Natürlich gibt es auch junge Typen, die einem erzählen wollen, dass Frauen den ganzen Stress einfach nicht wert sind. »Du bist besser ohne sie dran« ist, glaube ich, die gängige Redensart. Allerdings sagen sie das in der Regel nur aus Wut und Scham, nachdem sie erbärmlich bettelnd auf dem Bauch vor einem Paar High Heels herumgekrochen sind, das auf der Suche nach besserem Sex aus der Tür spazierte.
Seht ihr, Männer sind einfach dafür gemacht, mit Frauen zusammen zu sein; genau wie Frauen dafür gemacht sind, mit Männern zusammen zu sein. Das gehört alles zum Plan von Mutter Natur. Und es ist verdammt ärgerlich, dabei außen vor zu stehen. Wenn man nicht aufpasst, kann man ganz schön verbittert werden, und das bringt wirklich niemandem etwas. Am wenigsten einem selbst. Frauen können Verzweiflung riechen, und es ist kein attraktives Parfüm. Wie oft habe ich nachts wach gelegen und mich gefragt, ob das Mädchen meiner Träume irgendwo dort draußen ist und bloß darauf wartet, dass ich sie finde. Ich habe viel an sie gedacht. Was sie wohl gerade tat, ob sie im Bett lag und an mich dachte, oder ob sie mit ihrem Ehemann stritt und von dem Tag träumte, an dem sie jemand Besseren treffen würde. Manchmal habe ich sie mir beim Sex vorgestellt, wie sie es genießt, alle Hemmungen fallenlässt, trunken vor Lust. Dann sehe ich sie plötzlich im Arm ihres Liebhabers. Sie schläft mit ihm, während ich hier ganz alleine bin, dabei bin ich es doch, der sie wirklich lieben könnte, und sie ahnt es nicht einmal. Warum weiß sie es nicht? Warum bleibt sie mit diesem Arschloch zusammen, wenn ich hier draußen bin …?
An der Stelle muss ich mich beherrschen. Es ist schwer, nicht eifersüchtig zu werden und mich in einen Wutanfall hineinzusteigern. Vielleicht ist sie nur ein Produkt meiner Einbildung, aber trotzdem liebe ich sie. Auch wenn es verrückt klingt: Ich habe schon dutzende Male mein ganzes Leben mit ihr gelebt. Ich habe sie getroffen, geheiratet, mit ihr einen Hausstand gegründet, Kinder bekommen, bin mit ihr alt geworden und gestorben – alles in einer einzigen schlaflosen Nacht. In ein Phantom verliebt zu sein ist eine traurige Angelegenheit. In der Vorstellung macht man alle möglichen seltsamen Dinge mit ihr, nur um zu beweisen, wie sehr man sie liebt. Meiner habe ich Leukämie und Hirntumore und was nicht alles verpasst und sie dann damit beeindruckt, wie ich mir aus Solidarität den Kopf rasierte, während sie die Chemotherapie durchmachen musste. Wie hat sie mich dafür geliebt. Und nicht nur Krankheiten habe ich ihr auferlegt. Ich habe sie durch Kriege geschleift, um ihr zu zeigen, wie viel sie mir bedeutet. Ich ließ sie erstechen, anschießen, zusammenschlagen, verkrüppeln, furchtbar verbrennen und sogar Opfer einer Massenvergewaltigung werden – alles im Namen der Liebe. Alles, damit es ihr so richtig dreckig ging und ich ihr meine Treue beweisen konnte, indem ich mich um sie kümmerte und sie rächte. Ich erinnere mich noch an die Nacht, als ich ihr von einem Bus beide Beine abfahren ließ.
Das war eine meiner Lieblingsfantasien.
Eine Sache ist allerdings komisch: Trotz allem, was wir zusammen durchgemacht haben, weiß ich nicht, wie ihr Gesicht aussieht. Sie hat keins. Nein, das stimmt so nicht. Sie hat eins, ich habe es bloß noch nie gesehen. Und bis das passiert, werden meine Fantasien genau das bleiben: Fantasien. An dem Punkt setzt die Verzweiflung ein. Man fängt an, überall nach ihr zu suchen: die Kassiererin im Supermarkt, die Frau gegenüber im Zug, jedes Mädchen, das in Sprechweite auf der Straße vorbeigeht. Überall.
Ich starrte quer über den Tisch und versuchte sie in Janet zu finden, wann immer sie das Schaufeln von Essen in ihren Mund unterbrach, um mich dankbar anzulächeln. War Janet mein Leukämie-Girl? Ich war schon ein bisschen angepisst gewesen, als sie mit ihrer Gabel über den Tisch gelangt und etwas von meiner Vorspeise probiert hatte, ohne zu fragen. Wie sollten da ihre Chancen stehen, wenn erst die Chemotherapie anfing?
»Es war wirklich nett, dass du mich eingeladen hast«, säuselte sie.
