Mit Rössern in den Untergang. F. John-Ferrer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: F. John-Ferrer
Издательство: Bookwire
Серия: Zeitzeugen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783475544880
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      Der Gefreite drehte sich wieder um. »Herr Wachtmeister?«

      Schimanek kam heran; sein Gesicht sah finster und verschlossen aus. Er musterte Benz mürrisch, dann sagte er:

      »Sie brauchen nicht zu denken, dass ich Ihnen die Sache von damals – Sie wissen schon welche! – nachtrage. Die ist für mich so gut wie begraben, Benz. Worum es mir geht, das möchte ich Ihnen noch vor dem Abrücken plausibel machen. Wissen Sie, was Sie in meinen Augen sind?«

      »Sagen Sie es, Herr Wachtmeister.«

      »Sie sind ein total unmilitärisches Subjekt, und Sie halten sich für etwas Besseres, weil Sie Abitur haben. In meinen Augen sind Sie aber ein … Haun Sie ab!«, knurrte er. »Haun Sie schnell ab, sonst erzähl ich Ihnen was!«

      Benz nickte nur. Er grüßte und ging zu den Pferden, nahm das Sattelpferd am Halfterriemen und zog mit dem leeren Munitionswagen zur Rampe hinüber, wo bereits Hirtz und die anderen Heuballen aufluden. Benz war verwirrt. Er wusste plötzlich nicht mehr, was er von diesem Vorgesetzten denken sollte.

      Schimanek stand noch eine Weile am selben Fleck und starrte Benz nach, nagte verdrossen an der Unterlippe, murmelte dann etwas Unverständliches, ging mit ärgerlichen Schritten zum Bahnhofsgebäude und verschwand in der Bahnhofswirtschaft.

      4

      Der Abmarschbefehl kam noch am späten Nachmittag desselben Tages. Geschützfahrzeuge, Munitionszug und Tross wurden vorschriftsmäßig beladen. Als Erster zog der Batterietrupp aus dem Lager. In Fliegermarschtiefe folgte die Batterie mit aufgesessenen Kanonieren. Niemand wusste, wohin es gehen sollte, alle waren in gespannter Erwartung und erregter Stimmung.

      An den Verladerampen stand der lange Transportzug. Alles ging gewohnt schnell von der Hand. Die Fahrer schleppten Stroh in die Viehwaggons und trieben die Pferde hinein, dann wurde das Futter verstaut und die Tiere noch einmal getränkt.

      Inzwischen schoben die Kanoniere Lafetten und Rohrwagen auf die Loren und zurrten die tonnenschweren Lasten fest. Der Batterietrupp bestieg die vorn befindlichen Personenwagen, der Chef lief am Zug auf und ab, gab hier eine Anweisung und dort einen Befehl.

      Die Sonne versank hinter dem schwäbischen Forst, als der Transport verladen und zur Abfahrt bereit war.

      »Essen- und Kaffee-Empfang!«, hieß es noch einmal, und die Essenholer rannten zur Lore, auf der die Feldküche stand, und wo die beiden Küchenbullen mit roten Gesichtern noch einmal Marschverpflegung und Muckefuck verteilten.

      Benz holte die Fourage für die Fahrer der Lafette. Er stand in der Schlange der Essenholer neben Emmerich.

      »Na«, sagte der und stieß ihn freundlich in die Seite. »Wie kommst du als Fahrer zurecht? Haut’s hin?«

      Benz spürte noch den Abschiedsschmerz und hatte während des Verladens oft zu jenem Gleis hinübergeschaut, wo Stunden zuvor Gerti abgefahren war. Er war bedrückt – und nicht nur, weil Gerti fort war, sondern weil er nicht bei den Kameraden des 1. Geschützes sein durfte. Die fuhren vorn im Personenabteil, er musste im Viehwaggon, bei den Gäulen, reisen.

