Zenjanisches Feuer. Raik Thorstad. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Raik Thorstad
Издательство: Bookwire
Серия: Zenja
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958238329
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stimmte dankbar zu. Zum einen blieb ihr dadurch ein Nachmittag voller Demütigungen erspart. Zum anderen war dies einer der wenigen Augenblicke, in denen sie einen Sinn in ihrer Anwesenheit in der Akademie sah.

      Sollten die anderen doch behaupten, dass Venika sie nur deshalb bei sich haben wollte, weil sie sich gern mit hässlichen Kröten umgab, um selbst heller zu strahlen. Oder dass sie, die für ihre Liebe zu Männern und Frauen gleichermaßen bekannt war, nur dann konzentriert arbeiten könne, wenn ihre jeweilige Hilfskraft keine Verlockung darstellte. Beides mochte stimmen.

      Aber Venika hatte sie, die nutzlose Thalid, gebeten, länger zu bleiben, damit sie ihre Aufträge pünktlich ausliefern konnte. Das konnte ihr niemand wegnehmen.

      Der Tag neigte sich bereits dem Ende zu, als der letzte Halbedelstein mit einem mächtigen Verschleierungszauber besprochen war. Venika verstaute die Halskette behutsam in einem Kästchen aus matt schimmerndem Holz und ließ mit einem leisen Seufzen den Deckel zufallen.

      »Das wäre geschafft«, verkündete sie. Unter ihren ausdrucksstarken Augen zeigten sich Schatten. Sie hatte über den Tag Unmengen ihrer Kraft in ihre Werkstücke einfließen lassen. »Lass uns noch Ordnung in das Durcheinander bringen, dann soll es gut sein.«

      Thalid ging zu der Wandvorrichtung mit den langen Hebeln, um die Luken im Dach zu schließen. Das Feuer in der Esse war bereits erloschen, die letzten Tränke von der Flamme genommen worden. Nur eine Handvoll Kerzen brannten in ihren Seen aus Wachs und warfen tanzende Gestalten auf die Bücherregale.

      Venika übernahm es selbst, die Tische von Steinstaub und anderen Überbleibseln ihrer Arbeit zu befreien. Thalid wusch ein zweites Mal an diesem Tag sämtliche verschmutzten Gefäße ab. Bis sie damit fertig war, war die Sonne untergegangen und sie zu ihrer Überraschung allein im Turmzimmer. Mit gerunzelter Stirn sah sie sich um, ob Venika nicht doch in einer dunklen Ecke zugange war. Doch als sie sie nicht entdeckte, zuckte sie die Schultern und setzte ihre Arbeit fort. Bis auf das Holzpodest mit dem Stehpult hatten sie inzwischen alle Bereiche aufgeräumt.

      Also nahm Thalid sich der zahlreichen, in Leder gebundenen Folianten an und sortierte sie in die im Raum verteilten Regale ein. Zum Glück war keines von ihnen so hoch wie jene in der Bibliothek, sodass sie die obersten Bretter auch ohne Hilfe eines Zaubers erreichen konnte. Mehr als einmal hielt sie inne, um einen Titel zu lesen, oder ein Buch beiseitezulegen, weil sein Einband dringend der Arbeit eines Buchbinders bedurfte. Papier und Werkstätten, in denen ständig Dampf oder Rauch in der Luft stand, vertrugen sich nicht gut miteinander.

      Thalid war fast fertig, als ihr auffiel, dass in einem Regal die ganze unterste Reihe umgefallen war. Ein paar Schriftrollen drohten, in ihren Lederhüllen zerquetscht zu werden. Da sie es nicht eilig hatte, kauerte sie sich auf die Knie und zog die Schriftstücke hervor, um sie neu zu ordnen.

      Sie erkannte rasch, dass es sich um auffallend alte Werke handelte. Fasziniert zeichnete sie die geschwungenen Buchstaben auf den Umschlägen und Hüllen nach. Sie waren ihr gänzlich fremd.

      Thalid griff blind zum nächsten Buch und wunderte sich, dass ihre Hand etwas Kaltes streifte. Als sie den mächtigen Folianten in ihren Schoss hob, stellte sie fest, dass er seitlich mit einer Schließe versehen war. Die fremdartige Machart weckte ihre Neugier und sie drehte sich zur Seite, damit das Kerzenlicht den Einband besser ausleuchtete. Es fing sich auf der glänzenden Bronze der Schließe, die am Rand den grünen Schimmer des Alters angenommen hatte und darüber hinaus nur noch lose ins Umschlagleder eingelassen war.

      Thalid stieß ein ungehaltenes Brummen aus. Die ehrenwerte Magistra Quellfang mochte eine Künstlerin sein, was verzauberte Schmuckstücke und Schutzvorrichtungen anging, aber ihr Umgang mit Büchern war sträflich.

      Mit dem Folianten in den Armen stand Thalid auf und ging hinüber zum Stehpult, wo bereits andere beschädigte Bücher auf Rettung warteten. Sie legte ihren jüngsten Fund dazu und wollte sich schon abwenden, als ihr ein paar Kratzspuren in der Schließe auffielen. Sie wirkten zu regelmäßig für eine Beschädigung und bildeten sie nicht ein Zeichen, das ihr vage vertraut war?

