Sein Schwiegervater nickte. »Ja, und die klingt für mich wesentlich glaubhafter. Sei doch ehrlich, Jeff, welcher Arzt würde ein Kind mit Spritzen und Einläufen quälen, noch dazu wenn dieses Kind sein Enkel ist? Zur Strafe den Rachen auspinseln, den Mund mit Seife auswaschen… das sind Dinge, die man vielleicht im Mittelalter gemacht hat.«
»Seine Angst ist jedenfalls echt«, hielt Jeff dagegen. »Perry zittert ja schon am ganzen Leib, wenn man ihm nur über die Haare streichelt.«
»Er weiß vermutlich auch, weshalb.« Dr. Daniel seufzte. »Versteh mich bitte nicht falsch, Jeff, ich will über deinen Bruder bestimmt nichts Schlechtes sagen, aber Tatsache ist nun mal, daß er sehr schwer erziehbar ist.«
Dr. Parker schüttelte den Kopf. »Nein, Robert, das ist sicher nicht wahr. Ich habe mich intensiv um den Jungen gekümmert und seine Angst gespürt, während ich ihn untersuchte. Ich mußte einen Trick anwenden, um ihm überhaupt in den Mund schauen zu können. Perry ist nicht schwer erziehbar, aber er ist völlig verängstigt.« Er schwieg kurz. »Im übrigen – gleichgültig wie es sich nun verhält. Würdest du einen Sechzehnjährigen bei Wind und Regen zur Strafe auf den Balkon sperren?«
»Wer sagt dir, daß sie das wirklich getan hat?« hielt Dr. Daniel dagegen, mußte dabei aber unwillkürlich an das Schimpfen und die schlagenden Geräusche denken, die er im Gasthof vor der Tür von Rebeccas Zimmer gehört hatte. Und Tatsache war auch, daß Perry schon völlig durchnäßt gewesen war, als er im Gasthof die Flucht ergriffen hatte.
»Ich sage es Ihnen.«
Jeff und Dr. Daniel fuhren herum und sahen sich unverhofft Alec Horn gegenüber. Dieser blickte Dr. Parker an.
»Ich habe Sie gesucht, weil mir Ihr Anruf keine Ruhe gelassen hat«, gestand er. »Ich mußte einfach wissen, was mit Perry los ist, und da ich Sie in Ihrer Wohnung nicht angetroffen habe, bin ich zur Klinik gefahren. Die Nachtschwester hat mich dann hier heraufgeschickt.«
»Perry bekommt Antibiotika-Infusionen«, antwortete Dr. Parker. »Er hat eine eitrige Angina und eine beginnende Lungenentzündung.«
»Jetzt reicht’s!« stieß Alec hervor, dann sah er Dr. Parker fast flehend an. »Helfen Sie mir! Ich muß unbedingt durchsetzen, daß man Rebecca das Sorgerecht entzieht.«
»Hoffen Sie, dadurch an das Erbe der Kinder zu kommen?« fragte Dr. Daniel herausfordernd.
Alec wandte sich ihm zu. »Rebecca hat Sie also auch um den Finger gewickelt.« Er nickte. »Das kann sie nämlich sehr gut.« Prüfend sah er Dr. Daniel an. »Haben Sie mit ihr geschlafen?«
»Was erlauben Sie sich!« brauste Dr. Daniel ungehalten auf.
Anerkennend zog Alec die Augenbrauen hoch. »Sie dürften der erste Mann sein, der es geschafft hat, ihr zu widerstehen. Vielleicht hätte Ihnen diese Erfahrung aber in anderer Hinsicht gut getan, denn dann hätten Sie Rebeccas Charakter rasch kennengelernt. Die Nacht mit ihr wäre Sie teuer zu stehen gekommen.«
Angewidert schüttelte Dr. Daniel den Kopf. »Was versuchen Sie eigentlich noch alles, um Ihre Schwester in Mißkredit zu bringen? Nicht genug damit, daß Sie Pamela und Perry gegen die eigene Mutter aufhetzen…«
»Das ist nicht nötig«, fiel Alec ihm ins Wort. »Pam und Perry haben bei ihrer Mutter die Hölle durchlebt… dieselbe Hölle, die Rebecca und ich bei unserem Vater durchlitten haben. Rebecca hat sich seine Grausamkeiten zum Beispiel genommen, mir dagegen waren sie eine Lehre. Kein Mensch verdient es, so geschunden und mißhandelt zu werden. Wahrscheinlich habe ich das schon viel zu lange untätig geschehen lassen, aber auch ich stand… und stehe noch immer unter ihrer Fuchtel. Sie hat mir mein Medizinstudium finanziert und hält mich jetzt finanziell so, daß ich auf sie angewiesen bin. Ich bin arbeitslos. Diesen Zustand hält sie gern aufrecht, denn ohne eigenes Einkommen habe ich kaum Möglichkeiten, von ihr loszukommen.«
»Sie wollen mir doch wohl nicht weismachen, Rebecca würde verhindern, daß Sie eine Stellung bekommen?« entgegnete Dr. Daniel kopfschüttelnd.
