Die Heimat in uns. Jenny Green. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jenny Green
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783956093180
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hatte versucht, sich allein darauf zu konzentrieren.

      »Es war nur ein Traum. Nur ein Traum«, murmelte sie immer wieder vor sich hin. Und erst als sich ihr Pulsschlag wieder in normalen Takten zu bewegen schien, stellte sie das Wasser, das mittlerweile das ganze Badezimmer in eine Dampfwolke getaucht hatte, ab, schlüpfte in ihren Bademantel und ging anschließend in die kleine Küche, die mehr Nische als Raum war.

      Mit einer Tasse Koffein bewaffnet – und ja, sie wusste, dass dies alles andere als beruhigend war, doch die Müdigkeit wollte vertrieben werden – setzte sie sich an den kleinen Esstisch, den sie wenige Tage zuvor samt Stühlen am Flohmarkt um die Ecke erstanden hatte, schloss die Augen und ließ Kaffeeduft in ihre Nase steigen.

      Als sie die erste Tasse geleert hatte, hatte sie das Gefühl, langsam zu sich zu kommen. Aber es gab keine Eile, schließlich war Sonntag.

      Tag der Ruhe.

      Doch dann fiel ihr Blick auf den kleinen Holzkoffer in der Nähe und sie wusste, dass Ruhe sicher nicht das war, was sie heute empfinden würde.

      9

      »Margot Vogl. Heidi Führmann. Hannelore Führmann. Und Elisabeth Führmann«, schallte eine tiefe Männerstimme durch den Raum. »Bitte kommen Sie mit.« Er verwies die Frauen an einen weiteren Mann und fuhr damit fort, weitere Namen aus einer Liste vorzulesen, die er anschließend einem anderen Kollegen zuwies.

      Die Frauen ergriffen ihr weniges Hab und Gut und folgten dem Mann ins Freie.

      »Sie kommen auf dem Bauernhof der Familie Artinger unter. Sie können dort wohnen, bekommen Essen, müssen aber auf dem Hof mithelfen«, erklärte er, und sein Schnurrbart tanzte dabei auf seiner Oberlippe, als er die Frauen durch das Dorf führte, in das sie letzten Endes mit einigen weiteren Familien nach einem langen, abschließenden Fußmarsch vom weiter entfernten Bahnhof gelandet waren.

      Ihre Klamotten fühlten sich klamm an. Der Winter hatte sich bis auf ihre Haut gefressen. Wie sehr sehnten sie sich nach einem warmen Ort, trockener Kleidung, nach einer warmen Suppe und so etwas wie Sicherheit. Doch alles um sie herum war beängstigend. Der bayerische Dialekt machte ihnen zu schaffen. Sie verstanden nur die Hälfte des Gesagten, wenn überhaupt. Es klang wie ein undeutliches Nuscheln und Gebelle.

      Am Hoftor empfing sie eine kleine, verhärmte Gestalt, die sich knapp als Josefa, Magd des Hofes, vorstellte und dann mit eiligen kleinen Schritten vor den Frauen über den Hof tippelte, eine Außentreppe nach oben stieg, dort eine kleine Tür aufstieß und nach innen zeigte. »Dieses Zimmer können Sie haben. Waschzuber und so weiter steht unten im Stall. Stellen Sie Ihre Sachen ab und kommen Sie runter in die Stube. Die Hofbesitzer wollen Sie kurz kennenlernen.«

      Und dann drückte sie sich an den Frauen, die scheu und überfordert auf der Treppe stehengeblieben waren, vorbei und tippelte die Stufen wieder nach unten. Dann war sie verschwunden.

      Hannelore steckte als Erstes den Kopf in das kleine Zimmer. Es war eng, durch ein kleines Fenster fiel nur spärlich Licht hinein. Doch es standen tatsächlich kleine Betten darin. Und darauf, Hannelore konnte ihr Glück kaum fassen, lagen dicke Bettdecken, die endlich etwas Wärme für die anstehende Nacht versprachen.

      Weder Hannelore noch ihre Mutter oder Tante hatten jemals zuvor auf einem Hof gearbeitet. Die schwere körperliche Arbeit machte ihnen besonders in den ersten Tagen zu schaffen.

      Während die kleine Elisabeth bei den Kindern der Artingers gut aufgehoben war, malochten die Frauen im Stall, schleppten Holz für das Kaminfeuer oder nähten, stickten und stopften Kleidung und Decken. Immerhin konnten sie Letzteres im Warmen ausführen.

      Viele der Tätigkeiten musste Hannelore erst lernen, noch nie hatte sie nähen oder sticken müssen, all das hatte zu Hause ihre Mutter übernommen, während sie jeden Tag mit dem Vater zur Arbeit aufgebrochen war.

