»Ich bin so aufgeregt, Papa«, flüsterte sie. »Kommt sie jetzt bald?«
Aber erst nach dem dritten Klingelzeichen, als jeder, aber auch jeder Platz besetzt war, wurde es still im Saal.
Und dann erschien sie auf der Bühne – Bianca Fabrizius – ihre Mutter!
Sandra hielt den Atem an. Wie wunderschön sie aussah in ihrem bodenlangen Kleid, wie eine Königin. Das Publikum empfing sie mit Applaus, aber als sie sich an den großen schwarzen Flügel setzte, war es wieder mucksmäuschenstill.
Und sie griff in die Tasten, zauberte Mozartklänge von unsagbarer Zartheit aus dem kostbaren Instrument, und mehr und mehr erfüllte die Musik den hohen Raum, manchmal leidenschaftlich und aufwühlend, dann wieder schwebend und träumerisch verhallend.
Ja, wie aus einem Traum erwachte das Kind, als das Konzert zu Ende war.
»Ist sie nicht wunderbar, Papa?« wisperte sie zu ihm empor.
»Ja, das ist sie.« Seine Stimme klang bewegt. »Komm«, er nahm sie bei der Hand und zog sie von ihrem Platz, »wir gehen jetzt zu ihr in die Garderobe.« Der Applaus verhallte hinter ihnen, als sie sich den Weg dorthin bahnten, aber noch verstummte er nicht.
Blumen über Blumen standen da in der Garderobe, und sie waren es nicht allein, die auf die Künstlerin warten mußten, denn wieder und wieder mußte sie sich ihrem dankbaren Publikum zeigen.
Endlich kam sie, erhitzt, strahlend, glücklich, leicht aufgelöst das goldrote Haar.
»Mami, Mami!« Sandra stürzte auf sie zu.
»Ja, mein Liebling, du hier?!« Weit breiteten sich Biancas Arme aus, um ihr Kind zu umfangen. Und dieser Moment war für Sandra nun noch schöner als alle Träume.
Dann begrüßte sie ihren Mann: »Clemens, schön, daß du gekommen bist.«
Er zog ihre Hand an die Lippen. »Du warst wieder großartig, Bianca.«
Schon umringten alle möglichen Leute die Künstlerin, um sie zu beglückwünschen. Sie waren laut, sie waren überschwenglich, Bianca genoß es und vergaß im allgemeinen Freudentaumel ihr Töchterchen. Bis ihr Blick wieder auf das Kind fiel, das da klein und verwirrt stand und sich an die Hand ihres Vaters klammerte.
»Clemens, bitte«, wandte sie sich an ihn, »fahr doch voraus und bring Sandra schon ins Bett. Wir sehen uns später im Hotel.« Und sie ließ sich, huldvoll lächelnd, von ihrem nächsten Bewunderer die Hand küssen. »Folgen Sie mir tatsächlich von Stadt zu Stadt, Baron?« hörte Clemens sie noch sagen, als er sein kleines Mädchen mit sich nahm.
Sandra sagte nicht mehr viel. Sie war nun sehr müde, so lange war sie noch nie aufgewesen. Sie schlief bald ein in dem breiten Bett, darin sie ganz winzig aussah.
Clemens ging wieder hinunter. Bianca war noch nicht da. Als sie nach etwa einer halben Stunde kam, war sie umgezogen, mit Blumen im Arm, und von einem ganzen Troß umgeben.
»Wer sind diese Menschen?« raunte er ihr zu. »Schick sie weg.«
»Unmöglich, Clemens, es sind die Veranstalter und Honoratioren der Stadt.« Sie wurden ihm vorgestellt. Man ging in den Speisesaal, wo die Tafel gedeckt war. Bianca pflegte immer erst nach dem Konzert zu speisen. Es gab diverse Köstlichkeiten, Champagnerpfropfen knallten dazu. Sie war auch hier strahlender Mittelpunkt, zeigte keine Anzeichen von Müdigkeit.
Es war lange nach Mitternacht, als die Gesellschaft, etwas angeheitert, auseinanderging.
Bianca verabschiedete ihren Mann vor ihrer Tür.
»Ich hatte mir das ja etwas anders gedacht«, sagte Clemens.
»Tut mir leid. Aber so geht das immer zu an einem solchen Abend. Ich gehöre nicht mir allein. Du bleibst doch bis übermorgen, und morgen bin ich frei. Ich werde schon mit euch frühstücken, aber bitte nicht vor zehn.« Sie gab ihm einen flüchtigen Kuß und verschwand in ihrem Zimmer.
