Ich erzählte, wie ein gewisser Bauingenieur namens Udo Klemenz und seine Frau Barbara in der Küche ihres Hauses Gott um einen Lebensauftrag baten. Und ich zeitgleich in meiner Heimatstadt Wiesbaden von einem Anwalt zum ersten Mal ihre Namen hörte und sie anrief. Das Klingeln meines Anrufs ertönte wenige Augenblicke nach dem Amen ihres Gebetes. So kam Udo Klemenz dazu, unser Riesenprojekt zu überwachen – auf ehrenamtlicher Basis.
Natürlich durfte ich Alan Garcia nicht verschweigen, warum wir zwei Jahre zuvor den Kontakt zu seiner Frau Pilar Nores gesucht hatten: Die staatliche Kulturagentur wollte unsere Baustelle damals stilllegen und von uns ein Bußgeld von 700.000 US-Dollar abkassieren. Eine fehlende Lizenz war den Bürokraten Anlass genug, unserem Vorhaben ein für alle Mal den Garaus zu machen. In unserer Panik hatten wir gehofft, irgendwie beim neu gewählten Präsidentenehepaar persönlich vorsprechen zu können. Alle, die wir fragten, hatten müde abgewunken. „Ihr Anliegen ist völlig chancenlos“, hatte sogar der deutsche Botschafter etwas ärgerlich in den Telefonhörer gebrummt. Und doch, bis heute unerklärlich, hatte Pilar Nores uns drei Wochen später eine siebzigminütige Audienz in ihrem Büro gewährt. Und nach unserem Treffen sogar die Schirmherrschaft von Diospi Suyana übernommen.
„Wissen Sie, Herr Präsident“, fuhr ich langsam fort und klickte auf die nächste Folie, „im Dezember 2005 konfiszierte der peruanische Zoll am Flughafen meinen Beamer, den ich bei meinen weltweiten Vortragsreisen einsetzte. Also brauchte ich dringend einen neuen. Als ich in einem Geschäft Limas ein Gerät ausprobierte und die Bilder meiner Präsentation über die Leinwand huschen ließ, stand ‚zufällig‘ – inkognito – der Chef des Telekommunikationsunternehmens Impsat hinter mir. Der spendete uns danach eine Satellitenschüssel für Internet und Telefon. Als seine Firma Impsat die Großspende in der Wochenzeitschrift Somos werbewirksam verbreitete, bezahlte ein Minenbesitzer den Stahl für unser Dach. Schließlich wurde Fernsehkanal 2 auf uns aufmerksam und drehte mehrere Reportagen über ‚das Krankenhaus des Glaubens‘!“
Nach meinen Ausführungen bemächtigte sich eine kurze Stille des Sitzungssaals. Dann räusperte sich Alan Garcia, beugte sich etwas nach vorne und sagte: „Dr. John, Sie sind näher an Gott dran als ich!“
Das war eine gewagte Aussage, denn niemand von uns kann das Verhältnis eines anderen Menschen zu Gott beurteilen. In der Tiefe unseres Herzens spielen sich seelische Kämpfe ab, von denen ein Außenstehender nicht die leiseste Ahnung hat. Aber – ein „Senfkorn Glaube“ reiche aus, um Berge zu versetzen, hatte Jesus einmal seinen Jüngern versichert. Er wusste, dass wir vergänglichen Geschöpfe stets zwischen Hoffen und Bangen, Glauben und Zweifel hin- und hergerissen werden. Aber trotz der bohrenden Ungewissheit tief drinnen genügt der Schrei zu Gott, um seine reale Kraft zu erfahren.
Zwischen unserer Begegnung mit Alan Garcia und seinem Selbstmord lagen ziemlich genau elf Jahre. In dieser Zeitspanne hatte sich Diospi Suyana von bescheidenen Anfängen zu einem Werk mit 270 Mitarbeitern entwickelt. Einfach war es nie. Wie oft gingen wir zwei Schritte nach vorne und einen zurück. Manchmal auch umgekehrt. Wir machten gewaltige Fortschritte und erlitten Rückschläge, wir feierten Siege und gingen durch das Tal der Tränen. Aber auf diesem Weg häuften sich so viele Indizien für die Existenz Gottes, dass ich es als meinen Lebensauftrag ansehe, diese Erfahrungen weiterzugeben.
Wie gerne hätte ich deshalb vor dem talentierten Staatsmann noch ein zweites Mal ein Bekenntnis meines Glaubens abgelegt. Ich hätte ihn beschworen, dass wir in jeder Lebenssituation, selbst in den dunkelsten Stunden, den Schutz des Allerhöchsten erfahren dürfen.
Doch dazu sollte es leider nie kommen. Alan Garcia wurde am Karfreitag 2019 bestattet.
