Mit den geschmeidigen Bewegungen einer Raubkatze kam sie auf ihn zu. »Daran muß sich ja auch nichts ändern. Hör mal, Robert, ich will dich nicht heiraten, sondern mich ein paar Stunden mit dir vergnügen. Was ist denn daran schlecht? Wir werden eine traumhafte Nacht erleben und morgen unserer Wege gehen. Deine Frau wird nichts davon erfahren und ich werde eine wunderschöne Erinnerung an Deutschland mit nach Hause nehmen.« Und eine Menge Geld, das du mir für mein Schweigen bezahlen wirst, fügte sie in Gedanken hinzu.
Doch Dr. Daniel schüttelte entschieden den Kopf. »Dafür bin ich nicht der Richtige, Rebecca. Ich nehme Gefühle sehr ernst. Was du da gerade angedeutet hast, kommt für mich nicht in Frage.«
Er griff nach seiner Arzttasche, nahm die Jacke, die er vorhin achtlos über den neben der Tür stehenden Stuhl geworfen hatte und wandte sich dann Rebecca noch einmal zu.
»Es tut mir leid«, murmelte er, weil er sich selbst dafür verantwortlich machte, daß Rebecca mit ihm eine Liebesnacht erleben wollte. Er hatte das Zusammensein mit ihr so sehr genossen, daß er ihr dadurch unbewußt und auch ungewollt Hoffnungen gemacht hatte. Er wünschte, er könnte es wieder rückgängig machen.
In ihrem hauchdünnen Negligé kam Rebecca auf ihn zu. Sie dachte noch gar nicht daran aufzugeben.
»Du mußt nicht gehen, Robert«, meinte sie mit sinnlich tiefer Stimme. »Wir können uns auch so einen schönen Abend machen.« Dabei ließ sie ihre Fingerspitzen liebkosend von seinem Nacken über seine Brust gleiten, öffnete dabei wie zufällig ein paar Knöpfe und ehe Dr. Daniel sich versah, hatte sie etliche heiße Küsse auf seine Brust gehaucht.
Dr. Daniel wich zurück. »Bitte, Rebecca, laß das. Ich habe es dir vorhin schon gesagt – ich bin kein Mann für eine Nacht, das wäre ich auch dann nicht, wenn ich nicht verheiratet wäre.« Entschlossen drehte er sich um und ging zur Tür. »Gute Nacht, Rebecca.«
Als die Tür hinter ihm ins Schloß gefallen war, ballte Rebecca vor Wut die Fäuste. So etwas war ihr noch nie passiert! Spätestens ihr gezieltes Streicheln und ihr Küsse hatten die Männer immer weich gemacht, doch Robert war wirklich eine harte Nuß.
»Die ganze Mühe umsonst«, knurrte Rebecca wütend. Einen Augenblick dachte sie daran, die Sache mit Dr. Daniel noch immer nicht aufzugeben, doch dann entschied sie sich anders. Sie würde sich ein neues Opfer suchen. Hier in der Gegend gab es bestimmt noch weitere wohlhabende Männer, die sie becircen konnte.
*
Als Dr. Daniel nach Hause kam, fand er die Wohnung verwaist vor, doch damit hatte er schon fast gerechnet. Heute war es ihm auch ganz recht. Die Geschichte mit Rebecca beschäftigte ihn nämlich noch ganz gewaltig.
Wie so oft, wenn er ungestört nachdenken wollte, setzte er sich ins dunkle Wohnzimmer und starrte blicklos vor sich hin.
Wie hatte ihn seine Menschenkenntnis nur so im Stich lassen können? Oder liebte Rebecca ihn vielleicht wirklich? Hatte sie ihm den Vorschlag von der einen Liebesnacht womöglich nur gemacht, weil sie wußte, daß er verheiratet und somit unerreichbar für sie war? Hatte sie sich wenigstens ein kleines Stückchen Glück nehmen wollen?
Seufzend lehnte sich Dr. Daniel auf dem Sofa zurück, doch dann fuhr er erschrocken wieder hoch. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf ihn die Erinnerung an Viola von Lilienthal, die sich ihm seinerzeit in ihrem manisch-depressiven Zustand förmlich an den Hals geworfen hatte. Damals hatte er sich ihren Verführungskünsten, die später in Erpressungsversuche ausgeartet waren, nur mit äußerster Mühe erwehren können. Mit allen Mitteln hatte sie versucht, ihn zur Ehe mit ihr zu bewegen.
Sollte Rebeccas Angebot etwa auch mit einer Krankheit zusammenhängen? Dr. Daniel schüttelte diesen Gedanken ab. Rebecca hatte sich ja völlig anders verhalten als Viola von Lilienthal dies einst getan hatte. Die Unterleibsschmerzen fielen Dr. Daniel wieder ein. Deswegen war er heute ja eigentlich zu Rebecca gegangen. Waren diese Beschwerden nur ein Vorwand gewesen, um ihn in ihr Zimmer zu locken? Oder war ihr Verhalten womöglich ein Hilferuf?
