Rechtsstaaten haben den Hang, die Freiheit des Einzelnen durch rechtliche Begrenzung dessen Handelns zu sichern. Das bedeutet im Idealfall, dass die Freiheit des einen dort aufhört, wo die Freiheit des anderen beginnt. Doch um dies zu erreichen, müssten sich alle Parteien so verhalten, dass die Rechtslage keine Schlagseite bekommt.
Unmaß und Banalität liegen zumeist eng beisammen und können, wenn nicht im Zaum gehalten, durchgehen. Und wie jeder Reiter weiß und jeder Politiker wissen sollte, bedarf es großen Könnens und Feingefühls, um ein durchgehendes Pferd, das aus seinem vertrauenden Frieden geschreckt wurde, zu stoppen.
Schluss mit dem Doku-Irrsinn
Nun also soll auch die seit eh und je bestehende und geduldete Zwischendurchentspannungspause, früher Zigarettenpause genannt, genau dokumentiert und damit kontrolliert werden. Der Zeitaufwand für die Dokumentation ist jedoch derzeit noch nicht dokumentationspflichtig. Jeder kleine und mittlere Gewerbetreibende, ob Apotheker, Küchenchef, Wirt, Zahnarzt oder Gemischtwarenhändler, stöhnt und ächzt unter den hierzulande europahöchsten Lohnnebenkosten und muss jetzt immer mehr das dringendst benötigte Hilfspersonal völlig zweckentfremdet für die Erledigung der wild wuchernden amtlichen Dokumentationsvorschriften einsetzen. Dass amtlicherseits ein Fehler in der Dokumentation entdeckt wird, ist selbstverständlich, und wie viel Zeit bis zur letzten erfolgreichen Kontrolle verbraucht wird, ist überwältigend.
Gerüchteweise hört man nun, dass zusätzlich zur Entspannungszeit-Dokupflicht auch eine WC-Dokupflicht, zweigeteilt in Groß- und Kleinzeit, angedacht ist, für deren Realisation aber derzeit noch ein Gender-Problem zu lösen ist, zu dem auch je ein Vertreter des Gesundheits-, des Frauen- und des Justizministeriums sowie ein Verfassungsrechtsspezialist geladen werden sollen.
Am Anfang war das Wort und am Ende die Dokumentation. Dokumentation beziehungsweise die vom Belgier Paul Otlet am Ende des 19. Jahrhunderts ins Leben gerufene Dokumentationswissenschaft war zuallererst eine pragmatische Reaktion auf den in Naturwissenschaft und Technik hastig ansteigenden Bedarf an Informationen. Und da dieser Bedarf von herkömmlich strukturierten Bibliotheken nicht mehr bewältigt werden konnte, gründete Otlet mit Henri La Fontaine im Jahr 1898 das als Mundaneum bekannt gewordene Museum in Brüssel mit dem Ziel, das gesamte Schrifttum der Welt als Bibliografie in Zettelkästen zu erfassen. Als Otlet 1934 seine Tätigkeit am Mundaneum beendete, ergänzte er diesen Traum mit der Hoffnung, dass die technische Verknüpfung von Büchern, Fernsehapparaten, Radios und Telefonen ein gesellschaftlich-globales Wissensnetz ermöglichen würde − eine Vorwegnahme des World Wide Web in einem von nationalistischen Diktatoren beherrschten Europa.
Nach 1945 griff die die gestürzten Diktaturen beerbende Rechtsstaatlichkeit diese Dokumentationsträume erneut auf, indem sie die Sammlung, Ordnung und Auswertung von Dokumenten aller Art zur Bewältigung von Gegenwart und Vergangenheit hinzuzog. In diesem Geiste war Dokumentation viel mehr ein demokratiepolitisches Mittel zur Realisierung eines hohen gesellschaftlichen Anspruchs als eine oftmals missbrauchte lästige Pflicht.
Ich denke, es wäre an der Zeit, sich der Ursprünge rechtsstaatlicher Dokumentationskultur zu besinnen und als letzte Brüsseler Groteske eine allumfassende Verordnung gegen staatlichen Regulierungswahn zu erlassen.
Zwei verlässliche Künstlerheim-Helfer aus Niederösterreich: Frau Landeshauptmann Johanna Mikl-Leitner und ihr unvergesslicher Vorgänger Erwin Pröll
IIIÖsterreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält
Privatbesuch bei Bruno Kreisky auf Mallorca – mit fehlendem Knopf auf der Kreisky-Weste!
