Doch wenn ich ein Mops wäre, wäre das aus meiner zugegebenermaßen menschlichen Sicht ganz und gar nicht so, denn Möpse, wie alle Hunde, bleiben nicht nur auf ihrem Weg, sondern auch am erreichten Ziel glücklich und froh. Beneidenswert, aber mir zu wenig, obwohl meine Personenbeschreibung an die eines Mopses erinnert. Auch meine Vorfahren finden sich in den Annalen längst vergangener Zeiten, waren vornehmlich, wenn schon nicht immer vornehm, in »besseren« Kreisen zu Hause und genossen zuweilen den despektierlichen Ruf, Selbstdarsteller zu sein. Da ich, wie der Mops, nicht den üblichen Normen entsprach, galt ich für manche Spießer aus meinen Kreisen als komisches Wesen, wodurch ich wiederum, wie Möpse im 18. Jahrhundert, Verwendung im Theater fand.
Nun lebe ich bereits in meiner zehnten Lebensdekade und bin gespannt, wo und wie die noch unvollendete Reise enden wird. Dass ich zu guter Letzt eine Straße ohne Wiederkehr gehen muss, ist gewiss. Aber weniger gewiss ist, was mich bis dahin erwartet.
Man verzeihe mir, wenn die mit Neugier gestellte Frage nach dem Wohin in meinem Alter unangemessen erscheint, aber ich kann nicht anders. Und wenn ich, wie ein Mops, trotz Älterwerdens, an Ausdruck gewinne, dann soll mir diese Ähnlichkeit mit den Möpsen willkommen sein.
Schlag nach bei Elmayer!
Nun also ist er endlich erschienen, der Große Elmayer, längst fällig zur Wiederentdeckung des im Laufe der Zeit abhandengekommenen zivilisierten Umgangs der Menschen miteinander. Durch die miserablen verbalen und sonstigen Verhaltensweisen von Protagonisten unserer Gesellschaft bei jeder Gelegenheit und auf allen Gebieten steht längst nicht mehr das bessere Argument im Mittelpunkt eines Disputs. Sondern er dient immer mehr und um jeden Preis egomanisch der persönlichen Karriere des Redners. Dass dieser Missbrauch demokratischer Möglichkeiten bereits – deutlich sichtbar bei Wahlergebnissen und Umfragen – die verunsicherten und orientierungslosen Wähler mobilisiert, die dann am Ende das errungene demokratische System infrage stellen können, und dass die hysterischen Selbstverwirklicher sich dabei noch selbst abschaffen, ist ihnen wohl entgangen.
Schlechtes Benehmen verdirbt gute Sitten, sagt das Sprichwort. Der Große Elmayer lehrt uns, dass auch gute Sitten beispielhaft sein können und ein sinnvolles Miteinander oder Nebeneinander von Freund und Feind ermöglichen, ohne ein Schlachtfeld mit erniedrigten und beleidigten Rächern zurückzulassen.
Hochbegabte Menschen fallen anhand ihrer Kreativität und Originalität auf. Dadurch kommt es mitunter zu unkonventionellem Fehlverhalten, mit dem sie die Gesellschaft brüskieren. Das Ventil, um den dadurch entstehenden Druck auszugleichen, ist der schöpferische Akt.
Ein solches Ventil im Vorfeld der Französischen Revolution war die literarische Strömung des Sturm und Drang. Getragen von jungen Autoren in der Zeit zwischen 1765 und 1785, ist sie nicht nur jahreszahlmäßig, sondern auch inhaltlich mit der zweihundert Jahre später stattfindenden 68er-Bewegung in Verbindung zu bringen. Es war ein Versuch, den von Kant formulierten »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit« zu finden.
Und was ist in unserem gesellschaftlichen Alltag von alldem damals genial Erstrebten geblieben? Nicht viel mehr als ein Zitat des jungen Goethe. »Er kann mich im Arsche lecken« machte sowohl den fränkischen Reichsritter Götz von Berlichingen als auch den jungen Dichter im deutschen Sprachraum unsterblich. Das gibt zu denken, hat doch der historische Götz laut seinen Aufzeichnungen dem mainzischen Amtmann auf Burg Krautheim die weniger drastische Formulierung »er soldt mich hinden leckhenn« zugerufen. Aber, ob das die Wirkung erzielt hätte, die Goethe bei uns Benimm-dich-Bürgern erzielen wollte? Nein, natürlich nicht! Er wusste, dass er ohne den »Arsch«, in dem ihn der Hauptmann lecken kann, in der hohen Literatur und in der guten Gesellschaft keinen Stich machen würde.
Was wäre aus Goethe wohl geworden, wenn er in seiner Jugend Benimmstunden bei Elmayer genommen hätte?
