»Rebecca hat sich nie arme Männer ausgesucht – jedenfalls soweit ich das weiß«, entgegnete Alec. »Und nun frage ich Sie – welcher reiche Mann würde seine Ehe und womöglich sein Ansehen in der Öffentlichkeit riskieren, um einen Vaterschaftstest zu machen? Die haben doch alle lieber stillschweigend gezahlt, und genau damit hat Rebecca ja auch gerechnet.« Wieder wanderte sein Blick zu Jeff. »Pam ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht deine Schwester. Bei Perry bin ich mir da allerdings nicht so sicher. Er könnte wirklich dein Bruder sein. Tatsache ist, daß Rebecca gerade mal siebzehn war, als sie ihn zur Welt gebracht hat. Aber sie hatte im fraglichen Zeitraum bestimmt auch noch mit einigen anderen Männern intimen Kontakt. Jedenfalls hat dein Vater niemals Alimente für ihn gezahlt. Ich denke, er hat von Rebeccas Schwangerschaft gar nichts erfahren.«
Dr. Parker nickte nachdenklich. »Dieser Meinung bin ich auch.« Er seufzte tief auf. »Es ist für mich schon schwer zu glauben, daß mein Vater intimen Kontakt mit einer Sechzehnjährigen hatte, aber gut… wenn sie es geschickt angestellt hat…« Er atmete tief durch. »Doch niemals hätte er sein Kind verleugnet. Spätestens in seinem Testament hätte er den Jungen bedacht.« Jetzt sah er Alec an. »Perry ist mein Bruder, dafür brauche ich keinen Bluttest. So wie er habe ich mit sechzehn auch ausgesehen.«
Alec atmete auf. »Ich bin froh darüber. Einen Bruder wie dich hätte Perry schon viel früher gebraucht. Er ist so ein sensibler Junge und ich glaube, wenn er dem unseligen Einfluß seiner Mutter noch lange ausgesetzt ist, geht er daran zugrunde.«
»Das werde ich verhindern«, entgegnete Dr. Parker entschlossen. »Und du wirst mir dabei helfen. Mag sein, daß es für dich schwierig wird, aber meiner Meinung nach hast du dich lange genug vor der Verantwortung gedrückt.«
Beschämt senkte Alec den Kopf und hatte dabei das Gefühl, als hätte er ebenfalls gerade einen großen Bruder bekommen, der ihm zeigte, wo’s langging.
*
Als Dr. Daniel nach Mitternacht die Waldsee-Klinik verließ, war er von dem Gespräch mit Jeff und Alec noch immer wie betäubt. Sekundenlang spielte er mit dem Gedanken, zu Rebecca zu gehen und eine Erklärung zu verlangen, doch er verwarf diesen Gedanken wieder. Für ein solches Gespräch mußte er ausgeruht sein. Im Moment hätte er sicher Schwierigkeiten gehabt, Wahrheit und Lüge zu unterscheiden.
Allerdings fühlte sich Dr. Daniel am nächsten Morgen auch nicht sehr viel ausgeruhter. Rebecca hatte ihm eine erneute schlaflose Nacht bereitet, und Dr. Daniel wußte, daß er schnellstens mit ihr sprechen mußte, wenn er jemals wieder wirklich zur Ruhe kommen wollte.
Als er den Gasthof Zum Goldenen Löwen jedoch erreichte, erlebte er eine weitere Enttäuschung, denn Rebecca war abgereist.
»Das ist doch nicht möglich!« entfuhr es Dr. Daniel, was der Gasthofbesitzerin Hermine Gruber einen überraschten Blick entlockte.
»Die Dame wollte noch zu einer Untersuchung kommen«, redete sich Dr. Daniel rasch heraus, weil er vermeiden wollte, daß er zum Tagesgespräch der geschwätzigen Frau Gruber werden würde.
Vertraulich beugte sich Hermine näher zu ihm. »Ich will ja ganz ehrlich sein, Herr Doktor. Eigentlich bin ich sogar froh, daß sie so überstürzt abgereist ist. Das Gezeter vom vergangenen Abend war äußerst störend, und in der Nacht gab es dann noch einmal Streit, bevor der junge Mann, der gestern mit den beiden Jugendlichen hier angekommen ist, wie der Blitz die Treppe heruntergerannt ist und dann das Haus verlassen hat. So eine Unruhe mag ich hier gar nicht gern.«
Dr. Daniel nickte zerstreut. Das alles interessierte ihn nur am Rande, und es war auch keine Antwort auf die vielen Fragen, die ihn beschäftigten. Hatte nun Rebecca die Wahrheit gesagt oder Alec?