      Thalid nahm einen nahen Kerzenhalter an sich und hielt ihn näher an das Pult, sorgsam darauf bedacht, dass weder Wachs noch Flamme zu nah ans Pergament gerieten. Im hellen Lichtschein erwies sich die Schließe als noch fremdartiger als zuvor im Halbschatten. Die Bronze selbst schien auf eine Art gegossen zu sein, die Thalid nie zuvor gesehen hatte. Die vermeintlichen Kratzspuren erwiesen sich als eine vom häufigen Berühren abgetragene Schutzrune. Sie sah fast genauso aus wie jene, mit denen Venika Türen und versteckte Durchgänge vor fremden Augen und Zugriffen zu bewahren wusste.

      Allerdings ahnte Thalid, dass Rune, Buch und Schließe zu beschädigt waren, als dass der Schutzzauber gehalten hätte. Sie zögerte, dann schob sie zwei Finger unter die Schließe und zog vorsichtig an der fein geschmiedeten Kette, die die Buchdeckel zusammenhielt. Genau wie vermutet gab die obere Hälfte nach und glitt widerstandslos vom Umschlag ab. Das Leder darunter hatte sich so weit zersetzt, dass jeder Versuch, das Buch vor unerwünschtem Zugriff zu schützen, vergebens war.

      Eine Schande, dachte Thalid. So viel Mühe und nun scheitert alles daran, dass das Leder verrottet.

      Sie strich an der Schnittkante des Buchs entlang. Das Pergament fühlte sich brüchig an. Vielleicht handelte es sich um ein Werk, von dem man besser eine Abschrift anfertigte, bevor es zu Staub zerfiel? Sicherheitshalber schlug sie das Buch auf, um den Zustand der einzelnen Seiten zu prüfen.

      Ihr Blick traf auf geschwungene Buchstaben, die sich dunkelgrün vom gelblichen Untergrund abhoben. Im Gegensatz zu den Werken in der Bibliothek handelte es sich nicht um die Arbeit eines Meisters, der sorgsam Wort für Wort zu Papier brachte. Stattdessen ergoss sich die Schrift so ungestüm und schief über das Pergament, als wäre der Text in großer Eile verfasst worden.

      Ohne sich bewusst dafür entschieden zu haben, begann Thalid zu lesen. Anfangs waren es nur einzelne Satzfragmente, die auf sie eindrangen. Dann, als sie merkte, dass es sich um eine Geschichte statt um ein alchemistisches Rezept oder die Anleitung eines Zaubers handelte, ließ sie sich von ihr gefangen nehmen.

      … schien es fürwahr, als wäre das ganze weite Land ihr Tummelplatz, die saftigen Wiesen der Südländer wie die weiten Wälder des Nordens. Unter ihrer Hand gedieh, was wachsen wollte, und blühte, was sie erfreute. Ihre Gedanken waren von einer solchen Kraft und Reinheit, dass sie weithin trugen und jedes Herz, das sie berührten, veränderten. Es lässt sich zweifelsohne sagen, dass sich nie eine größere…

      Das Buch schlug zu. Thalid, die ihm mit der Nase ähnlich nah gekommen war, wie Barim es zu tun pflegte, sprang rückwärts. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, sah sie sich Venika gegenüber. Sie erschrak angesichts des unverhohlenen Zorns in den Augen der Magierin.

      »Wie kannst du es wagen?«, fuhr Venika sie an. »Wie kannst du es wagen, dich an meinen ältesten Schriften zu vergreifen? Ihre Schließen aufzubrechen? Dir Wissen anzueignen, das dir nicht zusteht?«

      Thalid öffnete den Mund, um zu erklären, dass sie das Buch keineswegs aufgebrochen, sondern beschädigt aufgefunden hatte. Und dass sie nie vorgehabt hatte, sich an Venikas Sammlung zu vergreifen, sondern lediglich wie befohlen für Ordnung hatte sorgen wollen.

      Doch etwas in der Miene der Magistra lähmte ihre Zunge.

      Venika sprach jetzt gefährlich leise. »Ich habe dich unter meinen Flügel genommen. Ich habe dich an meiner Arbeit teilhaben lassen und dafür gesorgt, dass deine Anwesenheit in diesen Hallen einen Sinn ergibt. Und so dankst du es mir? Indem du hinter meinem Rücken umherstöberst?« Sie warf den Kopf zurück und sah auf Thalid herab, was kaum möglich sein sollte, da sie ein gutes Stück kleiner war und zudem im Gegensatz zu Thalid nicht auf dem Holzpodest stand. »Wenn du nach all den Jahren immer noch nicht gelernt hast, dass es nicht nur dumm, sondern schlichtweg gefährlich ist, sich verbotenes Wissen anzueignen, ist in dieser Werkstatt kein Platz für dich.« Sie deutete mit dem Daumen über die eigene Schulter. »Verschwinde, Thalid. Und komm nicht wieder, bevor ich dich nicht rufe. Fürs Erste will ich dich nicht mehr sehen.«

      In Thalid war während Venikas Vorhaltungen ein gefährlicher Strudel entstanden. Etwas in ihr schrie und