Wir kommen von ganz weit weg
Die Sonne warf ihre letzten Strahlen durch die trüben Fensterscheiben des kleinen Lehmhauses. Daniel Ticona blickte zu seinem Neffen auf der anderen Tischseite hinüber und ergriff das Wort: „Meine beiden Leistenbrüche tun so weh, und sie werden von Monat zu Monat größer.“ Der Aimara-Indianer machte eine kurze Pause und hustete leise, „Constantino, du hast doch gesagt, dass deine Mutter in diesem Missionskrankenhaus Diospi Suyana gut behandelt wurde. Vielleicht können mir die Ärzte dort auch helfen!“
Constantino wiegte mit dem Kopf hin und her. „Onkel, von unserem Dorf nach Curahuasi ist es eine lange Reise. Man muss mehrmals die Busse wechseln. Glaubst du, dass du die Strapazen wirklich aushalten könntest?“
„Natürlich schaffe ich das. Gott hat mir genug Kraft gegeben!“ In Daniels Augen lag eine tiefe Entschlossenheit. „Ich bin zwar über achtzig, aber eine Busfahrt ist für mich kein Problem!“
„Onkel, ich werde dich begleiten. Wenn du willst, können wir noch in dieser Woche aufbrechen!“
Daniels vom Wind und Wetter gegerbtes Gesicht schien sich etwas aufzuhellen: „Neffe, ich danke dir. Möge Gott uns auf der Reise beschützen!“
Der Alte schlug mit den faltigen Händen auf seine ausgeblichene Hose, als wolle er sich mit dieser Geste selbst etwas Zuversicht einflößen. Und Mut würde er noch brauchen. Er konnte nicht wissen, dass sich gerade politische Unruhen wie Gewitterwolken über dem Bundesstaat Cusco zusammenbrauten.
Manchmal ist es wohl besser, die Zukunft nicht zu kennen und sich ohne quälende Sorgen zur Ruhe zu betten. Denn Angst und Ungewissheit wirken lähmend. Sie können einem Menschen jede Lebenskraft rauben. Aber wenn der Körper schmerzt und die Geduld zerrinnt, hat ein Kranker im peruanischen Hochland irgendwann ohnehin gar keine andere Wahl, als sein Heil in der Ferne zu suchen. Auch in Puno gab es ein Regierungskrankenhaus. Doch dessen Ruf war schlecht. Die meisten Ärzte ließen im Umgang mit Indianern jegliche Freundlichkeit vermissen. Es dauerte Wochen, um überhaupt einen Arzttermin zu ergattern. Und gewöhnlich verstrichen weitere Monate, bis eine Operation anberaumt wurde. In den Privatkliniken ging es zwar schneller, aber deren Preise waren für die Campesinos, also Landbauern wie ihn, unerschwinglich hoch.
Es war ein Mittwochnachmittag im Februar mitten in der Regenzeit. Die beiden bestiegen in ihrem Dorf Ilave den Kleinbus, der sie über holprige Wege nach Puno, der Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates bringen würde. Viel Gepäck hatten sie wahrlich nicht dabei: zwei kleine Taschen mit Wäsche zum Wechseln und etwas Proviant. Daniel klammerte sich an die Haltestange des Vordersitzes und versuchte mit seinen Armen den Oberkörper zu entlasten, wann immer das klapprige Gefährt durch eines der vielen Schlaglöcher holperte. Jede Erschütterung schmerzte. Mal drückte es in einer Leiste, mal in der anderen. Man hatte ihm einmal gesagt, die anstrengende Feldarbeit hätte wohl seine Brüche ausgelöst oder zumindest verschlimmert. Daniel schüttelte unmerklich mit dem Kopf. Von irgendetwas muss der Mensch doch leben. Seit Generationen hatten seine Vorväter auf dem Acker geschuftet und ihr täglich Brot dem harten Boden abgerungen. In der Höhe von fast 4.000 Metern wuchs nicht alles, aber die Erträge von Tomaten, Kartoffeln und Bohnen hatten für den Eigenbedarf und den bescheidenen Verkauf auf dem Markt ausgereicht.
Nach anderthalb Stunden erreichten Daniel und Constantino den zentralen Busbahnhof von Puno. An diesem Umschlagsplatz von Passagieren und Waren herrschte ein geschäftiges Treiben. Zu jeder Tages- und Nachtzeit kamen Busse an oder fuhren von hier in jede Himmelsrichtung davon. Nach Süden dauerte eine Fahrt um den Titicacasee nach La Paz sieben bis acht Stunden, vorausgesetzt, der Grenzübertritt zwischen Peru und Bolivien verlief ohne besondere Vorkommnisse und der Fahrer musste keine platten Reifen wechseln. In jungen Jahren war Daniel zweimal diese Strecke gefahren, um an einer Klinik dort behandelt zu werden. Einige Buslinien bedienten die Verbindungen nach Arequipa im Westen und Cusco im Norden. Sicherlich hatte er in seinem Leben Cusco, die alte Metropole der Inkas, gelegentlich besucht. Aber wie Constantino ihm erklärt hatte, lag das Hospital Diospi Suyana noch weiter entfernt, jenseits des Horizonts, irgendwo im Bundesstaat Apurimac.
Auf Daniel Ticona wirkte das ruhelose Treiben beängstigend: Menschentrauben, wohin man schaute. Aufgeregte Rufe und hektische Schritte. Sein Blick suchte unwillkürlich nach Constantino. Ohne seinen Neffen wäre er an diesem Ort ziemlich hilflos gewesen. Alleine hätte er sich so