Neues aus der Versuchsstation
Österreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält.« Nicht nur wir, sondern auch Brüssel-Europa sollte sich dieses Wort Hebbels zu Herzen nehmen und am Desaster unserer letzten Wahlen erkennen, was bevorsteht, wenn sinnvolle Verbindungen zu Ringkämpfen um Machtpositionen missbraucht werden. Hier wurde schonungslos aufgezeigt, mit welcher Geschwindigkeit eine ehedem erfolgreiche Verbindung durch eine realitätsverweigernde Entwicklung über Nacht zertrümmert werden kann.
Es wäre nicht Österreich, wenn nicht, trotz des Debakels mit Zwangsrücktritt des Kanzlers, Reparaturversuche zum Weiterwurschteln unternommen würden. Darum können wir wohl getrost weiterhin, wenn schon nicht auf Neues, so doch auf die jährlich wiederkehrende Lawine von frisch erfundenen Reglementierungen etc. zum Zuschütten von Privatinitiativen hoffen. In Anbetracht der bedenklichen Wirtschaftslage, der zornigen jungen und der resignierenden alten Wähler, die sogar ihren geliebten Ex-Sozialminister mit seinen vergissmeinnichtblauen Augen nur noch auslachen, kann man nur beten, dass bald etwas geschieht, damit nichts Undenkbares passiert. Oder sollten wir wieder einmal die Versuchsstation für den Weltuntergang werden?
Österreich ist ein schönes, kleines Land mit weniger schönen, großen Problemen. Diese Dualität spiegelt sich seit Generationen im täglich wahrnehmbaren Zwiespalt zwischen Minderwertigkeitsgefühlen und Größenwahn. Mit Adolf Hitlers historischem Auftritt im 20. Jahrhundert bekam die Welt auf tragischste Weise die Auswirkungen dieser neurotischen Doppelgleisigkeit zu spüren. Doch ohne sie wäre derselben Welt der Heil bringende Ansatz von Sigmund Freuds Lehre entgangen. Österreich − ein kleines Land, das große Schatten wirft.
Um die in diesem psychisch instabilen Humus keimende Unerträglichkeit des Seins zu überwinden, entdeckte der Österreicher die Kunst als Mittel zum Verdrängen und Vergessen und förderte sie von Habsburg bis Heller mit derselben neurotischen Konsequenz, die ihn einst in ihre Arme trieb. Durch sie, die Holde, wurde das im wilden Kreis des Lebens umstrickte Österreich in eine »bessre Welt entrückt«.
Eine »Welt«, in der die weltoffene Gastfreundschaft mit spürbarer Reserviertheit gegenüber Gästen ihre kunstvoll zelebrierte Widersprüchlichkeit fand, galt und gilt es doch, diese »Insel der Seligen« argwöhnisch zu verteidigen.
Die österreichische Mischung von Genialem mit Banalem ist im Positiven wie im Negativen hochdramatisch, demzufolge der stets auf sich bedachte Österreicher eine Hochkultur des Genießens schuf, in der belastende Probleme mit Vorliebe nicht beizeiten gelöst, sondern aus der Not im letzten Augenblick »bewältigt« wurden und werden.
Dies in letzter Minute oft gewaltsame Bewältigenmüssen hat allerdings auch einen gesellschaftlich hohen Preis.
Gibt’s keinen Genierer mehr?
Selten war der Satz »Österreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält« so stimmig wie heute. Die derzeitige Selbstzerstörung der halbwegs funktionierenden Ordnungsstrukturen seit dem Zweiten Weltkrieg hat beängstigende Mutationen entstehen lassen. Bei uns zum Beispiel sind aus den imponierenden, selbstbewussten, solidarischen roten Klassenkämpfern egomane, zahnlose Beißer und staatsversorgte, millionenschwere Dubioslobbyisten erwachsen. Aus den einst saftigen Grünen ist ungenießbar Tiefgefrorenes entstanden, samt einer wehleidigen Grün-Mama, die nicht nur die eigenen Kinder killt, sondern sich auch noch schamlos vermarktet. Während gleichzeitig die türkise Hoffnungsfarbe von stinkenden, blau-braunen Rauchschwaden zugedeckt wird und die Neos den liberalen Seiltanz weiter üben, zertwittert und zertrumpt in globalem Ausmaß, was unsere Lokalgrößen schon geschafft haben.
Oder ist dies alles vielleicht nur so authentisch wie die interessante Kulturnachricht vom 25. 2. im ORF, dass das berühmte Lied Am Brunnen vor dem Tore ein Volkslied sei, vom Beginn des 19. Jahrhunderts. Heiliger Schubert, schau oba. Gibt’s überhaupt kan Genierer mehr?
Wie