Ich liebe die Frau, die ich bin. Linda Jarosch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Linda Jarosch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783736503434
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könnte.

      »Ich bin nicht gut genug«, ist ein Satz, den eine Frau mit einem geringen Selbstwertgefühl nur zu gut kennt. Ihr wurde in der Vergangenheit meist vermittelt, dass etwas an ihr nicht richtig ist, dass sie nicht schön genug, nicht schlau genug oder nicht tüchtig genug ist. Dabei wurde sie gerne mit anderen verglichen, und in diesem Vergleich kam sie generell als die Schlechtere weg. Lob und Anerkennung erfuhr sie meist spärlich, und wenn doch, dann eher als Antrieb, noch besser zu werden. Das Bestehende war nicht gut genug.

      Eine Frau entwickelt durch solche Erfahrungen ein Wertgefühl, das nur vom Urteil anderer abhängt. Bewerten andere sie negativ, empfindet sie sich als weniger wert und mag sich auch weniger. Zeigen sie ihr Anerkennung, fühlt sie sich wertvoller und mehr geliebt. Sich selbst fragt sie meist selten: »Wer bin ich ohne das Urteil der anderen?«

      Wenn ich den Satz »Ich bin nicht gut genug« aufgreife und Frauen weiterfrage: »Für wen bin ich nicht gut genug?«, dann kommt häufig die Antwort: »Für mich.« Die Erfahrung aus der Vergangenheit sitzt so tief, dass es jetzt die erwachsene Frau selbst ist, die sich als nicht gut genug bewertet.

      Es sind aber auch andere, denen gegenüber sie sich geringer fühlt. Sie schätzt diese in ihren Begabungen meist höher ein als sich selbst. Ihre eigenen Fähigkeiten erscheinen ihr als nichts Besonderes. Wenn der Komplex in ihr wirkt, dann nimmt sie oft ihren Platz nicht ein, der ihr offensteht. Sie stellt sich lieber in die zweite Reihe und lässt andere vortreten, ob beruflich oder privat. Ihre Selbstzweifel hemmen sie oft, ihr ganzes Potenzial zu zeigen. Sie bleibt dann hinter ihren Möglichkeiten zurück, weil sie sich nicht kompetent genug fühlt. Größere Herausforderungen lehnt sie ab, weil sie vermutlich Angst hat, ihnen nicht gewachsen zu sein. Beruflich setzt sie sich deshalb eher kleine Ziele, weil sie nicht an ihren Erfolg glaubt.

      Der Dämon, sich nicht wertvoll zu fühlen, zeigt sich oft schon in der Körperhaltung. Eine Frau strahlt dabei häufig Unsicherheit aus, als würde sie empfinden: »Bin ich hier richtig? Darf ich hier sein? Mich unsichtbar zu machen ist besser, als mich zu zeigen. Jemand könnte mich sonst kritisieren.«

      Mit diesem Komplex fällt es einer Frau auch schwer, ein Kompliment anzunehmen. Da sagt ihr zum Beispiel eine andere, dass sie ein schönes Kleid anhat, und sie antwortet: »Ach, das habe ich schon lange« oder »Das war ganz billig«. Den zugesprochenen Wert anzunehmen und zu erwidern: »Danke, das freut mich«, ist ihr wenig vertraut.

      Ein Ehemann beklagte sich darüber, dass es für ihn schwer sei, seiner Frau ein Kompliment zu machen. Sage er ihr, dass sie heute schön aussehe, habe sie immer noch etwas an sich zu mäkeln. Entweder fühle sie sich zu dick oder ihre Haare fielen nicht richtig oder das Kleid sitze nicht gut. Er meinte, er könne ihr sagen, was er wolle, sie würde es nicht annehmen. Sie würde ihn dabei auch gar nicht ernstnehmen, nach dem Motto: Das sagt er nur, weil er mich durch eine rosa Brille sieht. Andere werden mich viel kritischer ansehen und gleich erkennen, was nicht passt.

      Das mindere Wertgefühl macht es in Beziehungen meist schwierig. Es kann für ein Gegenüber anstrengend sein, den anderen ständig aufzuwerten, wenn er oder sie sich permanent kleiner macht.

      Wenn eine Frau ihren weiblichen Wert nicht genug schätzt, kann sie auch dazu neigen, den Mann zu überhöhen. Sie ordnet sich seinen Vorstellungen möglicherweise unter oder lässt negative Bewertungen durch ihn zu. In ihrer sexuellen Beziehung bestimmt dann auch meist der Mann, was er will, und sie fügt sich dem, ohne klar zu sagen, was sie möchte. Oder sie sagt zu allen sexuellen Wünschen Nein, weil manch erfahrene Kränkung so an ihr nagt, dass sie keine intime Nähe mehr will. Darüber wird meist nicht offen gesprochen, stattdessen führt dieser Zustand eher zu Vorwürfen des Mannes und zum schlechten Gewissen bei der Frau. Neben ihrer Ablehnung hat sie insgeheim auch das Gefühl, im sexuellen Bereich für ihren Mann nicht gut genug zu sein. Damit wäre ihre frühere Erfahrung wieder bestätigt.

