Seine rollenden Augen richteten sich mit sichtlicher Angst auf die Gesellschaft und versuchten das Gedränge derer, die ihn im Kreise umgaben, zu durchdringen. Als er die Gestalt, die er zu suchen schien, nicht erblickte, ließ er seinen Kopf auf die Brust niederfallen.
Der Greis ergriff wieder das Wort.
»Meine Herren,« sagte er, »dieser Mann hat seine Brüder bestohlen. In der Familie, deren Haupt zu sein ich die Ehre habe, ist es Sitte, dass von allen Einnahmen, die der Himmel uns schickt, ein Teil beiseite gelegt werde; dieser Teil verbleibt für schlechte Tage als Reserve oder auch für diejenigen unter uns, die in ihren Handelsgeschäften Widerwärtigkeiten erlitten haben. Dieses Geld habe ich diesem Manne anvertraut, und er hat es sich selbst zugeeignet. Als ich von ihm Rechnungslegung forderte, war seine Börse ebenso leer als das Gehirn eines Abbé. Habe ich wahr gesprochen?«
Der Bettler machte ein bejahendes Zeichen.
»Schändlicher Mensch!« fuhr der Greis, sich an den Bettler wendend, fort; »wie ich, hast du deinen Platz unter den Bettlern selbst gewählt. Du wusstest recht gut, dass die Gesellschaft, welche du hintergingst, ihre Gesetze hat. Du wusstest auch, welche Strafe auf diesen Verrat steht!«
»Ich wusste es«, murmelte der Mann.
»Der Tod! Der Tod!« riefen alle Anwesenden tumultuarisch. »Tod dem schlechten Menschen! Tod dem Diebe!«
Der Greis gebot Stillschweigen.
»Du hast den Tod verdient,« sagte er zu dem Bettler, »und du sollst ihn erleiden, aber ich möchte dir wenigstens die Qualen ersparen, die ihn noch schrecklicher machen.«
Der arme Teufel machte eine Gebärde, die bezeichnen sollte, dass die Qualen, mit denen ihn der Hauptmann bedrohte, ihm gleichgültig seien.
»Sei in deiner letzten Stunde aufrichtig, mein armer Bursche, und bei der Freundschaft, die ich für dich gehabt habe, schwöre ich dir, dass du nicht auf die Tortur kommen sollst, müsste ich auch dein Schicksal teilen. Was hast du mit dem Gelde dieser Leute gemacht?«
»Ich habe es dir schon gesagt, Hauptmann,« erwiderte der Bettler, »ich habe es durchgebracht.«
»Du lügst – wenn er alt geworden, wird der Teufel Eremit; seitdem du alt geworden, bist du sonderbarerweise geizig geworden. Du lügst, sage ich dir! Du hast das Geld irgendwo vergraben; zeige uns an, wo wir wiederfinden können, was uns gehört!«
Der alte Bettler blieb stumm, und die Hitzigsten in der Bande wollten sich auf ihn stürzen. Der Greis schützte ihn noch einmal, aber es war augenscheinlich, dass, so groß sein Ansehen bei den Bettlern auch sein mochte, dieses bald nicht mehr Stich halten werde; er kam auf meinen Ahnen zu.
»Also, Herr von Longval,« sagte er zu ihm mit leiser Stimme und indem er besonders den Titel, den er ihm gab, betonte, »dieser Mensch ist für Sie weiter nichts als der Bettler, dem Sie auf dem Kirchhofe von Notre-Dame-de-Bonne-Nouvelle einige Pfennige hinwarfen, durchaus nichts anderes?«
Der greise Scharfrichter wich betroffen zurück. Die undeutlichen Erinnerungen, denen er, da sie zu unwahrscheinlich waren, sich nicht zu überlassen gewagt hatte, wurden ihm plötzlich klarer. Er betrachtete die beiden Personen, die er vor sich hatte, genauer, und in einer Sekunde fand er unter ihren verwelkten Gesichtszügen und ihrer pergamentartigen Haut die beiden Gefährten seiner Jugend wieder.
»Blignac!« – »Paul!« – Er schrie laut auf und stürzte sich auf den Bettler. »Du bist hier?! Du mitten unter diesen –.«
Herr von Blignac ließ ihn nicht aussprechen.
