Sarah (eBook). Scott McClanahan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Scott McClanahan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783747201558
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mich zu verteidigen. Ich sagte, wo sei denn das große Problem. Es sei doch witzig. Ich glaubte nicht an das ganze Zeug, was spielte es also für eine Rolle. Ich sagte ihr, wir hätten uns halt gelangweilt.

      Und Sarah sagte, es sei ihr direkt unheimlich. Sie frage sich, ob es noch mehr gab, was ich ihr verheimlichte, Dinge, Leute. Ein Doppelleben, das ich vielleicht führte. Sie sagte, so was mache man einfach nicht, auch nicht im Scherz.

      Dann sagte sie mir, sie wolle das Ding nicht mehr im Haus haben. Sie sagte, sie wollte diese verbrannte Bibel nicht eine einzige Minute länger im Haus haben. Also versprach ich, ich würde sie morgen in den Müll werfen, aber das genügte ihr nicht. Sie verlangte, dass sie sofort entsorgt werden würde. Also holte ich einen Müllsack aus der Küche, schüttelte ihn aus, sodass er sich ffflup mit Luft füllte. Damit ging ich nach unten und legte die Bibel in den Sack. Kleine Stücke rieselten von ihr ab, langsam, wie Schneeflocken. Dann zog ich die Schnur zu und band sie fest. »Ich werfe sie in den Müll«, sagte ich, aber das genügte Sarah auch nicht. Sie sagte mir, sie wolle nicht, dass die Müllmänner sie sehen. Da brüllte ich sie an, es sei absolut lächerlich, sich darum zu kümmern, was die scheiß Müllmänner über uns denken.

      Aber dann sagte ich: »Okay, okay.« Und ich zog meine Kleider an und nahm meine Schlüssel und sagte, dass ich sie irgendwie verschwinden lasse. Ich ging nach draußen in die Dunkelheit und suchte nach einem geeigneten Ort. Ich schaute hoch zum Vollmond und fuhr die Straße entlang.

      Ich kam zur Tankstelle und stieg aus, um die Bibel hier irgendwo wegzuwerfen, aber da war ein Typ, der mir den Rücken zukehrte, an der Zapfsäule neben mir. Ich versuchte, die Bibel in den Müllbehälter neben den Zapfsäulen zu drücken, aber der Müllbehälter war bereits randvoll mit Müll, und die riesige Bibel passte nicht rein. Ich versuchte es seitwärts, aber nein. Der Typ schien nichts zu bemerken. Ich hörte Gelächter und es kam von ihm. Er drehte sich zu mir, und ich sah sein Gesicht und ich sah seine Haut. Er sah verbrannt aus. Das Gesicht war knotig vor Narbengewebe, und der Mund sah geschmolzen aus, geknetet zu einer Maske reiner Schmerzen. Also ließ ich die verbrannte Bibel auf den Boden fallen, und der verbrannte Mensch starrte mich einfach an.

      Ich floh. Ich stieg ins Auto und fuhr so schnell weg, wie ich konnte. Ich schaute hoch zum Vollmond und ich sah Wolken, die sich über und unter ihm bewegten, wie Messer. Ich sah, wie die Wolken Geisterformen im Himmel bildeten, und ich sah, wie lächerlich das alles war. Und nichts geschah.

      Es war erledigt, und ich befand mich nicht an einer Kreuzung, umzingelt von Heerscharen von Engeln aus der Hölle. Und ich sah keine Zukunft vor mir. Ich sah nicht, wie mein Leben zerfallen und wie bald ich mich mit der Schweinegrippe anstecken würde. Ich sah nicht, dass Chris’ Onkel zwei Monate später Selbstmord begehen würde, und ich sah auch nicht, dass sich Chris noch vor Ende des Jahres würde scheiden lassen. Ich sah nicht, dass meine Tochter so krank und klein geboren werden würde. Und ich sah nicht, dass Sarah bald sagen würde, es sei vorbei. Kein Gespenst knisterte mir hinterher. Niemand zeigte mir meine Zukunft, in der alles, was ich kannte und liebte, verschwinden würde. Niemand folgte mir mit der Heugabel, und es roch auch nicht nach Schwefel. Nirgends die Gewissheit einer Apokalypse mit gewaltigem Geschrei allerorts und Geheul und Zähneknirschen. Keine Wegkreuzung, keine Seelen zum Verkauf. Nichts, was irgendwie dem Teufel glich. Nur ich. Die ganze Hölle.

      Als ich Sarah Johnson zum ersten Mal begegnete, sagte sie mir, dass ich meinen Penis zum Schrumpfen bringen würde.

      Sie trug einen schwarzen Rollkragenpullover und Strumpfhosen unter einem schwarzen Rock und schwarze Stiefel, die bis zu ihren Knien reichten. Sie sah wie eine Zeichentrickfigur aus und sie hatte diese riesigen, also riesig-riesigen, riesigen braunen Augen. Ihre Nase war klein und ihr ­Mu­nd war winzig, im Grunde nur ein Punkt. Und der Punkt kräuselte sich seitlich in so ein stirnrunzeliges Etwas, aber scheiß auf Beschreibungen.