      Eine andere Variante dieses Komplexes: Eine Frau neigt dazu, ihren Partner ständig infrage zu stellen. Sie ist dann vermutlich überzeugt davon, dass ihre weibliche Art die bessere ist. Wie er die Dinge im häuslichen Bereich handhabt, wie er mit seinen Gefühlen umgeht oder wie er Auto fährt – sie versucht ihm zu vermitteln, dass er es doch so machen solle wie sie. Das Anderssein des Mannes sieht sie als geringer an als ihre weibliche Art. Sie kann ihm dadurch vermitteln: »Deine männliche Eigenart ist nicht gut genug« und durch ihre Abwertung versuchen, ihren geringen Wert aufzuwerten. Anstrengende und unfruchtbare Machtkämpfe werden die Folge sein.

      Wenn Frauen das Weibliche in sich zu gering bewerten, kann ihnen das Nachahmen des Männlichen als wertvoller erscheinen. Sie verbinden es vielleicht mit dem Wunsch nach mehr Anerkennung oder sie möchten beweisen, dass sie dem Männlichen in nichts nachstehen. Ob dieser Weg aus einer inneren Freiheit heraus oder aus einem geringen weiblichen Selbstwertgefühl gewählt wird, kann jede Frau nur selbst beantworten. Wenn Frauen sich dabei auch in männlicher Kleidung wohler und wertvoller fühlen, ist das ihre persönliche Entscheidung. Im umgekehrten Sinn würde es bedeuten, dass Männer gleichermaßen weibliche Kleidung wählen, um sich als Mann wohler und wertvoller zu fühlen. Das würden Männer allerdings nicht tun, abgesehen von wenigen Ausnahmen.

      Sollten Frauen in beruflichen Beziehungen als Vorgesetzte oder Kollegin in ihrem Selbstwertkomplex feststecken, dann wird es für Mitarbeiter schwer. Mit diesem Dämon in sich können sie die gute Arbeit anderer selten stehen lassen oder anerkennen. Meistens finden sie immer noch etwas, das nicht passt. Oder sie teilen verbale Spitzen aus, die andere persönlich treffen sollen, damit diese sich minderwertig fühlen. Vielfach erreichen sie das auch.

      Wir kennen alle von Zeit zu Zeit Phasen, in denen wir ein geringes Selbstwertgefühl haben. Dann gehen wir meist nicht sehr liebevoll mit uns um. Wir kümmern uns vielleicht zu wenig um unseren Körper, neigen dazu, uns für andere aufzuopfern oder bewerten uns im Vergleich zu anderen als weniger stark. Und zeitweise lassen wir uns von den minderen Wertgefühlen anderer verunsichern, bis wir merken, dass wir uns damit selbst schwächen. Wir finden meist selbst wieder zu unserem eigenen Wert zurück und entscheiden dann, uns nicht weiter von Zweifeln beherrschen zu lassen.

      »Ich bin an allem schuld« ist ein Satz, den eine Frau mit der Erfahrung von ungerechter Schuldzuweisung in sich trägt. Sie kennt das Gefühl, zum Sündenbock gemacht zu werden für Situationen, die nicht gelingen, oder für Konflikte, die in Beziehungen auftauchen. Jemand weist ihr die Schuld daran zu, und sie ist bereit, diese auf sich zu nehmen. Sie hält an der Erfahrung fest, dass sie schuldig ist, wenn sie in den Augen anderer etwas falsch macht. Das wird ihr zum Komplex. Sie wird dann eher einen Partner haben, der ihr in einem Konflikt vermittelt: »An dieser Situation bist du schuld. Du brauchst dich nur anders zu verhalten, dann haben wir kein Problem.«

      Dann wird sie diejenige sein, die sich für ihre vermeintliche Schuld bald entschuldigt, während ihr Partner kein Wort über die Lippen bringt. Sie nimmt auch seinen Teil der Verantwortung auf sich, weil es ihr vertraut ist, für viele Schwierigkeiten allein verantwortlich gemacht zu werden.

      Das kennen viele Frauen schon aus ihren Elternbeziehungen, wenn sich diese als unfehlbare Autorität gesehen haben. Sie erkennen in Konfliktsituationen dann selten den eigenen Anteil und sind kaum fähig, sich zu entschuldigen. Jegliche Schuld wird im Verhalten der Tochter gesehen, was viele Frauen innerlich resignieren lässt. Aus ihnen kommt dann oft der verzweifelte Satz: »Ich weiß schon, ich bin an allem schuld.« An diesem Punkt machen sie sich selbst klein und blockieren jede Konfliktlösung.

      Wir erleben heute in vielfacher Weise, dass Menschen gerne jemanden schuldig sprechen, aber gleichzeitig jegliche Schuld von sich weisen. Sie werden dabei von der gleichen Angst beherrscht, die zum Dämon werden kann: an etwas schuld zu sein bedeutet, nicht geliebt zu sein.

      Nicht wenige Frauen erleben das auch bei einer Trennung. Sie halten unglückliche Zustände oft lange aus, fühlen sich emotional vielleicht schon länger verhungert, finden aber keinen Weg, um mit dem Partner mehr Lebendigkeit in die Beziehung zu bringen. Womöglich spricht der Partner wenig über sich, vergräbt sich vielleicht in beruflicher Arbeit oder zeigt ein Gefühl der Gleichgültigkeit gegenüber der Paarbeziehung.