»Frau Horn hat ja mitten in der Nacht noch mal den Gasthof verlassen«, fuhr Hermine Gruber fort, und Dr. Daniel fragte sich, wann diese Frau eigentlich schlafen würde. Ihr schien ja absolut nichts zu entgehen. »In den Morgenstunden kam sie dann mit einem Mann zurück, und mit ihm ist sie heute in aller Frühe abgereist.«
Die Worte trafen Dr. Daniel wie ein Schlag. Sollte Alec etwa doch die Wahrheit gesagt haben?
»Danke, Frau Gruber«, murmelte Dr. Daniel.
Wie in Trance verließ er den Gasthof. Rebecca war mit einem Mann abgereist, den sie wenige Stunden zuvor erst kennengelernt hatte, obwohl sie am vergangenen Abend noch beteuert hatte, ihn – Dr. Daniel – zu lieben.
»Sie wissen es also schon?«
Erschrocken fuhr Dr. Daniel herum und sah sich Alec Horn gegenüber.
Zögernd nickte er. »Ja, Herr Horn, ich weiß es, und ich glaube, ich muß Abbitte leisten. Ich hielt Sie für einen Lügner.« Nachdenklich runzelte er die Stirn. »Was geschieht jetzt mit Pamela und Perry?«
»Rebecca hat mir eine Nachricht hinterlassen«, antwortete Alec. »Nach getaner Arbeit wird sie sich bei mir melden.«
»Nach getaner Arbeit«, murmelte Dr. Daniel kopfschüttelnd. Wie hatte er auf diese Frau nur hereinfallen können? Dabei hatte er sogar noch Glück gehabt, daß er so glimpflich davongekommen war.
Manon fiel ihm ein. Sicher, ihre Ehe hatte schon einen kleinen Knacks gehabt, bevor Rebecca das erste Mal in seine Praxis gekommen war, aber erst danach war Manon völlig ausgerastet und das wohl auch zu Recht.
»Ich muß nach Hause«, meinte Dr. Daniel und hatte es auf einmal furchtbar eilig. Er wollte zu Manon – und das auf der Stelle. Er mußte diesen ganzen Unfrieden aus der Welt schaffen, mußte ihr sagen, daß er sie liebte – nur sie. Aber… würde Manon ihm überhaupt noch glauben?
Dr. Daniel bewältigte den Heimweg fast ausschließlich im Laufschritt. Völlig atemlos erreichte er die Villa, hetzte die Treppe hinauf und stürzte in die Wohnung.
»Manon?« rief er fragend, doch er bekam keine Antwort.
Obwohl Sonntag war, lief Dr. Daniel in die Praxis hinunter, aber auch sie war verwaist. Manon war verschwunden. Sie hatte ihn verlassen – ohne Brief, ohne Abschied… einfach so.
Aufstöhnend vergrub Dr. Daniel das Gesicht in den Händen. Wie hatte das alles nur geschehen können? Wie sollte er das der kleinen Tessa erklären? Und wie, um Himmels willen, sollte er ohne Manon weiterleben?
*
Dr. Parker hatte an diesem Sonntagmorgen keinen Dienst, trotzdem führte ihn sein erster Weg zur Waldsee-Klinik. Vor einer Stunde war Karina von der Nachtschicht heimgekommen und würde vermutlich bis mittags schlafen. Dr. Parker hatte also genügend Zeit, um nach Perry zu sehen.
Als er das Zimmer betrat, fand er seinen kleinen Bruder weinend vor.
»Perry, was ist denn los?« fragte Dr. Parker besorgt und eilte an sein Bett.
»Mir ist so schlecht«, jammerte der Junge kläglich.
Behutsam streichelte Jeff über seine Haare, bemerkte das ängstliche Zusammenzucken und wurde von erneuter Wut auf die ihm persönlich unbekannte Rebecca Horn ergriffen. Allerdings war es vermutlich besser, daß er sie nicht kennengelernt hatte.
»Das kommt von der Infusion«, erklärte Dr. Parker nun. »Antibiotika können Übelkeit, Erbrechen und Durchfall auslösen, aber die Infusion ist in deinem Fall leider nicht zu umgehen.« Er half Perry, sich aufzusetzen und hörte gewissenhaft Herz und Lunge ab, dann sah er ihn aufmerksam an. »Wirst du mich heute freiwillig in deinen Mund schauen lassen?«
Perry zögerte, dann nickte er.
»Fein.« Dr. Parker lächelte ihn an. »Dann mach mal schön auf, und streck’ deine Zunge heraus.«
Perry gehorchte, und Jeff wußte, daß das schon ein großer Vertrauensbeweis des Jungen war.
»Ein paar Tage wirst du die Infusionen noch bekommen müssen«, stellte Dr. Parker fest, während er ihn wieder fürsorglich zudeckte, dann stützte er sich