PRIMORDIA - Auf der Suche nach der vergessenen Welt. Greig Beck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Greig Beck
Издательство: Bookwire
Серия: Primordia
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958353619
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der Kopf und die Schultern des Dinosauriers im Rachen verschwunden waren, drückten die Muskeln noch ein letztes Mal zu und damit zerbarst das Herz des gepanzerten Riesen in seiner Brust.

      Kapitel 4

      Edward Barlows Telefon summte auf seinem opulent großen, antiken Eichenschreibtisch vor sich hin. Bis zu diesem Moment hatte in dem gewölbeartigen, holzgetäfeltem Raum, in dem er arbeitete, eine Grabesstille geherrscht – abgesehen vom stetigen Ticken der riesigen Standuhr in der Ecke.

      Von den Wänden stierten ihn Tierköpfe mit dem wilden Blick ihrer Glasaugen an und ein ausgestopfter Eisbär stand in aufgerichteter Pose tonlos brüllend neben der Tür, als wäre er bereit, unerwünschten Eindringlingen Arme und Beine auszureißen.

      Denn Barlow war Jäger. Oder vielleicht eher ein Sammler. Einer dieser typischen untätigen Reichen, dessen Familie ihm die Milliarden ihrer Tagebaufirma überlassen hatte. Ein Geschäft, an dem er nicht das leiseste Interesse hatte. Das, was ihn interessierte, waren der Schießsport und wilde Tiere. Je seltener und gefährlicher die Exemplare, umso mehr war er hinter ihnen her.

      Barlows Urgroßonkel war Douglas Baxter gewesen, und schon als kleiner Junge hatte man ihm von der unglücklichen Expedition erzählt, die er mit Benjamin Cartwright unternommen hatte. Er wusste von den Gerüchten, dass sie losgezogen waren, um einen geheimen Ort voller fantastischer Kreaturen aufzuspüren.

      Egal, wie viel Zeit oder Geld er investiert hatte, es war ihm nie gelungen, einen Hinweis darauf zu erhalten, wo er suchen sollte – oder nicht einmal, wo er mit der Suche anfangen konnte. Er hatte selbst schon den Amazonas umgekrempelt und ein kleines Vermögen für Satellitenaufnahmen ausgegeben. Doch im Land der Boraro, der südamerikanischen Dämonen, waren seine Bemühungen in einer Sackgasse geendet.

      Barlow hatte schon immer vermutet, dass es etwas gab, das er übersehen oder fehlinterpretiert hatte – irgendwelche Hinweise, den Ort oder vielleicht das Timing. Er erinnerte sich, dass Douglas Baxter eine gewisse Dringlichkeit im Zusammenhang mit den Daten anklingen lassen hatte; dass er unbedingt zu einer ganz bestimmten Zeit im Amazonas hatte sein müssen – ging es dabei um die Regenzeit, eine Sonnenfinsternis oder die Brunftzeit der lokalen Tierwelt? Barlow hatte es nie herausfinden können. Sein letzter Schachzug war von technologischer Natur. Er hatte vor einem Jahr eine Firma beauftragt, ausgeklügelte »Fallen« im Internet aufzustellen, die auf bestimmte Suchwörter reagierten. Diese lauteten: Benjamin Cartwright, Expedition, Notizbuch, 1908, Amazonasdschungel und Dinosaurier.

      Nichts war dabei herausgekommen, die Fallen wurden nie ausgelöst.

      Bis jetzt.

      Denn nun hatte jede dieser Fallen Alarm geschlagen, als nach ganz bestimmten Begriffen gesucht wurde: Benjamin Cartwright, Expedition, Notizbuch, 1908 und Amazonasdschungel. Es war klar, dass jemand nach Aufzeichnungen zu der Expedition in den Amazonas im Jahre 1908 suchte. Seiner verdammten Expedition!

      Barlow spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten, als er den Bericht las. Das technische Dokument hatte auch die Quelle dieser Suche aufgedeckt. Er lehnte sich für einen Augenblick zurück und verschränkte seine dicklichen Finger auf seinem hervorstehenden Bauch.

      Warum jetzt? Warum hatte plötzlich jemand mit der Suche angefangen? Das fragte er sich, doch im Prinzip war ihm die Antwort absolut klar: Weil neue Hinweise aufgetaucht waren. Das bedeutete, der unbekannte zeitliche Faktor, der offenbar eine Rolle spielte, war nun im Begriff, sich zu wiederholen.

      Barlow machte einen Satz nach vorn und begann auf die Tastatur seines Computers einzuhacken. Wer auch immer diese Leute waren, sie hatten einen Vorsprung. Aber er hatte seinerseits einen Vorteil: Er wusste von ihnen, während sie nicht von ihm wussten.

      Wenn sie etwas in der Hand hatten, was zu dem Manuskript führte, dann wollte er es haben. Und er würde es kriegen, koste es, was es wolle. Er hatte jahrelang danach gesucht, sein ganzes Leben, und wenn irgendjemand diese vergessene Welt finden würde, dann war er es.