»Schon in Ordnung«, antwortete ich.
»Das ist etwas ganz Besonderes für mich«, fuhr sie fort, worauf ich meine Augen über ihre neunzig Kilo schweifen ließ und mich fragte, ob sie sich auf das Benutzen von Besteck bezog.
»Was denn?«
»Steak. Normalerweise rühre ich so etwas nicht an. In der Regel halte ich mich an Salate.«
»Natürlich«, murmelte ich mit einem Blick auf ihre an den Tellerrand geschobenen Beilagen und Erbsen.
Janet als unattraktiv zu bezeichnen wäre zutiefst ungnädig. Ja, sie war korpulent, aber auch von einer gewissen Schönheit. Manche Leute glauben, wenn ein Mädchen dick ist, ist sie automatisch hässlich. Diese Auffassung habe ich nie geteilt. Janet hatte leuchtende Augen, einen makellosen Teint und strahlte eine kindliche Naivität und Wärme aus, die einen ganzen Raum erfüllen konnte. Ich würde sogar behaupten, dass sie mit ungefähr vierzig Kilo weniger richtig heiß ausgesehen hätte – wobei das vielleicht doch ein bisschen übertrieben ist. Ich wollte nur sagen, sie war ein nettes Mädchen. Ich war mir nur nicht so sicher, ob sie eine Schnitte nach meinem Geschmack war. Andererseits hatte ich schon so lange keine Schnitte mehr gehabt, dass ich sowieso nicht mehr wusste, welchen Aufstrich ich mochte.
»Das war himmlisch.« Sie tunkte den letzten Fleischsaft mit einem Brötchen auf. »Sollen wir uns mal den Dessertwagen ansehen?«
Ich ließ Messer und Gabel auf die Reste meiner halbgegessenen Mahlzeit fallen. »Sicher, das können wir machen.«
Als ich dem Kellner gerade ein Zeichen geben wollte, hielt Janet mich zurück.
»Ähm, Ian«, begann sie verlegen, »isst du das nicht auf?«
Ich schaute hinunter auf mein Essen und dann in die hungrigen, leuchtenden Augen mir gegenüber. »Nein, bitte, greif ruhig zu.«
»Hat ja keinen Zweck, es zu verschwenden.« Fröhlich machte sie sich über mein Lendenfilet her.
»Ja. Du sollst schließlich nicht verhungern«, antwortete ich augenrollend. Mir wurde plötzlich klar, dass ich all meine List und Tücke brauchen würde, um in der Nähe von Janet mein Essen zu behalten. Na gut, das machte nicht wirklich viel aus. Ich meine, man muss an so einem Abend der Frau erst einmal ihren Willen lassen, wenn es später nach dem eigenen gehen soll. Allerdings wirkte diese Aussicht immer weniger verführerisch, je weiter das Date voranschritt.
Sie verputzte den letzten Rest meiner Soße mit meinem halben Brötchen und nickte mir lächelnd zu, um anzudeuten, dass es höchste Zeit wurde, den Dessertwagen in die Gänge zu bringen. Sobald der Kellner ihn an unseren Tisch gerollt hatte, verfiel sie wieder in ihren Supermodel-in-Schokoladenkrise-Modus. »Oooh, heute ist mir danach, mal so richtig über die Stränge zu schlagen … ach, nein, das darf ich nicht … aber es sieht so lecker aus. Meinst du, ich sollte …? Ian, du erzählst doch niemandem etwas, oder?«
Über heute Abend? Du willst mich wohl verarschen, antwortete ich in Gedanken.
»Na gut. Dann nehme ich ein kleines Stück Torte mit … ist das Vanilleeis? Ein klitzekleines Löffelchen davon, bitte. Hm, vielleicht doch ein bisschen mehr. Es sieht so winzig aus, wenn es erst auf dem Teller liegt, nicht wahr?«
Als der Kellner endlich zu mir kam, bestellte ich bloß einen Kaffee.
»Nimmst du denn gar nichts?«, fragte Janet betrübt.
»Nein, schon gut, du kannst auch noch meinen Nachtisch haben, wenn du magst. Ich habe einfach nicht so einen süßen Zahn, das ist alles.«
»Keinen süßen Zahn? Und was ist mit den ganzen Mars-Riegeln? Die magst du doch.«
Mir war ein Fehler unterlaufen. Ich hatte Janet durch das Kaufen von Marsriegeln kennengelernt und vergessen, die Lüge aufrechtzuerhalten. Das war gedankenlos. Wo hatte ich bloß meinen Kopf? Wisst ihr, Janet arbeitete in einem Zeitungskiosk einige Meilen von meiner Wohnung entfernt und vor ein paar Monaten war sie mir dort aufgefallen. Sie hatte freundlich und hübsch auf mich gewirkt, vielleicht ein bisschen einsam, genau wie ich – wenn auch in meiner Erinnerung definitiv dünner. Da war zweifellos mein romantisches Unterbewusstsein