Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat. Demian Lienhard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Demian Lienhard
Издательство: Bookwire
Серия: Debütromane in der FVA
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783627022709
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sie denn nicht alleine gehen? Ich schaue Eulalia ins Gesicht, dann schaue ich auf ihre Arme. Nein, kann sie nicht.

      – Und du, Alba?, fragt sie und nimmt einen Zug. Zwischen meinen Fingern glimmt hell die Zigarette und dann wieder dunkel.

      – Ich?

      – Ja. Wen findest du denn süß?

      Ich nehme ihr die Zigarette aus dem Mund und ziehe langsam daran. Und weil Eulalia danach immer noch auf eine Antwort wartet, nehme ich einfach noch einen Zug und hoffe darauf, dass diese saublöde Frage vergessen geht währenddessen, und diese Hoffnung, die erfüllt sich auch fast, weil ich nämlich einen Hustenanfall kriege, und zwar nicht absichtlich, wie man jetzt meinen könnte, sondern weil ich meine Gedanken zu sehr auf diese Hoffnung richte und zu wenig auf das Rauchen.

      Aber Eulalia interessiert das überhaupt gar nicht mit meinem Husten.

      – Den Müller vielleicht?

      – Den Fußballer?

      Eulalia schüttelt heftig den Kopf.

      – Was denn bitte für ein Fußballer? Ach so! Nein! Den Müller aus der 3c mein ich doch.

      – Welcher denn?

      – Was welcher? Sag mal …

      – Es gibt zwei Müller in der 3c.

      – Na der blonde.

      – Hättest du aber auch gleich sagen können!

      – Hab ich doch.

      Ich schaue zu Hugo. Der wackelt mit dem Kopf: Hat sie nicht.

      Eulalia schiebt wieder das Kinn nach vorn.

      – Also?

      Gerade hebe ich zur Antwort an, als plötzlich eine Hand zwischen uns auftaucht und hin- und herzeigt zwischen Eulalias Armen und meiner Schiene.

      – Untr Amputiertn ist der Einarmige Athlet, ja, höre ich es grölen in meinem Rücken.

      Gar nicht nötig, sich umzudrehen, um zu wissen, dass das der Volltrottel aus der Cafeteria ist.

      – Wer hat dich denn herbestellt?

      – Ist ein freies Land, ja. Und wir sind freie Menschn, ja, verkündet er und setzt so eine staatsmännische Miene auf wie der Bronze-Escher, der in Zürich so gebieterisch auf die Bahnhofstraße glotzt, dass er nicht einmal merkt, dass ihm andauernd die Tauben in den Bart scheißen und ins Gesicht.

      – Frei am Arsch!, sage ich, während Eulalia mich ansieht mit so einem Blick, der in etwa heißt: Halt die Klappe. Aber ich, ich denke gar nicht dran. Ich puste den Rauch so heftig in die Luft, dass er sich in Wirbeln überschlägt über unseren Köpfen.

      Der Typ zuckt mit den Schultern und schlurft zum Aschenbecher. Er quetscht die Kippe aus, kramt eine Weile in der Tasche, fischt umständlich nach der Zigarettenschachtel, klappt den Deckel weg, steckt sich eine neue Kippe in den Mund.

      – Hat jemand Feuer, ja.

      Eulalia nickt eifrig.

      – Wie hast du denn die von eben angezündet?, frage ich.

      – Geheimnis, ja.

      Er zwinkert mir zu. Schon wieder. Wenn ich es nicht besser wüsste, ich würde sagen: Der Kerl hat ein ernsthaftes Problem mit seinem Augenlid. Aber das stimmt nicht. Es liegt ein paar Zentimeter weiter hinten bei ihm, sein Problem.

      – Find’s doch raus, ja.

      Schon wieder so ein dämliches Zwinkern.

      – Hättest dir die Zigarette halt an deiner alten anstecken sollen.

      Eulalia rammt mir ihren linken Gips in die Rippen. Wie so ein Kaltwachsstreifen klebt ihr Blick auf meiner Wange, das spüre ich ganz genau, aber ich schaue nicht hin. Wenn man hinschaut, tut’s nämlich nur noch mehr weh.

      – Na gut.

      Ich halte ihm das Feuerzeug hin. Der Clown höhlt seine Hände zum Windlicht, steckt seine Zigarette hinein und zieht.