      Er hielt inne und dachte nach. Er musste ein Team zusammenstellen, und dazu mussten Leute gehören, die bereit waren, das Gesetz zu brechen, falls das nötig werden sollte.

      Er tippte weiter, denn er wusste genau den Richtigen. Jemand, mit dem er schon gearbeitet hatte und der ebenso effizient wie skrupellos war.

      Barlow lächelte. Wie Sir Arthur Conan Doyle schon geschrieben hatte: Die Jagd ist eröffnet.

      Kapitel 5

      Ben fuhr diesmal mit dem Taxi zum Treffen seiner Clique, statt sich wieder von Emma abholen zu lassen, denn er wollte auf dem Weg dahin nachdenken. Als er letzte Nacht wieder zuhause angekommen war, hatte er noch mehr Zeit damit verbracht, den Dachboden zu durchstöbern, um weitere Hinweise und vielleicht sogar das fragliche Notizbuch zu finden. Denn dann wäre dieses Abenteuer möglicherweise schon vorbei, bevor es begonnen hatte.

      Er gähnte und rieb sich die Augen. Letztlich hatte er nur ein paar Stunden geschlafen und immer noch keinen Beweis, dass die Aufzeichnungen seines Ururgroßvaters jemals gefunden worden waren. Wo immer Doyle sie auch versteckt hatte, sie waren vermutlich immer noch dort.

      Ben lächelte, als er sich an Emmas Begeisterung erinnerte. Ihre Augen hatten genau so zu leuchten angefangen wie bei dem Mädchen, an das er sich von damals erinnerte.

      Es war schon verrückt, wie nahe sie alle sich gestanden hatten, und ein irres Gefühl, nun wieder zurück zu sein. Wenn er die Augen ein klein wenig zusammenkniff, sah er sie alle genauso, wie sie damals waren.

      Vor fünfundzwanzig Jahren hatten er, Dan, Steve, Emma und Andrea eine Tretroller-Gang gegründet. Sie hatten im Park herumgehangen und sich Rennen auf der Joggingstrecke geliefert. Sie waren ganz normale Kinder mit Sommersprossen, Zahnspangen und Flicken auf den Knien gewesen. Und besonders interessiert hatte ihn auch schon damals die kleine Emma Wilson mit ihren riesigen Schneidezähnen und einem winzigen Ansatz von Busen, der sich langsam unter ihren weiten T-Shirts abzeichnete.

      Er erinnerte sich daran, wie sie einmal gestürzt war, als sie schon auf Fahrräder umgestiegen waren, und sich das Knie aufgeschürft hatte. Seine Mutter hatte ihm immer Pflaster in die Hosentasche gesteckt, was er höchst albern fand, doch in dieser Situation war er dadurch der Held. Er zog ein Pflaster hervor und klebte es auf ihr Knie. Sie drückte eine Weile ihre Hand darauf und sah dann zu ihm auf. Ihre großen grünen Augen weiteten sich und starrten ihn an, und er spürte, wie sein Herz einen Satz machte. Niemand hatte ihn je so angesehen. Nun ja, zumindest kein anderes Mädchen.

      Dann kam die Zeit, in der sie als Teenager zusammen herumhingen, gefolgt von der Highschool. Schließlich landeten sie alle an der staatlichen Universität von Ohio, wo er und Steve für die Football-Mannschaft ausgewählt wurden. Das war eine große Ehre und Andrea wurde sogar Mitglied der Cheerleader.

      Damals war es zu einem dramatischen Ereignis gekommen: Nach einem Auswärtsspiel waren er und Steve mit Dan und Emma im Parkhaus verabredet gewesen. Doch schon von Weitem sah Ben die vier hünenhaften Kerle, die sich drohend um Emma und Dan aufbauten. Vielleicht waren sie Fans der gegnerischen Mannschaft und störten sich an den Vereinsfarben, die seine Freunde trugen. So oder so stellte sich Dan ihrer Aggression, obwohl der Sohn japanischer Eltern ihnen kaum bis an die Schultern reichte. Trotzdem war er absolut tapfer und ließ sich nichts gefallen.

      Doch dann bekam er einen Schlag verpasst. Emma schrie auf und stürzte nach vorn, woraufhin sie am Arm gepackt und dann zu Boden gestoßen wurde. Ben sah sofort rot, ließ seine Tasche fallen und sprintete auf sie zu.

      Sein Vater hatte ihm schon in jungen Jahren gezeigt, wie man boxte, und er schubste einen der Männer aus dem Weg, um ihrem Anführer entgegenzutreten. Der Typ verschwendete keine Zeit und stieß Ben beidhändig vor die Brust. Doch Bens Vater hatte ihm auch gesagt, dass es bei einem Kampf auf der Straße darauf ankam, alles in den ersten Schlag zu legen – und das tat er. Als der Typ wieder auf ihn zukam, nutzte Ben seinen Schwung und setzte ihm einen rechten Schwinger mitten auf die Nase.

      Blut und Rotze flogen