Leise rieselt der Tod. Uli Aechtner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Uli Aechtner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416760
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Personen darf ich denn eintragen?«, fragte sie Jennifer, ohne aufzuschauen.

      Jennifer schlüpfte aus ihrem Parka und legte ihn auf einem der Barhocker ab. Sie zuckte zusammen, als sich zu ihren Füßen etwas bewegte. Der Rote hatte es sich unter dem Barhocker gemütlich gemacht und sah mit einer gewissen Arroganz zu ihr hoch, als wollte er sagen: »Typisch Mensch, dich so zu erschrecken. Wenn deine Nase nur halb so gut wäre wie meine, hättest du mich längst gerochen.«

      »Das ist doch der Kater aus dem Lebensmittelgeschäft«, bemerkte Jennifer erstaunt.

      Die Wirtin zapfte weiter Bier. »Tja, der Lebensmittelladen ist nun mal gleich nebenan. Trotzdem sollte der Casanova gar nicht hier sein, verzeihen Sie bitte, den trag ich gleich raus. Ist doch klar, dass ein Kater nicht in einen Gastraum gehört.«

      »Sie hat absolut keine Ahnung«, sagten die Blicke des Katers. »Am besten, du ignorierst sie einfach.«

      »Wie viele Personen sind Sie, haben Sie gesagt?«, hakte die Wirtin nach.

      Jennifer hatte noch gar nichts gesagt, holte dies aber gern nach und zählte auf: »Sieben. Drei Personen in meinem Alter, ein älteres Paar und zwei Kinder, zehn und dreizehn Jahre.«

      »Am preiswertesten ist das Menü.«

      »Und das wäre?«

      »Wildpastete mit Preiselbeersoße, Gänsekeule mit Klößen und Rotkraut. Und als Dessert Lebkuchenparfait.«

      Jenny lief das Wasser im Mund zusammen. Dann dachte sie an Finn und fragte sich, was er wohl gern essen würde. »Wie sieht es mit Pommes aus?«

      »Mit Mayo, mit Ketchup oder rot-weiß?« Die Wirtin blieb sachlich. »Sie können auch à la carte essen. Dann wählt halt jeder, was er so mag, und die Kinder können gern Pommes haben.«

      »Was gibt es denn sonst noch?«

      »Rehrücken mit Birnen und Kartoffelplätzchen. Ente à l’Orange. Oder wie wäre es mit einem schönen Karpfen?«

      Jennys Magen begann zu knurren, als hätte sie drei Tage nichts gegessen.

      Die Wirtin hatte das Bier für die Stammtischler fertig gezapft, stellte die Gläser auf ein Tablett und brachte sie ihren Gästen. »Der Karpfen reicht für vier Personen. Drei, wenn es gute Esser sind«, nahm sie das Gespräch wieder auf, als sie hinter den Tresen zurückkehrte.

      Jenny konnte sich nicht so schnell entscheiden.

      »Sie wissen sicherlich, woher die Tradition mit dem Karpfen an Heiligabend kommt?« Ihr Schweigen wurde von der Wirtin mit geschäftsmäßiger Freundlichkeit überbrückt. »Früher reichte die Fastenzeit, in der Fleisch streng verboten war, exakt bis zum 25. Dezember. Deshalb musste es am 24. Dezember Fisch geben. In manchen Gegenden hat sich der Brauch bis heute gehalten, obwohl kaum noch jemand weiß, warum.«

      »Aha.« Jennifer versuchte ein höfliches Lächeln.

      Die Musik im Hintergrund wechselte zu »Jingle Bells«, und der Tannenbaum in der Mitte des Raums blinkte etwas schneller.

      »Kannst die Luft aus ein paar weiteren Gläsern lassen, Gilla«, schallte es vom Stammtisch herüber. »Mit der ersten Runde sind wir gleich fertig.«

      Keine Frage, der Gerstensaft floss im Dorfkrug schon am Mittag reichlich. Die Wirtin griff zum nächsten Glas und ließ Bier einlaufen.

      »Schön schräg halten, Gilla!«, meinte jemand lachend.

      »Als wenn sie das nicht wüsste«, mischte sich ein anderer Gast ein. »Die Gilla ist nicht doof. Die würde sich jedenfalls von niemandem vergiften lassen!«

      Jennifer horchte auf.

      »Möchten Sie einen bestimmten Tisch reservieren?«, wollte die Wirtin wissen.

      »Gern einen am Fenster, geht das?«

      »Aber klar. Wir tun für unsere Gäste, was wir können.«

      »Erst flieht sie aus dem Dorf, dann taucht sie plötzlich auf und will wieder zu uns gehören«, klang es aus der Männerrunde.