Nachlese zum Wahlkampf
Merkt wirklich niemand, dass die viel beschworene westlich-abendländische Kultur viel mehr von innen als von außen bedroht ist? Glaubt wirklich noch jemand, dass sie mit Zäunen gerettet werden kann? Es braucht wahrlich keine gelehrten Betrachtungen, sondern nur ein bewusstes Zuhören und Hinschauen, um zu sehen, wie die einfachsten Regeln für ein leidliches Funktionieren des Zusammenlebens während der letzten Jahre total zerbröselt sind.
So ist die Gedanken- und Redefreiheit des Andersdenkenden zu einem Mörderangriff mutiert, der im politischen Alltag mit Hass, Wut und Niedertracht in Trump-Höhe bekämpft werden darf. Ein Vorbild für den neuen Common Sense im Umgang miteinander. Und die EU? Was macht sie? Sie wackelt hin und her wie ein Schlafwandler auf dem Dachfirst zwischen Brexit und Exit-Drohungen, zwischen Ölkartellen und Gurkenkrümmung und dem Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. »Nicht Skythen und Chazaren bedrohen unsre Zeit, nicht fremde Völker: Aus eignem Schoß ringt los sich der Barbar, der ohne Zügel alles Große herabstürzt von der Höhe, die es schützt, zur Oberfläche eigener Gemeinheit.« (Grillparzer, gekürzt)
Dass ausgerechnet die seit 1951 13. [!] Direktwahl eines österreichischen Staatsoberhauptes durch das Bundesvolk derart in die Hosen gehen konnte, wie sie 2016 im In- und Ausland wahrgenommen wurde, könnte einen wirklich abergläubisch machen. Über sieben Monate Wahlkampf waren vonnöten, bis Alexander Van der Bellen diesen Spießrutenlauf für das höchste Amt im Staat für sich entscheiden konnte. Das hatte so manches Erfreuliche, aber auch Unerfreuliches zur Folge. Da fiel es mir schwer, nicht an den von Oswald Spengler vorhergesagten Untergang des Abendlandes zu denken.
Mit dem Denken fällt mir immer wieder sogar etwas »Denkwürdiges« ein. Zum Beispiel jene prophetischen Worte Grillparzers in seinem Historiendrama Ein Bruderzwist in Habsburg, die darauf hinweisen, dass Gesellschaftsordnungen eher durch innere Schwächen als durch äußere Bedrohungen gefährdet sind.
Warum das immer so war und immer so sein wird, ist schwer zu sagen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass der Mensch von außen kommende Schicksalsschläge leichter erträgt als selbst verschuldetes Leid, da er den Gedanken der Mitverantwortlichkeit für das, was um ihn geschieht, wie der Teufel das Weihwasser scheut. Und das ist in einer Demokratie, in der alle Mitverantwortung tragen sollten, ein ernst zu nehmendes Problem, führt doch die Angst, Verantwortung tragen zu dürfen, im Handumdrehen zu einem politisch folgenschweren Freiheitsverlust.
Denken wir daran, wenn wir das nächste Mal mit einem gesellschaftlichen Problem konfrontiert werden.
So werden wir entmündigt
Nun endlich wissen wir es: Es ist wissenschaftlich belegt, dass weder die Pommes noch die Gummibärli noch die für die ganze Familie nachgewiesenermaßen gesunde Kindermilchschnitte als Zwischendurchgenuss beim Fernsehfußballmatch dran schuld sind, dass viele Jugendliche und ihre Eltern immer fetter werden. Auch die gewohnten Biohühnerriesenburger für die Hauptmahlzeit haben nichts mit dem Übergewicht der ebenfalls wissenschaftlich nachgewiesenen 44 Prozent übergewichtiger Mitbürger in unseren Breitengraden zu tun. Denn nun ist endlich auch wissenschaftlich belegt, dass die Gewichtsentwicklung eines Menschen mehr oder weniger von der Qualität seiner Gene bestimmt wird.
Also wird dem Problem wohl nur mit einer neuen Antifettsuchtpille beizukommen sein, zumal der Erfolg der veralteten, mühsamen Abspeckmethode »Friss die Hälfte« nicht mehr eindeutig wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte. Wenn man seinen Gedanken freien Lauf lässt, kann man in der Entschlüsselung des Fett-Gens wieder einmal eine effiziente Methode zur totalen Entmündigung der Menschen sehen. Cui bono? (Wem zum Vorteil?)
Es gilt selbstverständlich wie immer die Unschuldsvermutung.
»Da steh ich nun, ich armer Tor!/Und bin so klug als wie zuvor«. Diese geflügelten Worte am Beginn von Goethes Faust gewinnen im Alter an Bedeutung, zieht doch jede neue Erkenntnis eine Schleppe an Fragen nach sich, die nicht zu beantworten sind. Auch nicht, wenn man, wie ich, 90 und mehr Jahre geschenkt bekommt.