Wildspitz. Monika Mansour. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Monika Mansour
Издательство: Bookwire
Серия: Zuger-Reihe
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416692
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      Monika Mansour, geboren 1973 in der Schweiz, liebte schon als Kind spannende Geschichten. Nach einer Lehre ging sie auf Reisen und verbrachte mehrere Monate in Australien, Neuseeland und den USA. Danach arbeitete sie am Flughafen, führte eine Whiskybar und war Tätowiererin. 2014 erfüllte sich ihr Traum vom Leben als Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn im Luzerner Hinterland.

       www.monika-mansour.com

      Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

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      © 2020 Emons Verlag GmbH

      Alle Rechte vorbehalten

      Umschlagmotiv: shutterstock.com/Giedriius

      Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

      Umsetzung: Tobias Doetsch

      Lektorat: Irène Kost, Biel/Bienne, Schweiz

      eBook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

      ISBN 978-3-96041-669-2

      Originalausgabe

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      Man spricht von der «tierischen» Grausamkeit des

       Menschen. Aber das ist sehr ungerecht und für die Tiere

      wirklich beleidigend: Ein Tier kann niemals so grausam sein

       wie der Mensch, so ausgeklügelt, so kunstvoll grausam.

      Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821–1881),

       russischer Schriftsteller

      Eine Frau, die wahrhaft geliebt, oder wie man ebenso gut

      sagen kann, gelitten hat, sieht die andern flirten

       mit den Augen einer Mutter, die ein Kind verloren hat

       und die zusieht, wie kleine Mädchen mit Puppen spielen.

      Paul Bourget (1852–1935),

       französischer Schriftsteller und Kritiker

      Der Fuchs bellt nicht, wenn er das Lamm stehlen will.

      William Shakespeare (1564–1616),

       englischer Dichter

      SCHULD

      Wie pflegte Jesus zu predigen: «Tut Busse, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!» Schwester Agatha wischte sich Schweisstropfen von der Stirn. Sie konnte sich nicht erinnern, dass es im Frühling in der Schweiz so heiss sein konnte. Weit über zwanzig Jahre lag ihre Flucht zurück. Die Flucht vor ihrem Gewissen. Die Flucht vor einer Tat, die sie sich nie vergeben hatte. Ihre gewählte Verbannung nach Äthiopien war eine selbst auferlegte Busse gewesen. Aber über zwanzig Jahre Aufopferung konnten nicht wiedergutmachen, was sie verbrochen hatte. Die Zeit war gekommen, sich ihrer Sünde zu stellen und diese letzte Tat zu vollbringen, bevor sie reumütig vor Gott trat, was bald eintreffen würde. Mit letzter Kraft hatte sie die Rückreise angetreten. Die Rückreise in ihre Heimat, nach Hagendorn in die Abtei Frauenthal. Hier hatte sie zehn Jahre ihres Lebens verbracht. Hier fand sie als Novizin zu Gott, in den Mauern des ältesten Zisterzienserklosters der Schweiz. Seit dem 13. Jahrhundert lebten die Schwestern nach den Regeln des heiligen Benedikt. Regeln, die ihr Leben stets erfüllt hatten, Trost spendeten und Hoffnung gaben.

      Wie sauber und ordentlich das Zimmer war. Die frische Bettwäsche roch nach Lavendel. Ein Strauss Feldblumen stand auf dem Tisch am Fenster. Schwester Agatha konnte sich an dem Grün draussen vor dem Fenster nicht sattsehen, auch wenn sie es nur verschwommen wahrnahm. Wie hatte sie blühende Wiesen und schattenspendende Wälder in Äthiopien vermisst.