      – Danke, ja, sagt er und schiebt den Rauch ganz langsam aus dem Mund.

      Ich sage nichts.

      – Gerold, ja, sagt er dann und zeigt auf sich.

      – Eulalia, sagt eine Stimme neben mir.

      Und ich, ich halte schön die Klappe.

      Aber der Typ zeigt auf mich mit seinem Griffel und fragt oder sagt oder was er auch immer tut mit seinen Sätzen, die keine Höhen haben und keine Tiefen:

      – Und du, ja.

      Ich zögere. Ich denke an meinen Namen und an den meiner Schwester, aber dann fällt mir ein: Nein, der ist viel zu ähnlich. Und dann denke ich an eine Geschichte, die wir vor kurzem gelesen haben im Englischunterricht, und die eigentlich gar keine ist, sondern wahr, und das weiß ich deshalb so genau, weil sie wie meine Geschichte ist, und die ist das ja auch, wahr. Wirklich, wenn ich mich daran erinnere, fühlt es sich an, als würde ich mich die ganze Zeit im Spiegel betrachten, dieses wenn du hineinschaust und merkst: Die auf der anderen Seite, das bin ja ich, einfach spiegelverkehrt.

      Natürlich denkt das keiner, wenn er nach seinem Namen gefragt wird, und ich tue es ebenso wenig da vor dem Krankenhaus. Ich suche einfach nur nach einem anderen Namen, und dabei kommt mir diese Geschichte in den Sinn, und deshalb sage ich dann:

      – Sylvia.

      Natürlich klebt da sofort wieder Eulalias Blick auf meiner Wange, aber ich lasse mir nichts anmerken, und das geht deshalb so gut, weil der Typ jetzt eine ganze Menge Fragen stellt, die er zwar von mir beantwortet haben will, die ich aber allesamt und eifrig Eulalia überlasse mit meinem Schweigen. Als er endlich geht, allerdings nicht, ohne mir einen Zettel mit seiner Nummer zuzustecken, da findet Eulalia, ich hätte mich nicht gut geschlagen.

      – Sag mal, bist du bescheuert?, fragt sie.

      – Warum?

      – Schnapp ihn dir, sonst …

      – Sonst was?

      – Sonst tu ich es.

      Das, denke ich, wäre gut so. Ich will Jack. Und ich will, dass sie ihn nicht will.

      Und dann lasse ich den Zettel mit Gerolds Nummer auf den Boden fallen.

      – Heb das wieder auf!, zischt Eulalia.

      Ich zögere einen Moment. Aber dann greife ich nach dem Zettel und stecke ihn in meine Tasche.

      Drei

      Ich habe Lea kennengelernt, als ich Jack zur Beerdigung begleitet habe. Ich mochte sie auf Anhieb. Lea ist Jacks Schwester. Und es war ihre Beerdigung.

      Es ist einer dieser viel zu schönen Märztage, auf die dann wieder zwei Wochen Regen folgen und Schnee. Der Himmel ist blau oben und an den Rändern weiß schattiert. Oder das Gegenteil davon.

      – Jetzt kann man sehen, dass er rund ist, sagt Jack.

      – Ja, sage ich.

      Dabei ist er das doch gar nicht.

      Die Beerdigung findet im engsten Kreis der Familie statt. Bei Jacks Familie bedeutet das: eng wie wenn ein dreihundert Pfund schwerer Kerl seinen Hintern in eine XXL-Hose zwängen muss. Alle anderen sind sich sicher: Sie haben noch nie eine so große Hose gesehen.

      Eine Zeit lang mochte ich Begräbnisse nicht. Gut, wer tut das schon, sagt jetzt sicher wieder irgendwer, aber ich mochte sie wirklich nicht. Ich meine damit, dass ich sie einfach nicht ertrug.

      Schon beim Aufstehen war mir sterbensübel an diesen Tagen. In der Kirche saß ich deshalb immer abseits, damit ich schnell hinaus konnte, wenn ich bemerkte, wie sich das Gewölbe über meinem Kopf zu senken begann und die geschwulstigen Pfeiler und die Kapellen mit ihrem ganzen stacheligen Zierkram sich mir entgegenschoben und meinen Leib zu zerdrücken drohten und zu zerstechen