Zahlreiche Frauen stehen auch heute in ihren Lebenswünschen immer wieder hinter dem Mann, den Eltern oder den Kindern zurück. Sie trauen sich nicht, sich ihnen als eigener Mensch mit eigenen Bedürfnissen zu zeigen. Meist befürchten sie Bewertungen oder Ablehnung, wenn sie einem bestimmten Frauenbild nicht entsprechen. Sie fügen sich dann in dieses Bild, sind innerlich aber traurig oder im Groll oder werden krank.
In den letzten Jahren haben Frauen auch häufig auf die Defizite weiblicher Sprache hingewiesen. Wir sind so mit der männlich geprägten Sprache verwachsen, dass wir das Fehlen weiblicher Ausdrücke kaum noch spüren. Manche Frauen empfinden diese Achtsamkeit als übertrieben, andere erkennen darin die Notwendigkeit, uns einer weiblich geprägten Sprache bewusster zu werden. Einer in diesem Sinn aufmerksamen Frau fiel in ihrer kirchlichen Gemeinde zunehmend auf, wie stark sich der männliche Einfluss in den Gebeten widerspiegelt. Ihr fehlten die Worte, die auch ein weibliches Bild von Gott zeichneten. Sie meinte, wenn einmal ausschließlich weiblich geprägte Ausdrücke in einem Gottesdienst zur Sprache kämen, würde den Männern die Einseitigkeit bewusster werden. Das mag für viele Frauen nicht wichtig sein, aber das Hinterfragen bestehender Verhältnisse ist immer wichtig, wenn es uns zu mehr Bewusstsein darüber führt, ob sie für uns Frauen noch stimmig sind.
Die Auswirkungen einer patriarchalischen Gesellschaft sind noch in vielen Bereichen zu spüren. Das kann im Miteinander weder die Frau noch den Mann zufriedenstellen, denn beide begegnen sich dabei nicht auf gleicher Ebene. Wenn einer sich überlegen fühlt und der andere unterlegen, kann keine wirkliche Nähe entstehen. Die Frau versucht diese häufig auf der emotionalen Ebene zu finden, kann den Mann dabei aber oft nicht erreichen. Der Mann erhofft sie vielfach auf der körperlichen Ebene zu erfahren und ist enttäuscht, wenn er damit bei seiner Frau nicht ankommt.
Es gibt aber genügend Frauen, die bewusst nach einem überlegenen Mann suchen, weil sie die unterlegene Rolle einnehmen wollen, auch in der Sexualität. Wenn die Dominanz eines anderen und ihre weibliche Unterwerfung zu ihrem Glück führt, dann ist es ihre Freiheit, sich dafür zu entscheiden. Begegnung auf Augenhöhe ist dann nicht ihr Ziel. Die Überlegenheit des Mannes, die sie sucht, kann auch ihre Unsicherheit als Frau überdecken oder ihre eigene Stärke unterdrücken. Prägungen, die unbewusst in uns liegen, bringen uns oft dazu, dass wir die Muster wiederholen, die uns aus unserer Geschichte vertraut sind, bis wir sie erkennen.
Die Prägung Maria Magdalenas – ihre Wirkung auf uns heute
Maria Magdalena ist eine Frauengestalt, die in den Texten der Bibel herausragt. Sie wird darin 14 Mal genannt und keine andere Frau, außer der Mutter Jesu, hat diese Aufmerksamkeit erfahren. Sie muss also eine besondere Persönlichkeit gewesen sein. Im Gegensatz zu anderen Frauen wird sie nicht in Beziehung zu jemandem erwähnt, also nicht als »die Frau von« oder »die Schwester von« oder »die Tochter von«. Sie scheint eine eigenständige Frau gewesen zu sein. Ihrem Beinamen nach stammt sie aus Magdala, einem Ort am See Genezaret. Ganz eindeutig ist von ihr in den Texten belegt, dass sie von sieben Dämonen besetzt war und durch Jesus davon geheilt wurde, dass sie nach ihrer Heilung eine Jüngerin Jesu wurde, dass sie Zeugin der Auferstehung war und von Jesus den Auftrag erhielt, seine Botschaft zu verkünden und der Welt weiterzugeben.
Um sie ranken sich jedoch auch unterschiedliche weitere Geschichten, und heute weiß man, dass ihr Bild lange Zeit mit anderen Frauengestalten der Bibel vermischt worden ist. Mit Maria Magdalena wurde beispielweise das Bild der Sünderin verknüpft, der namenlosen Frau, die Jesus die Füße gewaschen und mit ihrem Haar getrocknet hat. An einer anderen Stelle wird diese Frau als Maria von Bethanien bezeichnet. Vermutlich hat die Namensgleichheit dazu geführt, dass sie mit Maria Magdalena in Verbindung gebracht wurde. Auch das Bild der reuigen Sünderin, einer Frau, die viele Männer gehabt haben soll, wurde Maria Magdalena zugeordnet. Das ist in der Bibel jedoch mit keinem Hinweis belegt. Diese Verknüpfung wurde inzwischen sogar als falsch erklärt.
