Ich liebe die Frau, die ich bin. Linda Jarosch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Linda Jarosch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783736503434
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zu werden. Und es können unsere Überforderungen sein, wenn wir vielleicht schon als Kind Verhaltensweisen zeigen mussten wie eine Erwachsene. Dann besteht die Gefahr, dass wir heute wieder in überfordernde Situationen geraten. Dämonen können unsere Schuldgefühle oder Depressionen sein, die uns besetzen und niederdrücken. Vielleicht sind wir aber auch besessen von Ehrgeiz, von Neid, getrieben von Leistung, von Macht und Sehnsucht nach Ansehen oder Perfektion.

      Dämonen kommen aus unserer Vergangenheit. Es sind die Erinnerungen an Situationen, die uns einmal geschmerzt haben. Wenn wir heute in eine ähnliche Situation geraten, reagieren wir darauf meist wie damals als Kind. Wir fühlen uns vielleicht wieder ohnmächtig, sind verletzt oder ziehen uns zurück und trauen uns nicht mehr, unsere Bedürfnisse zu äußern.

      Erinnerungen an vergangene Erlebnisse können uns bis heute so besetzt halten, dass wir nicht frei sind, wie eine Erwachsene zu handeln. Wir sind dann noch in einer Kinderangst gefangen und können nicht Ja oder Nein sagen, nicht für uns einstehen oder uns durchsetzen. Oft tragen wir auch Sätze aus der Vergangenheit in uns, die uns immer noch gefangen halten.

      In meinem Seminar zu Maria Magdalena haben Frauen einmal solche Sätze aufgeschrieben, die sie aus ihrer Geschichte in sich tragen. Hier einige Beispiele:

      »Ich bin nicht gut genug.«

      »Ich bin immer an allem schuld.«

      »Sei nicht so faul.«

      »Was sagen die anderen?«

      »Du bist mir zu viel.«

      »Sei perfekt, sonst bist du dumm.«

      »Das steht dir nicht zu.«

      Wir alle kennen ähnliche Sätze. Sie wirken oft bis heute und können uns unfrei machen, so zu sein, wie wir sind. Das spüren wir, wenn wir uns einmal fragen: »Was hat dieser Satz mit mir gemacht? Wie besetzt war ich davon oder bin es noch?«

      Hinter einem Dämon steht die Grundangst, nicht genug geliebt zu sein, für andere nicht genug wert zu sein. Wenn uns diese Angst gefangen hält, dann neigen wir dazu, es allen recht machen zu wollen und uns nach den Erwartungen anderer zu richten. Wir trauen uns nicht mehr zu fühlen, was wir eigentlich fühlen, nicht zu sagen, was wir sagen wollen, nicht so zu leben, wie wir wirklich leben wollen, weil wir in der Angst gefangen sind, von anderen dann nicht genug geliebt zu sein.

      Was wir durch Eltern oder Erzieher erfahren haben, sind Formen menschlicher Angst. Sie zeigten sich uns meist in Zeichen von Lieblosigkeit, in unbarmherziger Strenge oder auch im Nicht-Wahrgenommen-Sein, wer wir sind und was wir fühlen. Wenn Eltern selbst nicht zum Leben kommen konnten, weil sie in eigenen Ängsten gefangen waren, konnten sie auch uns nicht zum Leben kommen lassen. Wir versuchten notgedrungen, das Lebendige in uns zu unterdrücken, weil wir als Kind auf ihre Liebe angewiesen waren. Je stärker wir das unterdrücken mussten, desto stärker konnte sich auch unser Komplex oder unsere Angst entwickeln. Sie haben sich in unserem Denken und Handeln oft so festgesetzt, dass sie uns auch heute noch unfrei halten.

      Wenn Maria Magdalena von sieben solcher Ängste und Komplexe besetzt war, dann muss es ihr schlecht gegangen sein. Sie muss sich fremd geworden sein und nicht mehr gewusst haben, wer sie eigentlich ist. Es kann auf Dauer auch krank machen, sich hin- und hergerissen zu fühlen zwischen dem, was andere wollen, und dem, was man selbst will. Es ist eine der schlimmsten Ängste, die eigene Identität zu verlieren und keinen Mittelpunkt mehr zu haben, aus dem heraus man für sich entscheidet. Die Angst vor der eigenen Selbstständigkeit kann so groß sein, dass man lieber die Abhängigkeit wählt als die Selbstbestimmtheit. Es bleiben in einem dabei eine tiefe Unsicherheit und das Gefühl, schwach zu sein.

      Nicht immer sind uns die eigenen unfreien Seiten bewusst. Wir wundern uns vielleicht, warum wir uns in bestimmten Bereichen nicht wohl mit uns fühlen oder nehmen manche Leiden einfach hin. Oft haben wir uns auch gewisse Haltungen angewöhnt, die uns normal vorkommen, und wir merken nicht, welche Macht dabei noch aus der Vergangenheit in uns wirkt. Der Einfluss früherer Erfahrungen kann sich unterschiedlich ausdrücken.