»Sie haben ja keine Ahnung, wer alles in ihrer Schuld steht«, meinte Alec, dann senkte er den Kopf. »Natürlich hätte ich meine Chance gehabt.« Er blickte wieder auf. »Die Villa in San Francisco gehört mir. Mein Vater hat sie mir vermacht, weil er der Meinung war, Haus- und Grundbesitz sollten auf den Sohn übergehen – auch wenn er von mir persönlich nichts hielt. Ich war für seine Begriffe zu lasch und weichherzig.« Er atmete tief durch. »Mehr als einmal habe ich mit dem Gedanken gespielt, die Villa zu verkaufen und Kalifornien zu verlassen, doch… da gab es eben noch Pam und Parry. Viel konnte ich für sie nicht tun, aber ich denke, das bißchen, was mir möglich war, war eben schon mehr als gar nichts. Wegen der Kinder habe ich mich Rebecca gegenüber in eine Abhängigkeit manövriert, die mir immer mehr zum Verhängnis wird.«
Dr. Parker glaubte ihm, weil er sicher war, daß Alec das alles nicht erfunden haben konnte. Jeder hatte doch das Bedürfnis, sich selbst in ein helles Licht zu rücken, doch Alecs Geschichte war eher dazu angetan, ihn für einen Versager zu halten. Auch Dr. Daniel war nachdenklich geworden, konnte aber immer noch nicht glauben, daß Rebecca ihn so belogen haben könnte… nein, mehr als das. Ihre Tränen, ihre Verzweiflung, das war doch echt gewesen – oder nicht?
»Das Bild, das Sie von Ihrer Schwester zeichnen, widerspricht so total dem, das ich von Rebecca bekommen habe, daß es mir schwerfällt, Ihnen auch nur ein einziges Wort zu glauben«, meinte Dr. Daniel.
Alec nickte. »Ich weiß, wie geschickt Rebecca lügen kann. Sonst wäre sie ja nie zu ihrem Reichtum gekommen.«
»Sie hat eine Erbschaft gemacht«, erwiderte Dr. Daniel. »Erst die ermöglichte ihr und ihren beiden Kindern ein angenehmes Leben.« Er sah Jeff an. »Dein Vater hat sich nämlich auch nicht gerade anständig benommen.«
Dr. Parker zog die Augenbrauen hoch. »Ach, meinen Vater hat sie also auch schlecht gemacht?« Er schüttelte den Kopf. »Wenn mein Vater von diesen beiden Kindern gewußt hätte…«
»Er konnte von ihnen nichts wissen«, fiel Alec ihm ins Wort. »Ihre erste Affäre habe ich sozusagen hautnah mitbekommen. Rebecca war sechzehn und ich siebzehn, als wir eine Woche auf einem echten kalifornischen Weingut verbringen durften. Die Parkers haben uns aufgenommen wie eigene Kinder.« Er sah Jeff an und wechselte dann ganz spontan zum vertrauten Du. »Du warst zu jener Zeit in Harvard. Das hat dein Vater voller Stolz erzählt.« Mit einer Hand strich er sein
dunkles Haar zurück, doch es fiel ihm gleich wieder in die Stirn. »Rebecca war mit sechzehn schon ein richtiges kleines Biest. Sie hat es geschafft, deinen Vater zu verführen. Er war für sie nur eine Art Versuchskaninchen. An ihm hat sie ausprobiert, was bei Männern so zieht.«
Man konnte Jeff ansehen, wie entsetzt er über diese Eröffnung war. Sein Vater und ein sechzehnjähriges Mädchen! Wie hatte er das nur tun können?
»In der einen Woche, die wir auf der Parker-Winery verbracht haben, begann Rebeccas Karriere, wenn man das so bezeichnen will«, fuhr Alec fort. »Mit wie vielen Männern sie bis jetzt tatsächlich zusammen war, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß sie von jedem eine stattliche Summe Schweigegeld kassiert hat.«
»Schweigegeld?« wiederholte Dr. Daniel kopfschüttelnd. Noch immer war er nicht sicher, ob er das alles glauben sollte. Rebecca – wie sanft und fürsorglich war sie zu ihm gewesen. Es fiel ihm schwer, in ihr eine Frau zu sehen, die gleich reihenweise Männer in ihr Bett zog und sich danach fürstlich von ihnen bezahlen ließ. Dabei verdrängte er die Erinnerung an jenen Abend, an dem sie ihm dieses eindeutige Angebot gemacht hatte.
Alec nickte. »Sie ließ sich dafür bezahlen, daß sie den jeweiligen Ehefrauen gegenüber Stillschweigen bewahrte. Die Liebesnacht mit Rebecca kostete den jeweiligen Mann zwar eine Stange Geld, dafür konnte er aber seine Ehe weiterführen. Aus diesem Grund suchte sich Rebecca auch grundsätzlich Männer, die glücklich verheiratet waren, denn sonst wäre ihr schlagkräftiges Druckmittel ja weggefallen.« Er wandte sich Jeff zu. »Damit bin ich nun auch bei dem Punkt, der dich angeht. Rebecca behauptet zwar, daß Perry der Sohn deines Vaters ist, aber