      Ich trank mein Mountain Dew, und sie sagte: »Du weißt schon, dass da Tartrazin drin ist? Das bringt Penisse zum Schrumpfen.«

      Ich nahm einen Schluck aus der großen Flasche und sagte: »Deshalb trink ich’s ja. Muss paar Zentimeter wegnehmen von dem Ding.«

      Sie lachte folgendermaßen: Versuch, Oh Gott zu sagen. Oh Gott. Und jetzt sag es eine Million Mal.

      Das erste Mal, dass ich Sarah Johnson eine Geschichte erzählen hörte, ereignete sich dann einige Minuten später. Sie erzählte von einer ihrer Mitbewohnerinnen, die sich heute Nacht ihre Feige polieren lassen wollte. Also würde Sarah ihr etwas Privatsphäre gönnen.

      »Ihre Feige polieren? Was bedeutet das?«

      Sarah lächelte, deutete zwischen ihre Beine und wedelte mit ihren Händen auf und ab, als wären sie Wild-West-Pistolen, und dann sagte sie: »Na ja, die Feige hier. Die Feige polieren. Beste Feige der Welt.«

      Und sie zwinkerte mir zu.

      Dann fragte sie, ob ich Feigen mochte.

      Ich sagte: »Ja, ich mag Feigen.«

      Sarah sagte: »Wer nicht? Gott segne unser Obst.«

      Dann, einige Minuten später, kam das erste Mal, dass Sarah Johnson meine Hand berührte. Ich saß in einem Bürosessel mit Rädern und sie auch und sie rollte hin und her zwischen ihrem und einem anderen Schreibtisch. Sie nahm meine Hand und zog mich zu sich. Wir rollten im Raum herum.

      Ich sagte: »Was machen wir hier eigentlich?«

      Sarah lächelte und sagte: »Bürosesseltanzen, zu zweit.«

      Sie erzählte mir von einem Theaterstück, dass sie sich gern ansehen würde. Ob ich sie begleiten wolle. Ich wollte es gern mit ihr anschauen und ich sagte: »Okay.«

      Bei meinem ersten Date mit Sarah Johnson passierte Folgendes. Ich war neunzehn und sie war vierundzwanzig und mir wurde bewusst, dass ich nie zuvor ein Date gehabt hatte. Nie. Sie kam zu mir, und ich hatte dieses abgerissene T-Shirt an, und meine Zähne waren im Arsch, weil mir einer der Schneidezähne entzweigebrochen war. Ich hatte in derselben Woche meinen Kopf rasiert, überm Waschbecken.

      Ich bot ihr ein Old Milwaukee an. Ich hinkte allem hinterher. Sie schaute mich an und sagte: »Na ja. Besser wird’s wohl nicht.« Dann betrachtete sie mein dreckiges Zimmer. Bücher überall, leere Dosen, verstreute Zettel. Sie fragte mich, warum ich nicht saubermachte. Ich erzählte ihr, dass ich manchmal depressive Phasen hatte, und dann redeten wir und scherzten über die Verwendung von Tampons als Weihnachtsschmuck. Sarah lachte und ich lachte auch. In dem Moment wusste ich, dass ich nichts auf der Welt so gern tat, wie sie zum Lachen zu bringen.

      Ich zog ein Hemd an und eine Krawatte, und dann gingen wir das Theaterstück anschauen, eine Dramatisierung von Mark Twains Tagebücher von Eva. Im ersten Akt sahen wir, wie Adam und Eva aus dem Garten verbannt wurden. Im zweiten Akt dann wurden die beiden alt. Wir schauten Eva dabei zu, wie sie einen ihrer Söhne verlor. Das war der Alterungsprozess. Sie betrachtete ihr Gesicht im Wasser eines Flusses und dachte an früher. Sie hatte Angst vorm Älterwerden. Adam sagte ihr, das Fleisch sei eine Täuschung und wir seien jetzt einfach Menschen und am Ende narre uns das Fleisch. Als Eva starb, weinte der Schauspieler, der Adam spielte, und als Adam Eva ganz am Ende begrub, sagte er: »Ich hatte geglaubt, es wäre unser großes Unglück gewesen, den Garten verlassen zu müssen, aber nun sehe ich ein, dass ich mich geirrt habe. Denn man kann nur das lieben, was man verliert. Ich habe begriffen, dass ich den Garten, aus dem wir vertrieben wurden, niemals vermisst habe. Da, wo sie war, da war mein Eden.«

      Sarah drehte sich zu mir und ich verdrehte die Augen. Ich steckte mir einen Finger in den Hals, als wollte ich mich übergeben, und Sarah schüttelte ihren Kopf und lächelte. Wir gingen vor Ende des Stücks raus und spazierten nebeneinander her und redeten.

      Sarah erzählte mir, dass die letzten Jahre für sie schwierig gewesen waren. Vor zwei Jahren war sie auf der Interstate auf dem Heimweg gewesen, und sie musste plötzlich rechts ranfahren, weil sie glaubte, sterben zu müssen. Sie dachte, sie hätte einen Herzinfarkt, und die Sanitäter dachten das auch, aber es war nur eine Panikattacke. Sie brachten sie schnell ins Krankenhaus und ließen ihr Auto, wo es war, und nach dem Krankenhausaufenthalt hatte sie Angst vor allem und konnte gar nichts mehr tun, weil sie immer glaubte, sterben