Unwillkürlich stöhnte Dr. Daniel auf. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Je länger er über die Situation in Rebeccas Zimmer nachgrübelte, um so durchsichtiger wurde sie für ihn. Niedergeschlagen vergrub er das Gesicht in den Händen. Er wünschte, er hätte mit Manon über all das sprechen können, aber gerade im Moment war das so unmöglich wie nie zuvor.
Dr. Daniel fuhr erschrocken hoch, als plötzlich Licht aufflammte. Manon stand in der geöffneten Tür und sah ihn stumm an. Dr. Daniel erwiderte den Blick und versuchte zu ergründen, ob es wohl möglich sein würde, vernünftig mit ihr zu sprechen… ob er auf eine Frage überhaupt eine Antwort bekommen würde.
»Hat sie dich abblitzen lassen?«
Dr. Daniel sackte förmlich in sich zusammen. Vermutlich sollte er sich jetzt weniger Gedanken um Rebecca machen als vielmehr um seine eigene Frau. Manons Ausrasten war ja auch nicht mehr normal.
»Wie kommst du bloß auf so etwas?« fragte er beinahe tonlos. »Meine Güte, Manon, gerade du müßtest mich doch kennen… besser als jede andere. Warum, um Himmels willen…«
»Ich habe gesehen, wie du in den Goldenen Löwen gegangen… nein, förmlich gerannt bist«, fiel Manon ihm mit eisiger Stimme ins Wort. »Du hattest es so eilig, zu deiner Rebecca zu kommen, daß du mich gar nicht gesehen hast, obwohl ich keine hundert Meter von dir entfernt gestanden habe.«
Dr. Daniel wurde abwechselnd heiß und kalt. Er wußte, daß Manon recht hatte. Die Vorfreude auf den Abend mit Rebecca hatte ihn für seine Umgebung anscheinend blind und taub gemacht. Allerdings hatte diese Vorfreude ja nicht einem flüchtigen Liebesabenteuer gegolten, sondern dem Zusammensein mit einem Menschen, von dem er sich verstanden gefühlt hatte.
»Es war völlig anders, Manon«, verteidigte er sich und hatte dabei ein schlechtes Gewissen ohne sich einer wirklichen Schuld bewußt zu sein. »Rebecca rief mich wegen Unterleibsschmerzen zu sich…«
Da bog Manon den Kopf zurück und lachte, doch es war kein fröhliches Lachen. Es ließ Dr. Daniel vielmehr einen eisigen Schauer über den Rücken laufen. Als Manon ihn wieder anschaute, verstummte ihr Lachen so abrupt, wie es angefangen hatte.
»Für diese Lüge sollte ich dich eigentlich ohrfeigen«, erklärte sie kalt.
»Glaubst du, daß das unserer Ehe noch besonders zuträglich wäre?« gab Dr. Daniel zurück und wunderte sich, wie er es eigentlich schaffte, dabei so ruhig zu bleiben.
Manon schüttelte den Kopf. »Ich glaube eher, es gibt nichts, was unserer Ehe wirklich noch schaden könnte. Es gibt aber vermutlich auch nichts, was sie noch retten kann.«
Dr. Daniel stand auf und ging langsam auf seine Frau zu.
»Warum, Manon?« wollte er leise wissen. »Wie konnte das alles mit uns nur geschehen?«
Sie blieb ihm die Antwort schuldig, drehte sich um und ging. Dr. Daniel war allein. Einen Moment lang fragte er sich, ob er wohl einen Fehler gemacht hatte, als er Rebeccas Angebot, mit ihr die Nacht zu verbringen, ausgeschlagen hatte.
*
Dr. Daniel hielt sich in den folgenden Tagen vom Gasthof Zum Goldenen Löwen geflissentlich fern, obgleich ihm der Gedanke an Rebecca schlaflose Nächte bereitete. Hin- und hergerissen zwischen seinen Gefühlen für Rebecca und seiner Liebe, die er nach wie vor für Manon empfand, kostete es ihn immer mehr Mühe, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Mindestens tausendmal hatte er die Szene in Rebeccas Zimmer schon durchgespielt – so, wie sie tatsächlich abgelaufen war und wie sie hätte ablaufen können. Dabei hatte er jedoch weniger den Aspekt der Liebesnacht im Auge gehabt, als vielmehr die vorangegangene Untersuchung. Vielleicht hätte er gründlicher sein müssen. Wenn er nun etwas übersehen hatte… irgendeine Kleinigkeit…
Vergeblich versuchte er, diese Gedanken von sich abzuschütteln. Die Möglichkeit,