      Die Artingers schienen zunächst wenig begeistert davon, Flüchtlinge auf ihrem Hof aufzunehmen, doch als sie sahen, dass die Frauen bereit waren anzupacken, änderte sich langsam ihre Haltung und hin und wieder wurde auch ein persönliches Wort gewechselt.

      Die Angst, die Hannelore vor allem in den ersten Tagen und Wochen jede einzelne Sekunde begleitet hatte, verglimmte nun langsam. Doch der Verlust ihres Zuhauses, ihrer Heimat, brannte in ihr weiter wie Feuer.

      Sie lebten wie in einer Blase.

      Schlafen, arbeiten.

      Schlafen, arbeiten.

      Schlafen, arbeiten.

      Tag für Tag.

      Bis zu jenem Tag, der die neugewonnene Sicherheit erneut gefährlich ins Wanken brachte.

      •••

      In der einsetzenden Dämmerung näherte sich eine zierliche Gestalt schnellen Schrittes den langen Weg hinab zum Hoftor. Die Hand war schützend über die Augen gelegt, Februarschneeflocken zeigten noch einmal ihr ganzes Repertoire.

      Hannelore unterbrach ihr Tun, kniff die Augen zusammen und versuchte, den späten Besuch zu erkennen. Sie stand allein im Hof, suchte nun Schutz an der Mauer und spähte weiter in die Dämmerung.

      Das spärliche Hoflicht flackerte im Wind. Als die Gestalt schließlich das Hoftor öffnete, flink hindurchschlüpfte, sich kurz umsah und dann zielsicher auf Hannelore zueilte, hatte Hannelore das Gefühl, alles um sie herum beginne sich zu drehen.

      Ilse zitterte am ganzen Körper, als sie sich neben Hannelore an die Mauer drückte, die sie trotzdem nicht vor der Kälte schützte. Ohne nachzudenken griff Hannelore nach Ilses Hand und zog sie mit sich Richtung Stall, in dem sich um diese Zeit keine Menschenseele mehr aufhielt. Die Arbeit war verrichtet, das Leben spielte sich um diese Zeit im Haus ab.

      Ilses blonde Locken waren übersät mit Schneeflocken, Nase und Wangen von der Kälte gerötet. Ihre Stimme zitterte, als sie zu sprechen begann. Sie wirkte völlig nervös und es war ein leichtes, Hannelore damit anzustecken. »Als ich gehört habe, dass ihr hier auf diesem Hof untergekommen seid, bin ich sofort losgelaufen.«

      »Du bist ja völlig durchgefroren! Wie lange bist du denn unterwegs gewesen?«

      »Wir sind zwei Dörfer weiter auf einem Hof. Alles gut, ich taue schon wieder auf«, lächelte Ilse. »Das war es mir wert. Ich habe es nicht ausgehalten und konnte nicht länger warten. Geht es euch gut?«

      Hannelore nickte und konnte Ilses Blick kaum standhalten. Sie hatte sie eiskalt erwischt. Wie oft hatte sie sich in letzter Zeit dabei ertappt, an Ilse zu denken, und wie oft hatte sie es sich selbst verboten.

      Es verzweifelt versucht.

      »Tut mir leid, wenn ich hier einfach so auftauche, ich scheine dich ganz schön überrascht zu haben.«

      Hannelore versuchte abzuwehren, doch ihre Stimme klang dünn. »Ich habe nicht damit gerechnet, dich so schnell wiederzusehen.«

      »Ich musste mich auch eine Weile durchfragen, bis ich herausgefunden habe, wo ihr untergekommen seid. Das war gar nicht so einfach. Ich kenne ja nur deinen Vornamen.«

      »Du hast also wirklich nach mir gesucht?«

      »Ich musste dich wiedersehen.« Nun war es Ilses Stimme, die zerbrechlich klang, aber ihr Blick, mit dem sie Hannelore festhielt, blieb fest.

      Und dann wurde ihr Körper von heißen Wogen durchströmt. Ilses Lippen auf ihren, warmer Atem, der ihr Gesicht streichelte, und ihre Körper, die sich in eine innige Umarmung zogen, ließen Hannelore taumeln.

      Sanft drückte Ilse sie gegen die Holzwand, ihren Körper noch enger an ihren, fordernde Küsse, die kaum Luft zum Atmen ließen.

      Minuten fühlten sich wie Sekunden an.

      Erst ein lautes Knarren im Hof ließ die beiden Frauen auseinanderfahren.

      Eilig fischte Ilse in ihrem Mantel nach einem Stück Papier, das sie flink in Hannelores Manteltasche verschwinden ließ. »Lass mich nicht zu lange warten«, raunte sie Hannelore ins Ohr, und sofort stieg erneut Hitze in Hannelore auf.

      Im