Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat. Demian Lienhard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Demian Lienhard
Издательство: Bookwire
Серия: Debütromane in der FVA
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783627022709
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Ja, so.

      Ich ertappe mich dabei, wie ich mein bestes Lächeln aufsetze und beständig nicke, so wie man es tut, wenn man mit seiner Oma spricht, die nicht mehr alle Tassen oder einfach alt oder so. Aber bei Eulalia, ich meine, es sind ja nur ihre Arme.

      – Meinetwegen.

      Dieses Krankenhaus ist voller Irrer. Und das Schlimme daran ist: Damit meine ich nicht die Patienten. Wenn du Fotos von der Klapse machst und die Negative, die sie nach dem Entwickeln mitliefern, gegen die Sonne hältst: So muss man sich das hier vorstellen. Wie eine Klapse, einfach hässlicher.

      – Wir hätten gerne einen Tee, einen Kaffee und zwei Croissants, sage ich an der Theke, aber der komische Kauz dahinter denkt gar nicht dran, das Zeug einfach rauszurücken. Stattdessen spreizt er Daumen und Zeigefinger und fährt sich damit gleichmäßig übers Kinn, als wüsste er weder ein noch aus. Natürlich tut das kein Mensch, das tun nur die Figuren im Trickfilm. Allenfalls. Und jetzt weißt du auch schon, was das für ein Typ ist, der hinter der Theke.

      – Wir, ja, sagt er und kratzt sich am brotblonden Kopf, um sich von einem Jucken zu erleichtern, das er sich gerade ausgedacht hat.

      Ich nicke.

      – Ja, wir.

      Aber der Typ tut so, als würde er an mir vorbeischauen, links und rechts, hebt dann die Arme und winkelt dabei die Hände ab. Nach ein paar Sekunden, als sein Blick auf Hugo fällt, klatscht die Hand gegen seine Stirn. Er zeigt abwechselnd auf mich und auf die Kochsalzlösung.

      – Du – er; er – du, erklärt er und setzt so eine saudumme Heurekavisage auf. Und als wäre das noch nicht genug, tippt sein Zeigefinger einmal gegen die Stirn und zeigt dann senkrecht zur Decke.

      Ich halte den Blick auf ihn gerichtet. So einen muss man im Auge behalten. Immer.

      – Verstehe, ja, sagt er.

      – Was gibt’s denn da zu verstehen?

      Der Kerl weicht einem unsichtbaren Degen aus, aber es hilft alles nichts: Er hält sich die rechte Seite wie getroffen und kreischt.

      – Touché!

      – Touché du kannst mich mal! Kriegen wir jetzt unsere Getränke und die Croissants?

      Der Typ lacht und reißt dabei den Mund so weit auf, dass für einen Augenblick das Dunkel in seinem Rachen rot wird und fleischig.

      – Hältst dich fürn Sonnkönig, ja.

      – Steck dir deinen Sonnenkönig sonst wohin! Dieser Aasgeier mit seiner abgeschmackten Perücke geht mir am Arsch vorbei.

      – Was gehtn dir nicht am Allrwertestn vorbei, ja. Meine Nummr zum Beispiel, ja.

      – Und dann hebt dein Mütterchen ab, und ich muss dir was ausrichten lassen?

      – Probiern geht über Studiern, ja.

      Der Typ zwinkert mir zu und fingert in seiner Hosentasche nach einem Kugelschreiber.

      – Das hätte gerade noch gefehlt. Lass den Stift da, wo er steckt: in deinem Arsch.

      Er grinst und zeigt auf seinen Arm. Das will heißen: Ein As im Ärmel hab ich noch. Er deutet auf meine Schiene und krümmt sich schon vor Lachen, bevor er den Satz überhaupt losgeworden ist:

      – Bist heut mitm linkn Arm aufgstandn, ja.

      Ich schaue Hugo an, er schaut mich an. Wir fragen uns: Echt jetzt? Aber der Lackaffe will sich gar nicht mehr erholen.

      – Meinst du das eigentlich ernst, wenn du so saudumm vor dich hin schwadronierst, oder ist das irgendso ’ne Art Zirkusnummer, in der du dich selbst durch den Kakao ziehst?

      – Das is hier nich die Frage, ja.

      Er zwinkert. Natürlich. Und schnalzt mit der Zunge.

