Das kalte Licht. Ludger Bollen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludger Bollen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783863935436
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tüchtig auf seine Art, und was man ihm auftrug, das wusste er zuverlässig anzugehen. Das Lateinische beherrschte er ohnehin wie einer der Besten, und selbst im Französischen vermochte er sich trefflich auszudrücken. Gerade diese Kenntnis war es, die dem Geschäft neuerdings zu einigem Nutzen gereichte, denn bis weit nach Osten war die Sprache von König Louis mittlerweile eingekehrt – zuerst wohl an den Adelshöfen, doch neuerdings sogar schon bei den Händlern in Riga, Malmö oder gar Nowgorod. Wie gut war es da, dass sie – anders als manches Handelshaus, das sich nicht darauf verstand – mit den fernen Geschäftsfreunden in der Zunge redeten, die den Leuten dort so angenehm war.

      Dann kehrte die Strenge in des Kaufmanns Gesicht zurück. Mit einem Kopfnicken wies er auf den jungen Boten, der geduldig das Ende der Unterredung zwischen ihnen beiden abgewartet hatte.

      „Eilert hier verdient nunmehr eine Antwort“, beschied er seinen Sohn, der für einen Moment wieder in die Betrachtung des geheimnisvollen Schriftstücks versunken schien.

      „Das ist wahr“, nahm Ulrich den neuerlichen leichten Tadel an, und an den jungen Boten gewandt, fuhr er fort: „So richte deinem Herrn bitte aus, dass ich mich zur rechten Zeit an dem von ihm genannten Ort einfinden werde!“

      Eilert Keye, froh eine so vorteilhafte Antwort überbringen zu können, bedankte sich bei beiden Herren mit jenem Überschwang, wie ihn allein die Jugend an den Tag legen kann. Dann stürmte er zur Tür und hinaus zur Straße, während Johann Hesenius ihm schmunzelnd hinterher schaute.

      „Was wisst Ihr über Hermann Lengsdorp, Vater?“ fragte Ulrich, nachdem der Junge gegangen war.

      „Ich habe einst Vitus, seinen Vater, kennengelernt, er ist nun wohl ein alter, kranker Mann. Von den drei Söhnen starben zwei sehr früh, und ich weiß dir wenig über Hermann zu erzählen. Er muss noch sehr jung sein, doch hat er sich auch in Ratskreisen einen guten Ruf erworben. Man erzählt sich, er habe beträchtliches Vermögen im Porzellanhandel verdient, weil er offenbar in Einvernehmen mit einigen Handelshäusern in Lissabon steht, von denen er ohne Umwege gute Chinaware bezieht. So muss er nicht wie andere in Amsterdam oder Antwerpen anstehen und in einer langen Reihe von Bietern um einen erträglichen Preis feilschen.“

      Ulrich nickte unwillkürlich. Im Überseehandel, davon hatte jeder gehört, ließen sich in kurzer Zeit Reichtümer erzielen, die weit über das hinausgingen, was die Ostseefahrer heute noch erwarten konnten. Lengsdorp gehörte zu denen, die es mit Glück und Geschick und wohl auch dank guter Beziehungen geschafft hatten, aber sein Vater wusste, wenn das Gespräch auf diese Dinge kam, wenigstens ein Dutzend Namen von Kaufleuten aufzuzählen, die bei dem Versuch, die neuen Handelsrouten einzuschlagen, mehr verloren hatten als nur Schiff und Ladung. Es war ein heikles Thema, und Ulrich wollte lieber zu näher liegenden Dingen zurückkehren.

      „Lengsdorp wird vielleicht einen Bericht über meine Untersuchung lesen wollen, und es mag dahin führen, dass ich morgen erst des Nachmittags wieder zurück sein kann.“

      „Nun, du wirst wissen, was zu tun ist und es soll mir recht sein so“, war alles, was Johann Hesenius entgegnete. Die Dinge waren für ihn geregelt, und er wandte sich ab, um Harm zur Seite zu stehen, der sich mühte, den beiden Frauen die Vorzüge verschiedener Schiefergriffel nahezubringen. Er hatte dabei jedoch nur ihre halbe Aufmerksamkeit, da eines der Kinder seine Erklärungen mit allerlei quengelnden Fragen zu übertönen suchte. Es war Kleinkram, den Leuten das Passende zu verkaufen, aber zwischen den Auslieferungen an andere Händler war jede Nachfrage recht.

      Ulrichs Gefühle aber waren zwiegespalten. Auf der einen Seite hatte er nunmehr jede Erlaubnis zu gehen. Er würde wenigstens für den Rest des Tages zur Medizin zurückkehren, die ihm so viel bedeutete, und dabei handelte er sogar gemäß dem Wunsch des Vaters. Es war wie ein Ausflug in eine andere Welt, doch eben deshalb kam ihm mit schmerzhafter Deutlichkeit in den Sinn, wie freudlos er im Grunde seit einem halben Jahr seine Alltagsarbeit hier im Kontor verrichtete. Irgendwann am morgigen Tag würde er zurückkehren müssen in seine kleine Schreibstube, und das ganze kleine Einvernehmen mit seinem Vater konnte nicht überdecken, dass Johann Hesenius den Lebensweg, den er gewählt hatte, in seinem Herzen ablehnte.

