»Ach so.« Felix kannte den Unterschied nicht so genau. Eine Weile hörten sie zu. »Sie kann das aber gut, nicht?«
»Ha«, Sandra warf das Köpfchen in den Nacken, »meine Mutter ist doch auch eine berühmte Pianistin und gibt Konzerte in allen großen Städten.«
»Echt?« Beeindruckt sah der Junge sie an. Dann blickte er auf seine Sandalen. »Meine Mutter«, sagte er, als müßte er dem etwas entgegensetzen, »kann Englisch und Französisch. Sie übersetzt Bücher. Da steht dann vorne drin: Ins Deutsche übersetzt von Beate Herder. So heißt meine Mama nämlich. Die werd’ ich alle mal lesen.«
Sandra dachte darüber nach, wie das wohl ging, Bücher übersetzen. »Muß sie dann gar nicht weg?« fragte sie schließlich.
»Wie, weg?« fragte Felix etwas verwundert zurück.
»Ich meine, ist deine Mutter da immer zu Hause?«
»Ja, klar«, antwortete er eifrig, »wo soll sie denn sonst sein. In unserer neuen Wohnung hat sie jetzt auch Platz für ihren Schreibtisch. Vorher hatten wir es ziemlich eng.«
Eine Mutter, die immer da war… Sandras Gesichtchen nahm einen sehnsüchtigen Ausdruck an. Sie horchte auf die Töne, die herüberklangen. Es waren jetzt immer dieselben Läufe, die Mama übte.
»Da geht deine Mutter wohl auch mal mit dir in den Zoo«, meinte sie.
»Hm, da wollen wir jetzt bald mal hin, da gibt’s jetzt Junge.« Plötzlich sprang er auf. »Ich muß jetzt nach Hause, meiner Mama beim Kochen helfen.«
Das fand Sandra komisch. »Kann sie denn kochen?«
Verdutzt sah Felix sie an. »Pff, du kannst aber fragen«, platzte er heraus. »Das können Mütter doch.«
Sandra nickte etwas geniert. Bei ihnen machte das Frau Scholl. Sie hatte ihre Mama noch nie in der Küche gesehen. Aber dafür war sie ja auch eine große Künstlerin.
»Also tschüs, Sandra!« Auf halbem Wege vom Klettergerüst herab fragte er noch: »Kann ich mal wiederkommen, wenn du draußen bist?«
Sandra nickte. Sie sah ihm nach, wie er sich über den Zaun schwang und hinüberlief zu dem Haus, in dem seine Mutter immer da war.
Sie mußte an diesem Mittag allein mit Frau Scholl essen. Die Mama blieb im Musikzimmer, sie wollte nicht gestört werden, und der Papa war noch in der Klinik.
Von seinem Vater hatte Felix gar nichts gesagt. Was der wohl machte? Sandra nahm sich vor, ihn
das nächste Mal danach zu fragen. Wenn sie schon keinen Bruder bekam, wie sie sich das immer gewünscht hatte, dann konnte Felix vielleicht ihr Freund werden.
*
»Ich hab’ ein Mädchen kennengelernt«, berichtete Felix seiner Mutter. »Sie heißt Sandra. Sie ist ziemlich klein und dünn, aber sonst hübsch.«
»Soso.« Beate schmunzelte in sich hinein. Ihr Sohn fing ja gut an. Sie hackte die Petersilie für die Gemüsesuppe, indessen Felix zwei Teller auf den Tisch stellte und die Löffel danebenlegte. Dann durfte er den Obstsalat mischen und in Glasschalen füllen.
»Sie wohnt in dem großen weißen Haus dahinten«, erzählte er weiter. »Im Garten hat sie einen Spielplatz ganz für sich allein. Ich bin über den Zaun geklettert…« Mit einem Lausbubenlächeln sah er schräg zu seiner Mutter.
»Das solltest du aber besser nicht tun«, meinte sie.
»Warum, hat doch keiner gesehen, und Sandra wollte doch, daß ich sie schaukelte. Ihre Mutter spielt Klavier und reist damit herum. Sie soll berühmt sein. Aber vielleicht hat Sandra auch nur ’n bißchen angegeben. Was denkst du, Mama?«
»Keine Ahnung. Ich kenne die Leute doch nicht. – Bringst du mir noch den Müll weg, Felix?«
Schon flitzte er los zu den Tonnen unten im Hof. Zwei Minuten später war er wieder da. »Wenn wir mal in den Zoo gehen, könnten wir die Sandra vielleicht mitnehmen«, sagte er.