      – Wenn du jetzt drauf wartest, dass ich dich nach der Frage hinter der Frage frage, dann hast du dich aber geschnitten.

      Der Kerl zuckt mit den Schultern. Aber er lächelt. Das ist einfach nicht aus seinem Gesicht zu kriegen, dieses Lächeln. Wie im Sommer die Fruchtfliegen in der Küche. Ekelhaft.

      – Die Frage is, ja, beantwortet er sie also selbst, während sich um sein Auge die ganze Visage zusammenzieht, – ob’s mir gelingt, dich zum Lachn zu bringn, ja.

      Ich lache laut auf.

      – Siehst du, ja, verkündet er stolz.

      – Also das ist so, meldet sich jetzt die Kassiererin zu Wort, die gerade noch eifrig damit beschäftigt war, gar nichts zu tun, aber sich plötzlich für das Hin und Her zu interessieren beginnt: – Er meint es nie ernst. Und dann, etwas nachdenklicher: – In Wirklichkeit meint er’s manchmal ernst und manchmal wieder nicht.

      – Wirklichkeit, ja. Was willstn du schon von der Wirklichkeit wissn, ja, sagt jetzt der Kerl hinter der Theke. – Was für dich wirklich is, ja, muss es noch lang nich für mich sein, ja, flüstert er geheimnisvoll und macht ein Gesicht, das er für das irgendeines Philosophen hält, was aber nur wieder zeigt, wie blöd er eigentlich ist.

      So geht das zu und her hier. Jeden Tag. Sag ich doch: ein Irrenhaus.

      – Ist der vielleicht heiß, sagt Eulalia, als ich ihr die Tasse von den Lippen nehme. Sie rollt mit den Augen.

      Ich runzle die Stirn.

      – Hätte ich den Tee kalt bestellen sollen?

      Ich nehme einen Schluck aus ihrer Tasse. So heiß ist der nicht.

      – Ich meine den Typen, mit dem du so lange geschäkert hast.

      Zwei Augenblicke lang verstehe ich nichts. Ich überlege. Ich schaue zur Theke. Dann trifft es mich wie ein Leichenwagen in der eigenen Hauseinfahrt.

      Ich spucke den Tee über den Tisch.

      – Du meinst doch nicht den widerlichen Typen dahinten?

      Eulalia nickt.

      – Ganz schön süß, nicht?

      Im Ernst? Gut, das mit den Patienten nehm ich zurück. Dieses Krankenhaus ist voller Irrer. Punkt.

      – Süß? Du meinst süß wie … attraktiv?

      Eulalia nickt und lächelt.

      Süß also. Sie findet ihn süß.

      Gut, so erstaunlich war es dann auch wieder nicht. Eulalia, muss man wissen, fand jeden Typen süß. Und das war das viel größere Problem.

      – Ich will mir eine rauchen.

      Eulalia schaut mich mit großen Augen an, und ich, ich schaue einfach nur zurück.

      – Du weißt schon: quarzen. Einen Lungentorpedo, einen Sargnagel, ein Erfrischungsstäbchen.

      Ich zögere. Ich nicke. Ich sage nichts.

      – Eine Nikotinspargel, eine Tabakwurst, ein Lungenbrötchen.

      Ja, schon verstanden. Bin ja nicht schwer von Begriff. Doch ich sage: nichts.

      – Ja, was ist denn jetzt? Kommst du mit?

      Ich senke den Blick, betrachte lange und aufmerksam die leere Tasse, die zwischen ihren Armen steht. Dunkelrote Halbmonde hängen vom Rand, einer neben dem anderen. Ich denke an einen hochgezogenen Samtvorhang, ich denke an Kronleuchter unter einer türkenhonigfarbenen Stuckdecke, an gedimmte Leuchtäpfel über den Emporen und an ferrarirote Plüschsessel zum Einklappen. Und jetzt frage ich mich, wie Eulalia sich eigentlich geschminkt hat mit diesen Armen und wozu.

      – Ich weiß nicht.

      – Komm schon.

      Ich blicke durch die Fenster auf den Parkplatz. Es hat wieder angefangen zu schneien. Nass fallen die Flocken herab und in dünnen Strichen und schräg.

      Ich versuche, mit den Zähnen zu klappern, verschränke, so gut es eben geht, die Arme und deute ein Reiben an an