      Er überschlug im Kopf die Zeit, die ihm noch zur Vorbereitung blieb. Zum Neuen Ellerntor würde er beinahe quer durch die ganze Stadt laufen müssen. Er stieg schnellen Schrittes die Treppe hinauf und verschwand noch einmal kurz in jener Kammer, die er vor Monaten als sein Arbeitsreich gewählt hatte. Das war zum einen geschehen, weil sie so abgelegen war, dass er für sich bleiben konnte, und zum anderen, weil dort oben durch das Fenster der Dachgaube ein größeres Stück Himmel zu sehen war als weiter unten, nahe der Straße. Wenige Minuten später glaubte Ulrich sein angefangenes Tagwerk sicher verstaut zu haben. Er packte sodann seine Habe und stürmte ein letztes Mal die unentwegt knarrende Treppe hinunter in die Diele, die sich in der Zwischenzeit bis auf Amb-rosius und den alten Harm wieder geleert hatte. Er verabschiedete sich von dem Alten und begab sich endlich, eingehüllt in seinen Mantel, auf den Weg.

      Den Kopf voller Gedanken, schritt er auf der Straße so eilig aus, dass die krumme Gesche, die wie üblich hinter ihrem Stubenfenster darüber wachte, was draußen geschah, missbilligend den Kopf schüttelte. Über diesen neuerlichen Beweis für die unschickliche Hast der jungen Leute würde sie mit Marthe noch zu reden haben.

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       2. Kapitel

       In welchem Ulrich eine höchst folgenreiche Bekanntschaftmacht und ärztlichen Zorn heraufbeschwört,ein Toter allerhand Rätsel aufgibt und schließlichgar ein leuchtendes Geheimnis offenbart.

      Im Haus am Dovenfleet, das sein wahres Zuhause bildete, seit er im Herbst des Vorjahres von Leyden nach Hamburg zurückgekehrt war, galt es zunächst die Gemüter zu beruhigen. Elsbeth Hesenius hatte jenes Alter erreicht, in dem die Menschen unvorhergesehene Ereignisse zugleich als unheilvoll begreifen, da sie von ihnen aus ihren vertrauten Gewohnheiten geworfen werden. Seit dem Tod ihres Gatten war die fürsorgliche Natur seiner Tante, wie Ulrich bemerkte, mehr und mehr einer großen Ängstlichkeit unterworfen, und angesichts der Wendungen, die das Leben ihr und ihren Anverwandten bereitet hatte, fürchtete sie stets das plötzliche Hereinbrechen neuen Unheils. So glaubte sie auch jetzt, da er auf einmal weit vor dem Abend erschien, nicht anders, als dass sich ein schlimmes Zerwürfnis mit Ulrichs Vater begeben hätte, und es kostete ihn einige Mühe, sie von dieser Annahme abzubringen und ihr klarzumachen, dass er, obschon zu ungewöhnlich früher Stunde, so doch ganz einvernehmlich das Kontor verlassen habe und dass es einzig deshalb geschehen war, weil jemand anderes seine Hilfe erbeten hatte.

      Da er aber nicht umhin konnte, ihr weiter zu berichten, dass es sich hierbei um die Beschau eines in der Nacht Verstorbenen handelte, währte ihre Erleichterung allerdings nur kurz. Ulrich gab zu verstehen, die vor ihm liegende Aufgabe sei vermutlich einfacher und alltäglicher als alle Übungen, die er je im Saaltheater der Anatomie in Leyden hatte auf sich nehmen müssen, aber es gelang ihm nicht, ihre dunkle Ahnung mit seiner zur Schau getragenen Unbeschwertheit zu zerstreuen. Zu oft hatte der Tod Elsbeths Familie gestreift, und sein Einwirken flößte ihr auch in diesem Falle Furcht ein.

      Indes hatten die Jüngeren in der Familie Ulrichs verfrühtes Auftauchen so leicht genommen, wie es die Tante beunruhigt hatte. Agnes, seine Base, die von den beiden Kindern umringt, dem, was er zu berichten hatte, kaum tiefere Aufmerksamkeit schenkte, wünschte ihm gleichwohl viel Glück für die vor ihm liegende Aufgabe, und Gerdt, ihr Gatte, gab in seiner unbeschwerten Art einen derben Scherz zum Besten, über Quacksalbereien, von denen Ärzte angeblich noch bei Verstorbenen nicht lassen wollten, was ihm sogleich einen Tadel von Seiten Elsbeths eintrug. So gern sie die muntere Heiterkeit der kleinen Enkelkinder um sich herum verspürte, so zuverlässig erschienen ihr die Schwänke des Schwiegersohns anstößig und sündhaft und am meisten hatte sie dieses Empfinden, wenn sie sich auf eine Geschichte, die er auftischte, keinen rechten Reim zu machen wusste.

      Nach den vielen Erklärungen, die er zu geben hatte, war die Zeit, die ihm verblieb, alle Vorbereitungen zu treffen und zum Neuen Zeughaus zu gelangen, knapp geworden. Hastig wechselte er den