe dich nicht mehr. Gute Fahrt also. Ich habe wirklich eine Menge zu tun, wenn es sich auch nur um Eier und Tomaten handelt, mit denen ich beschäftigt bin.«
Sie legte auf, ohne seine Antwort abzuwarten. Das Gespräch war beendet. Jedes weitere Wort wäre sinnlos gewesen.
*
Das Schicksal meinte es offensichtlich gut mit Werner Breuer. Er packte seine Koffer und teilte seiner Wirtin mit, dass er für ein paar Tage verreisen wolle, um seinen kleinen Sohn zu besuchen.
Bei strahlendem Wetter fuhr er nach Sophienlust und traf dort zunächst niemand an. Die Kinder waren gerade in Bachenau bei Andrea, die ein Fest gab. Denise von Schoenecker war zu einer erkrankten Freundin gefahren, Frau Rennert war beim Zahnarzt, und Schwester Regine hatte die Kinderschar.
Bei dem Fest handelte es sich um den Geburtstag Helmut Kosters. Der Tierpfleger hatte in Erinnerung an frühere Zirkuszeiten eine kleine Vorstellung mit der Braunbärin Isabell an ihrer Rutsche sowie mit Batu und Luja, den Schimpansen vorbereitet. Absoluter Höhepunkt war ein Ritt der beiden frechen Schimpansenjungen auf dem Rücken von Billy. Helmut Koster hatte viele Mühe darauf verwandt, den undisziplinierten, aber hochintelligenten Affen dieses Kunststückchen beizubringen. Nun, an seinem Geburtstag, wollte er es allen Kindern im Freigehege vorführen. Kein Wunder, dass Sophienlust an diesem Nachmittag wie ausgestorben wirkte.
Nicht einmal Magda war da, denn sie war mit mehreren Torten ebenfalls nach Bachenau gefahren, um dort große Kannen Kakao zu kochen und zuzusehen, wie es ihren Lieblingen schmeckte.
Ein Hausmädchen von Sophienlust beschrieb dem Besucher den Weg nach Bachenau.
»Danke, mein Fräulein. Ich bin durchgefahren durch den Flecken. Das Grundstück des Doktors werde ich kaum verfehlen. Doktor von Lehn, Tierarzt. Komisch, ich habe in letzter Zeit ständig indirekt etwas mit Veterinären zu tun. Dabei bin ich weder Tierliebhaber, noch besitze ich einen Vierbeiner oder sonst ein Vieh.«
Werner versetzte dem jungen Ding einen etwas kühnen Klaps auf die Kehrseite und stieg wieder in seinen Wagen ein, während das Mädchen ihm ärgerlich und zugleich ein bisschen geschmeichelt nachblickte. Werner Breuer hatte nun einmal Erfolg beim anderen Geschlecht.
Die fröhliche