      »Und nun ist die Uta tot.«

      »Als Nikolaus gestorben.«

      »Als Weihnachtsmann verkleidet.«

      »Sag ich doch.«

      »Verkleiden bringt Unglück, außer an Karneval.«

      »Nein, das ist Aberglaube.«

      »Wieso? Hat das Kostüm sie vor dem Tod bewahrt?«

      »Du wirfst da was durcheinander. Trink lieber dein Bier aus.«

      Jenny beugte sich zu der Wirtin vor. »Haben Sie die Verstorbene auch gekannt?«

      Gilla strich mit einem Spatel etwas Schaum von den Gläsern und füllte weiter nach, bis eine schöne Krone entstand. »Die Uta Möbius? Ja, sicher.«

      »Und weiter?«, bat Jenny.

      »Die Uta war lange in der Welt unterwegs«, erzählte die Wirtin, ohne den Zapfhahn aus den Augen zu lassen. »Die war sogar in Indien im Aschram. Hat sie hier jedenfalls mal zum Besten gegeben. Aber gefallen hat es ihr da nicht. Immer nur Fasten, Meditieren und im Morgengrauen aufstehen war dann wohl doch nicht so ihr Ding. Sie hat später in Südfrankreich gelebt. Und da«, sie schnalzte zum Zeichen ihrer Missbilligung mit den Fingern, »will sie ein Restaurant geführt haben, in Toulouse.«

      »Two twos to Toulouse.« Der dumme Spruch ging schneller über Jennys Lippen, als sie ihn sich verkneifen konnte.

      Die Wirtin sah sie fragend an.

      »Zwei Fahrkarten für zwei Personen nach Toulouse. Sorry, das fiel mir nur gerade so ein.«

      Ein knappes Nicken, freundlich, aber desinteressiert, was Fahrkarten nach Toulouse anging. »Die Uta hatte, soweit ich weiß, gar keine Ausbildung in der Gastronomie. Wie will man da ein Restaurant aufmachen? Ein veganes noch dazu?«

      »Vielleicht hat sie später noch eine entsprechende Lehre gemacht«, wandte Jennifer ein. »Oder sie hat dafür Personal eingestellt.«

      »Mag sein. Zuletzt hat sie jedenfalls im Seelenhof ausgeholfen, und die Sandra war wohl auch ganz zufrieden mit ihr. Ist ja keine leichte Aufgabe, der Sandra zur Hand zu gehen. Sie sitzt seit einem halben Jahr im Rollstuhl und leitet dennoch ihre Kurse weiter.« Ein kleiner Seufzer. »Gott sei Dank, sage ich nur, ihre Seminarteilnehmer würden mir schon fehlen. Die übernachten ja alle für gutes Geld bei mir.«

      Nach dieser Tirade wusste Jennifer nicht, wo sie zuerst nachhaken sollte. »Was muss ich mir denn unter einem Seelenhof vorstellen?«, begann sie zögernd. »Das klingt nach einem esoterischen Zentrum.«

      Ein paar Flyer wurden über den Tresen geschoben. »Hier, sehen Sie selbst. Ach, übrigens, darf ich Ihnen etwas anbieten?«

      Jennifer nickte dankbar. »Ein Espresso wäre schön. Sehr nett von Ihnen.«

      Die Wirtin machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen, und sie blätterte einen der Flyer auf. Weihnachtsflirt bei Tannenduft, las sie. In klarer Winterlandschaft auf dem Lande treffen Sie auf Persönlichkeiten, die wie Sie an den schönsten Feiertagen des Jahres nicht allein sein mögen.

      »Das ist so eine Art Partnerbörse.« Die Wirtin stellte den Espresso vor sie hin und deutete mit einem Kopfnicken auf die Flyer. »Wenn wir die Einsamkeit vergessen, bei einem Glas Wein und gutem Essen, mit lieben Menschen zusammen lachen, gehört das zu den schönsten Sachen«, zitierte sie lächelnd. »Das hat die Sandra für mich in den Flyer geschrieben. Die Teilnehmer aus dem Seelenhof essen und trinken natürlich auch hier bei mir.«

      »Ach ja? Und das Programm geht wie lange?«

      »Der ›Weihnachtsflirt bei Tannenduft‹ dauert eine knappe Woche, den gibt es in der Adventszeit. Über die Feiertage wird eine Weihnachtsfreizeit für Singles angeboten: ›Weihnachtsglück auf dem Lande.‹«

      »Gilla, machst du mal eine Runde Korn, bitte«, schallte es