Die verschiedenen Deutungen und die Legenden, die daraus entstanden sind, haben das Bild Maria Magdalenas mitgeprägt. Zu einem erniedrigenden Frauenbild hat ein Papst im Jahr 591 beigetragen, der sie öffentlich als Prostituierte bezeichnete. Aus diesem Missverständnis heraus wurde Maria Magdalena in der kirchlichen Tradition immer wieder als solche betrachtet. An diesem
diskriminierenden Bild hielt man lange fest, und es hat sich bis heute nicht ganz aufgelöst.
Dieses Bild kann dadurch entstanden sein, dass Frauen in der damaligen Gesellschaft schon als Sünderin bezeichnet wurden, wenn sie sich den starren Regeln dieser Gesellschaft widersetzten. Väter, Ehemänner oder Brüder bestimmten darüber, wie eine Frau zu leben hat. Es war schon eine Sünde, wenn eine Frau sich Wissen aneignen wollte. Übertrat eine Frau diese strengen Regeln, hing man ihr auch leicht die Nachrede sexueller Freizügigkeit an. Eine Gesellschaft, besonders auch eine Religion, die sehr leibfeindlich ausgerichtet ist, kommt immer in Gefahr, das Nichtzugelassene auf andere Menschen zu projizieren. Die Verurteilung der Sinnlichkeit wird dann leicht auf die Frau übertragen, hier auf Maria Magdalena. Sie wurde nicht als ihr Ausdruck weiblicher Stärke gesehen, sondern ihr als Verfehlung ausgelegt.
Prostitution kann allerdings auch anders verstanden werden: Wir prostituieren uns, wenn wir unsere eigenen Gefühle verraten und uns vor anderen erniedrigen, wenn wir unsere Würde aufs Spiel setzen, nur um von anderen Menschen gemocht und anerkannt zu werden.
Das, was Maria Magdalena in ihrer Zeit erfahren hat, hat auch mit unseren Erfahrungen zu tun. Wie sie in einer stark männlich geprägten Welt als Frau gesehen und behandelt wurde, hat sich in das Frauenbild der nachfolgenden Generationen tief eingeprägt. Ihre weiblichen Eigenschaften, mit denen sie ihr Frausein ausdrückte, wurden entwertet und nicht verstanden. Daraus haben sich Missdeutungen ergeben, die über sie verbreitet wurden. Sie wurde benutzt, um ein frauenfeindliches Bild zu bestätigen. Viele christlich geprägte Frauen haben diesen sogenannten Autoritäten geglaubt und dieses abwertende Bild von weiblicher Sündhaftigkeit verinnerlicht. Es ist bis heute nicht in jedem Bereich ausgeräumt.
Was man Maria Magdalena und vielen anderen Frauen durch die Entwertung des Weiblichen angetan hat, hat sich als erfahrenes Unrecht in sie eingeprägt. Aber es hat sich auch die Sehnsucht Maria Magdalenas eingeprägt, auf dieses Unrecht anders zu antworten als nur durch Kränkung. Aus dieser Sehnsucht heraus haben schon viele Frauen eine besondere Stärke entwickelt. Sie haben gerade aus der Erfahrung von Unrecht etwas Entscheidendes für sich und für die Gesellschaft vorangebracht.
Das können wir heute auch, denn je wertschätzender und freundlicher wir auf uns schauen, desto unabhängiger werden wir von äußeren Einflüssen und Autoritäten, desto gereifter sind wir in der Fähigkeit, herzlich und liebevoll mit uns umzugehen und das nach außen weiterzugeben. Zugleich bleibt es auch das Erbe und die Aufgabe der heutigen Männer, aus ihrer Prägung überhöhter Männlichkeit herauszuwachsen und im Miteinander etwas Gleichwertiges zu formen, was auch immer häufiger geschieht.
Das Unfreie in uns
Von Maria Magdalena wird in der Bibel erzählt, dass sie von sieben Dämonen besessen war. Das Wort »Dämonen« gebrauchen wir heute kaum noch. Was also könnte das für uns heute meinen? Es sind diese inneren Mächte, die Befreiung in uns behindern. Von Dämonen sprechen wir, wenn wir innerlich von etwas besetzt oder wie gefangen sind. Es können unsere Ängste sein, alleingelassen oder ungeliebt zu sein. Dämonen können unsere Komplexe sein, etwas