»Sie scheint dich ja sehr zu beschäftigen«, lächelte Beate. »Aber wieso sollte sie mit uns gehen wollen? Wir wissen doch weiter gar nichts von den Nachbarn in der Villa dort.«
»Hm…« Sie hatten sich inzwischen zum Essen niedergesetzt. »Sie ist ein komisches kleines Mädchen«, bemerkte er zwischen zwei Löffeln Suppe.
»Wieso ist sie komisch?«
Felix zuckte die Achseln. »Irgendwie – anders.« Er vermochte es nicht näher auszudrücken.
»Nachher kommt Tante Ingeborg mit Uli«, sagte Beate, um ihren Sohn vom Thema »Sandra« abzubringen. »Da könnt ihr zusammen spielen.«
Ingeborg Basler war Beates Freundin. Sie war Zahnarzthelferin, Mittwochs nachmittags hatte sie frei. Ihr Sohn Ulrich war sieben und auch gut Freund mit dem jüngeren Felix.
Als die beiden kamen, hatte Felix schon die Federbälle bereitgelegt. Die Buben gingen hinunter zum Spielen.
»Und wir machen uns ein gemütliches Kaffeestündchen«, sagte Beate und wollte sich in die Küche begeben, um ihn aufzubrühen. Aber Ingeborg hielt sie zurück.
»Du, ich habe nicht soviel Zeit«, sagte sie etwas hastig. »Kann Uli bei euch bleiben, bis ich ihn abhole, so gegen sechs?«
»Natürlich. Das ist aber schade, daß du schon wieder gehen willst. Hast du Besorgungen zu machen?« Sie verstand schon, daß die Freundin den freien Nachmittag nutzen mußte.
Ingeborg sah beiseite. »Ich bin verabredet…«
Es klang bedeutungsvoll, so daß Beate in scherzhaftem Ton äußerte: »Und mit wem, wenn man fragen darf?«
Ingeborg wandte ihr langsam das Gesicht wieder zu. »Dreimal darfst du raten…« Ein kleines Lächeln hob ihre Mundwinkel.
Betroffen sah Beate ihre Freundin an, in deren Augen ein seltsamer Glanz war. Ingeborg war eine aparte, attraktive Frau, mit ihrem dunklen Pagenkopf, den hohen Wangenknochen und dem etwas großen, schöngeschwungenen Mund. »Du wirst doch keine Dummheiten machen«, sagte sie.
Nur ein Achselzucken war die Antwort. Beate senkte die Lider. Also doch. Sie würde sich wieder mit Torsten Fendrich treffen, ihrem jungen Chef. Seit dieser die Praxis von dem betagten Dr. Müller übernommen hatte, war sie wie ausgewechselt. Sie kaufte sich neue Sachen und beklagte sich nicht mehr über verlängerte Sprechstunden.
»Der Neue ist tatsächlich zum Verlieben«, hatte sie vor einiger Zeit gesagt, »aufmerksam und charmant, wo gibt’s denn heute so was noch.«
Beate hatte das nicht ernstgenommen – bis sie die beiden eines Tages zusammen gesehen hatte. Sie gingen vor ihr her, plaudernd, lachend und scherzend, mit einem rasch gewechselten Kuß auf offener Straße. Ingeborgs schwärmerischer Beschreibung nach konnte der gutaussehende Mann nur Dr. Fendrich sein. Wer denn auch sonst?
Sie hatte die Freundin zur Rede gestellt. Aber Ingeborg lächelte nur. So, wie sie auch jetzt lächelte, verträumt und wissend.
»Wie weit geht eure Beziehung denn schon?« fragte sie.
»Darauf erwartest du wohl keine Antwort von mir, Beate«, erwiderte Ingeborg mit leisem Spott.
Aber Beate war das Antwort genug. »Du hast einen guten Mann, wie kannst du ihn betrügen!« warf sie der anderen heftig vor.
»Gut, aber zum Sterben langweilig«, erwiderte Ingeborg. »Mir ist, als hätte ich jahrelang geschlafen und wäre erst jetzt wieder zum Leben erwacht.
»Werde doch nur nicht so pathetisch. Wohin verrennst du dich? Was denkst du, was daraus werden soll?«
»Danach frag ich jetzt noch nicht. Ich will glücklich sein, auch wenn es vorläufig nur ein gestohlenes Glück sein kann.« Sie griff nach ihrer Handtasche. »Und jetzt gehe ich, bevor du mir weitere Moralpredigten hältst. Ich weiß ja, du meinst es gut. Aber das hier