      Ein heftiger Husten schüttelte ihren ausgemergelten Körper durch, der kaum mehr ein Schatten ihrer selbst war. Zwei Jahrzehnte Sand und Salz hatten ihre Lungen verbrannt. Das Leben am Rande der Danakil-Senke, im Norden Äthiopiens, erinnerte sie täglich an die Hölle, die auf sie wartete. Es war kein Zufall, dass sich Schwester Agatha den heissesten Ort auf Erden ausgesucht hatte, um Busse zu tun. Die Salzwüste war gnadenlos. Brodelnde Vulkane und blubbernde Schwefelseen machten das Leben schier unmöglich – dennoch begaben sich die einheimischen Afar täglich auf die Suche nach dem «weissen Gold», kratzten die Salzplatten vom Boden und verkauften sie auf dem Markt in Mek’ele. Oft beobachtete Schwester Agatha die kleinen Kamelkarawanen, die aus der Wüste kamen. Sie kämpfte auf einsamem Posten um die Seelen der Einheimischen. Die Menschen, die sie bekehren konnte, zählte sie an einer Hand ab. Der Arm des äthiopisch-katholischen Erzbistums in Addis Abeba reichte nicht bis Mek’ele. Aber Schwester Agatha traf auch auf viel Liebe, Trost und Ruhe. Die Einheimischen respektierten sie. Die Kinder kamen, um Lesen und Schreiben zu lernen, die Frauen suchten Rat in familiären Angelegenheiten und liessen sie rufen, wenn es Probleme bei der Niederkunft gab. Die Menschen hatten sie mit dem Wichtigsten versorgt, was sie zum Leben brauchte.

      Äthiopien schien unendlich weit weg, als wäre ihr Leben dort nur ein Traum gewesen. Jetzt war Schwester Agatha zurück, um sich ihrer schlimmsten Sünde zu stellen. Die Kirchenuhr schlug Viertel vor fünf. Die Schwestern würden sich versammeln, um in der Kapelle die Vesper zu feiern. Schwester Agatha war es nicht mehr möglich, aus dem Bett zu steigen. Ihre verbleibende Zeit auf Erden raste dem Ende zu, sie fühlte es. Er wollte heute kommen, hatte es versprochen. Schwester Agatha wollte nicht sterben, ohne um Vergebung zu bitten. Er musste ihre Beichte anhören, die Wahrheit erfahren, das war sie ihm schuldig.

      Sanft klopfte es an die Tür. Schwester Magdalena trat ein, den Kopf gesenkt. «Er ist hier», sagte sie, liess den Mann eintreten, zog sich zurück und schloss die Tür.

      Schwester Agatha blinzelte. Auf einem Auge war sie blind, und das andere hüllte die Welt in einen Schleier. Sie versuchte, sich aufzusetzen, hustete, suchte die Bettdecke nach der Brille ab, die hier liegen musste. Schwester Agatha hörte seine Schritte, hörte den Stuhl, den er heranzog. Er war gross, das erkannte sie an den Umrissen. Nein, er war kein gebrochener, älterer Mann … Etwas stimmte hier nicht. Ein kalter Schauer lief über ihren Rücken hinunter. Sie hörte ihre Stimme zittern, als sie seinen Namen aussprach.

      «Ja», sagte er, «der bin ich.»

      Endlich fand sie ihre Brille und setzte sie auf. Spielte das Schicksal ihr einen Streich? Hatte der Teufel seine Finger im Spiel? War das eine Prüfung Gottes? Dies konnte unmöglich der Mann sein, dem sie ihr Geheimnis beichten wollte. Ihr altersschwaches Herz raste. Sie konnte der Hölle nicht entkommen, die Erlösung blieb ihr verwehrt. Gott war nicht bereit, ihr zu vergeben.

      PROLOG

      Pedro Ramirez log. «Tolle Party, Harri.»

      «Schön, konntest du vorbeikommen. War schon lange überfällig.»

      Ramirez nickte. «Tolles Haus.» Das hingegen entsprach der Wahrheit. Die Villa war der Wahnsinn, nicht zu vergleichen mit Ramirez’ kleiner Zwei-Zimmer-Wohnung in Sins. Er stand etwas verloren unter all den Gästen, die sich herausgeputzt hatten. Ramirez’ beste Hose war in die Jahre gekommen, Jeans wollte er heute Abend nicht tragen. Extra Lederschuhe hatte er sich nicht gekauft, dafür hatten seine weissen Sneakers eine Runde in der Waschmaschine gedreht. Das hellblaue Hemd hatte er sich geborgt und zur Wäscherei gebracht, Bügeln war keine seiner Stärken.

      Harri klopfte ihm auf die Schulter. «Schön, dass ich dich überreden konnte, zu meiner kleinen Feier zu kommen. Du wirst mir fehlen. Sicher, dass du nicht bei mir im neuen Labor als Nachtwächter einsteigen willst?»