      »Ich bin nicht wichtig«, kann die Gekränkte als frühere Erfahrung verinnerlicht haben. Sie hat Zurückweisung oder Verlassenheit erlebt oder ist nicht wahrgenommen worden. Später wird sie vermutlich wieder mit Menschen in Beziehung kommen, die ihr die alten Erfahrungen bestätigen. Sie erfährt vielleicht wieder Zurückweisung oder Übersehenwerden, und das verletzt erneut ihr Selbstwertgefühl. Es kann auch schon ein harmloses Wort, ein bestimmter Blick oder eine unterlassene Geste zur erneuten Kränkung führen. Als Reaktion darauf wählt die Gekränkte oft das Beleidigtsein. Sie spricht mit dem Betreffenden kaum noch ein Wort, wird vielleicht patzig oder zieht sich ganz zurück. Sie lässt den anderen deutlich spüren, was er ihr Schlimmes angetan hat. Nur – sie sagt nichts! Ihre stumme Vorwurfshaltung soll dem anderen zeigen: »Du bist schuld, dass ich leide.« Diese Haltung kann zur Machtform werden, denn der Kontaktabbruch soll für den anderen wie eine Strafe sein. Der andere ist dann leicht geneigt, die Schuld auf sich zu nehmen, nur um wieder in Kontakt zu kommen.

      Auch in der Mutter-Tochter-Beziehung zeigt sich heute immer häufiger die Haltung des Gekränktseins, in der eine von beiden die Beziehung abbricht. Für beide bedeutet es Leiden, weil eine für Frauen wichtige Beziehung der Kränkung geopfert wird. Oft sind Erwartungen nicht erfüllt worden oder gegenseitige Vorwürfe haben einen schwelenden Konflikt verschärft. Wenn dann eine ganz aus der Beziehung aussteigt, kann keine reife Form der Lösung gefunden werden.

      Die Gekränkte fühlt sich oft ohnmächtig, sich mit Worten gegen ein unachtsames Verhalten anderer zu wehren. Sie spürt meist nicht den Wert in sich, die Situation für sie selbst zu verbessern. Das Leiden an der Kränkung kann ihr vertrauter sein als das Einstehen für sich. In ihrem Ohnmachtsgefühl kann sie auch so in Rage geraten, dass sie mit Worten um sich schlägt und anderen damit ebenfalls tiefe Kränkungen zufügt.

      Manche Menschen nehmen die Gekränkte in ihrem Verhalten nicht mehr ernst. Ihre Handlungsweise wirkt auf sie eher kindlich, deshalb erscheint ihnen die Konfliktlösung auf einer erwachsenen Ebene kaum möglich. Sie spüren das Unfreie in der Gekränkten und aus Schutz für sich selbst wollen sie sich oft nicht mehr auf sie einlassen. Das kann die Gekränkte schließlich einsam machen.

      Von diesem Einsamkeitsgefühl erzählte mir eine Frau. Sie war im mittleren Alter und ich begegnete ihr bei einem Vortrag in einem Frauenkreis. Anschließend lud sie mich zum Teegespräch zu sich ein. Sie lebte allein, erzählte davon, dass sie wenig Freundschaften hätte, und beklagte sich darüber, dass andere den Kontakt zu ihr nicht suchen würden. Sie hätte sich lange darum bemüht, aber sich inzwischen damit abgefunden, dass sie für andere scheinbar nicht wichtig sei.

      Einige Wochen später fuhren wir gemeinsam mit dem Auto zu einer Veranstaltung. Auf dem Nachhauseweg meinte sie, ich hätte mit einer anderen Frau mehr geredet als mit ihr. Ich war erstaunt über diese Feststellung, wusste aber, dass das nichts mit mir zu tun hatte. Denn das »Mehr« waren gefühlte zwei Minuten. Als ich genauer nachfragte, was das in ihr bewirkt habe, wurde klar, dass es eine alte Kränkung in ihr berührt hatte. Als Kind fühlte sie sich von der Mutter gegenüber ihrer Schwester zurückgesetzt. Dieses Kränkungsgefühl wurde auf mich übertragen. Als ich sie in Heiterkeit fragte, ob sie in Zukunft eine Stoppuhr mit sich tragen wolle, um mir aufzuzeigen, wie viel Zeit ich ihr oder einer anderen Frau widme, konnte sie lachen. Sie erkannte, wie absurd ihr Vorwurf in der Realität war und wie besetzt sie immer noch von ihrer alten Kränkung war. In ihrem Komplex konnte sie nicht sehen, dass sie während der Autofahrt viel mehr Aufmerksamkeit hatte als die andere Frau.

      Es ist bezeichnend für einen Komplex des Gekränktseins, dass wir meist die Realität nicht mehr sehen, sondern stattdessen den alten Schmerz nähren: »Ich bin nicht wichtig.« Dann kann man jede Handlung, jedes Wort eines anderen so persönlich nehmen, dass man es sofort als gegen sich gerichtet empfindet. Es wird nicht nachgefragt, wie es gemeint war oder ob es richtig verstanden wurde, sondern der andere wird im eigenen Komplex mitgefangen. Beide erleben dadurch Enge, weil die Angst der Gekränkten im Raum steht: »Ich bin nicht wichtig und damit nicht geliebt und das mache ich dir zum Vorwurf.« Das führt zu Verwirrung, denn der andere wird allein für