Bianca war reizend am nächsten Tag, zärtlich zu dem Kind, ganz liebevolle Gattin zu Clemens. Um
die Mittagszeit unternahmen sie einen Spaziergang, eine glückliche Sandra zwischen sich. Den Nachmittag verbrachten sie in ihrem Appartement, zu dem ein Salon gehörte.
»Ich streiche jeden Tag durch, bis du wiederkommst, Mama«, sagte Sandra. »Es sind noch vierzig Tage, hat Felix gesagt. Der kann schon rechnen.«
»Es werden noch ein paar Tage mehr sein, Schätzchen. In einigen Städten wiederhole ich den Abend, weil nicht alle Platz bekommen haben.«
»Du beabsichtigst die Tournée zu verlängern?« fragte Clemens betroffen.
Als sie nur knapp bejahte, sagte er langsam: »Du nimmst dir sehr viel Freiheit, Bianca.«
»Ich brauche sie, Clemens«, sagte sie kühn. Dabei sahen sie sich ernst und gerade in die Augen.
»Ich habe meinen Urlaub geplant, wir wollten zusammen verreisen…«
»Verschieb ihn«, sagte Bianca leichthin.
»So einfach ist das nicht. Ich habe mich mit meinem Kollegen abgesprochen«, erwiderte Clemens mit gerunzelter Stirn.
Seine Frau zuckte die Achseln. Sie sah auf Sandra, die mit ängstlichen Augen von einem zum anderen blickte.
»Geh nach nebenan, Liebling, da steht ein Fernseher. Nachmittags sind doch Sendungen für Kinder, schau dir ein bißchen was an.«
Sandra gehorchte. Das empfindsame Kind merkte wohl, daß da eine Mißstimmung aufkam. Bisher war alles so schön gewesen. Aber jetzt ärgerte sich der Papa, daß die Mama noch länger von zuhause fortbleiben wollte. Auch sie betrübte das sehr. Natürlich war sie sehr stolz auf ihre Mutter, zumal nach dem gestrigen Abend. Aber waren ihr all die vielen Leute denn wichtiger als sie und ihr Papa? Ein paar Tage länger… Aber wenn nun wieder Wochen daraus wurden?
»Ich habe die Absicht«, begann Bianca, als sie allein waren, »mir von meinen Gagen ein Haus in Südfrankreich zu kaufen. Es ist ein äußerst günstiges Angebot, in traumhafter Lage.«
Clemens glaubte nicht richtig gehört zu haben. »Was willst du mit einem Haus in Südfrankreich?« fragte er fassungslos.
»Mich von Zeit zu Zeit dort erholen. Süden, Sonne, das Meer… Ich habe diese Gegend immer sehr geliebt.«
»Wir haben doch ein schönes Haus«, hielt er ihr entgegen. »Kannst du dich dort nicht erholen zwischen deinen Konzerten? Genügt dir das auf einmal nicht mehr? Soll ich, soll Sandra, noch öfter auf dich verzichten als wir das ohnehin schon müssen?«
»Ich höre schon wieder einen versteckten Vorwurf aus deinen Worten«, behauptete Bianca gereizt.
»Der wohl nicht ganz unberechtigt ist«, sagte Clemens bitter.
»Ihr könnt doch kommen, sooft ihr wollt. Es wird euch als Ferienhaus ebenso gehören wie mir«, erklärte sie, ohne seinen Einwurf zu beachten.
»Das sind doch leere Worte. Ich habe meinen Beruf.«
»Eben«, fiel sie ihm heftig ins Wort, »der dir genauso wichtig ist wie mir der meine. Warum versuchst du immer wieder, mich darin einzuschränken?«
»Das tue ich doch gar nicht.« Clemens schüttelte den Kopf. Sie redeten im Kreis. Das wurde zermürbend wie schon so oft. Und nun auch noch dies: Ein Haus wollte sie kaufen, in dem sie sich »erholen« konnte. Ohne ihn. Ohne ihr Kind.
»Vielleicht willst du ganz deine Freiheit haben.« Seine Stimme schwankte ein wenig. »Manchmal hört es sich fast so an, als würden wir dir allmählich zu einer Last. – Oder«, der Gedanke durchzuckte ihn jäh, »ist da vielleicht ein anderer Mann? An Verehrern fehlt es dir ja nicht.«
»Es gibt keinen anderen Mann, und es wird auch nie einen anderen geben«, widersprach sie erregt. »Ich gehöre meiner Musik und dir. Ich hasse es nur, wenn du mir Vorschriften machen willst. Warum soll ich mir nicht ein Haus in Südfrankreich kaufen, wenn es mir