»Gottes Tod! Herr von Longval,« sagte er mit der ihm eigentümlichen sarkastischen Betonung, »es scheint mir, dass wir uns gegenseitig keine Vorwürfe zu machen haben; obgleich wir verschiedene Wege gegangen sind, können wir uns doch rühmen, alle drei recht hübsche Karrieren gemacht zu haben.«
Die Unverschämtheit, die Herr von Blignac in seiner Erniedrigung bewahrt hatte, empörte Sanson von Longval, aber gleichzeitig fühlte er ein schmerzliches Mitleid mit seinem Vetter, der für sein liederliches Leben so gerecht, aber auch so grausam gestraft worden war. Er kniete neben ihm nieder und versuchte ihn sowohl zu Gefühlen der Reue zurückzuführen, als ihn zu dem Geständnisse, das man von ihm verlangte, zu bewegen.
Paul Bertaut blieb aber taub gegen alle Bitten, und als hätte er ihnen ein Ziel setzen wollen, schrie er mit zitternder Stimme:
»Ich habe es gestanden – ich habe dieses Geld durchgebracht, ja, ich habe es durchgebracht! Mein Gott, erbärmliche elftausend Livres, was ist denn das? Ich habe schon viel mehr verschwendet! Erinnerst du dich nicht mehr, Hauptmann, als wir uns bei der Rückkehr von Montreal in London aufhielten? Elftausend Livres, Jesus! das reichte für einen Tag hin. Da ich nun gestanden, dass ich euer Geld gestohlen habe, so lasst mich sterben! Lasst mich schnell sterben, ich will, ich will sterben!«
Die Leute, welche um ihn her standen, verstanden nichts von dieser Sehnsucht, zu sterben, die sich des Bettlers bemächtigt hatte, und sahen sich mit stummem Erstaunen an.
Aber Blignac beugte sich zu seinem alten Freunde nieder und sagte zu ihm:
»Ich begreife nicht, was deine Absicht ist, aber ich bin sicher, dass du uns zu betrügen suchst. Die Zeit, von der du sprichst, Paul, liegt weit hinter uns, und du weißt, was heute ein Pfennig wert ist. Sage mir doch, warum du deine Tochter, die du so sehr liebst und von der du dich nie trennst, an demselben Tage aus deiner Wohnung geschickt hast, an dem ich daselbst mit dir abrechnen sollte. Sage mir, warum alle unsere Bemühungen, sie wieder aufzufinden, vergeblich gewesen sind?«
Als man von seiner Tochter sprach, funkelten die Augen Paul Bertauts, und ein tiefer Seufzer hob seine Brust, aber er antwortete nicht auf die an ihn gerichteten Fragen.
Mein Ahne nahm nun wieder das Wort und erzählte Blignac, wie er am Abend der Ausstellung des Prokurators dem jungen Mädchen begegnet sei, ohne sein Erstaunen über die Toilette, in der er sie gesehen, und das verdächtige Aussehen ihres Begleiters zu verbergen.
Der Hauptmann stieß einen lauten Fluch aus und rief, sich erhebend:
»Gottes Tod, Schurke! Deine Tochter hat dich bestohlen! Warum sagst du es nicht?«
»Bestohlen?« rief der Bettler, der die Beute wilder Verzweiflung wurde und durch eine mächtige Anstrengung sich von seinen Fesseln zu befreien strebte. »Bestohlen? Das ist nicht wahr, hörst du, Hauptmann? Bestohlen? meine Tochter, ein Kind, das seinen Vater so sehr liebt! Ach, großer Gott! wer hat so etwas erfinden können? – Nein, nein, Hauptmann, nicht sie, sondern ich habe den Fehler gemacht! Ich allein bin strafwürdig.«
Blignac zuckte die Achseln mit einem Seitenblick auf Sanson von Longval, welcher sagte, dass das, was bisher nur Vermutung, ihm jetzt zur Gewißheit geworden sei.
Trotzdem versuchte er noch, seinen alten Freund zu retten, und fragte seine Leute, ob einer von ihnen der Tochter des Bettlers, die sie in ihrer Diebessprache mit dem Namen »Schönauge« bezeichneten, begegnet sei.
Einer der Bettler erwiderte, dass er in der Tat glaube, sie in der Postkutsche von Rouen neben einem Individuum gesehen zu haben, das ihm in der doppelten Eigenschaft als Werber und Spion bekannt sei, aber die Kutsche, die gerade abfuhr, war so schnell vorübergerollt, dass es ihm unmöglich geworden sei, sich sicher zu überzeugen, ob sie es auch wirklich gewesen.
»Gut,« sagte der Hauptmann, der Zeit zu gewinnen suchte, »Drillon und Marmotte werden nach Rouen reisen, und wenn wir erst wissen, an wen wir uns zu halten haben, wird die Sache dieses Burschen besser stehen.«
Ein lautes Gemurmel, das durch die ganze Versammlung lief, bewies, dass die Majorität weit entfernt war, diese Ansicht zu teilen.
Die Autorität eines Hauptmannes in dieser »böhmischen