      »Die Umstellung ist schon blöd«, sagte er zu Emmerich. »Ich muss mich erst daran gewöhnen.«

      »Mach dir nichts draus, Robert. Ich bin sicher, dass du bald wieder zu uns kommst.«

      Sie empfingen Brot, Büchsenwurst und die Zigarettenrationen. Plötzlich sah Benz Schimanek. Er stand etwas abseits und rauchte. Er schien getrunken zu haben. Sein Gesicht wirkte dunkel; er schwankte leicht.

      »Benz! Zu mir her!« Es klang ein wenig lallend.

      Benz zögerte. Der alte Hass stieg jäh wieder in ihm auf, das Bedürfnis, Schimanek die Faust zwischen die Augen zu schlagen oder ihn anzubrüllen, dass er ein Drecksack, ein Idiot sei. Aber er ging zu ihm hin.

      Schimanek grinste schief. »Was … was ich noch sagen wollte, Benz. Sie … ähm … Sie haben ’n hübsches Mädchen. Sie verdienen es gar nicht, wissen Sie das!«

      »Was geht Sie das an, Herr Wachtmeister?« Es klang schroff.

      Schimanek grinste. »Was mich das angeht, Benz? ’ne Menge. Sie sind in meinen Augen ein Feigling! Sie haben sich hinter Ihrem Mädel verschanzt und es auf mich gehetzt. Was haben Sie ihr eigentlich über mich gesagt? Na, ’raus mit der Sprache! Sagen Sie es ruhig, Benz! Ich will es wissen!«

      Benz sah, dass Schimanek betrunken war. Was sollte er ihm jetzt antworten? Es gab bestimmt einen Mordskrach, wenn er jetzt Schimanek in die Schranken wies.

      »Ich habe meiner Braut nichts über Sie gesagt, Wachtmeister!«

      »Das können Sie doch mir nicht weismachen, Benz!«

      »Sie hat Sie gegen meinen Willen angesprochen«, knurrte Benz mit mühsamer Beherrschung.

      »Das glaub ich Ihnen nicht!«

      »Dann ist es mir auch egal, Herr Wachtmeister!«, gab Benz betont gleichgültig zurück.

      »Wie … wie reden Sie mit mir?«, brauste Schimanek auf.

      In diesem Augenblick stand Hauptmann Schröder neben ihnen. Schröder hatte seine Batterie gut in der Hand. Natürlich wusste er von dem gespannten Verhältnis zwischen Benz und Schimanek. Es schien ihm jetzt erforderlich, noch vor dem Abtransport den beiden Kampfhähnen etwas zu sagen.

      »Was gibt es hier?«, fragte er. Er hatte eine angenehme, stets ruhig klingende Stimme.

      Schimanek knallte die Hacken zusammen. »Nichts, Herr Hauptmann … nichts von Belang.«

      »Bitte sorgen Sie dafür, dass die Essenausgabe zu Ende geht«, befahl Hauptmann Schröder. »In zehn Minuten ist Abfahrt.«

      Schimanek ging, nicht ohne vorher einen ironischen Blick auf Benz zu werfen.

      Benz stand stramm, unter den Armen drei Brote und drei Büchsen Blutwurst, in den Händen die Kochgeschirre mit dem schwarzen Malzkaffee.

      Der Hauptmann sah ihn an, sehr lange und prüfend. Dann sagte er nicht unfreundlich, aber bestimmt:

      »Benz, Sie wissen, ich schätze Sie. Ich schätze es aber nicht, wenn sich ein Gefreiter einem Vorgesetzten gegenüber ausfallend und im höchsten Grad unmilitärisch benimmt. Sie waren mir zum Rapport gemeldet. Dieser Rapport ist nur aufgeschoben, verstanden!«

      »Jawohl, Herr Hauptmann.«

      »Sie sind jetzt Fahrer bei der 1. Lafette?«

      »Jawohl, Herr Hauptmann.«

      »Sie bleiben es vorläufig. Ist das klar?«

      Benz schluckte. Er wusste plötzlich, dass nicht Schimanek die Versetzung verfügt hatte, sondern Hauptmann Schröder. Statt Bau! Statt Bestrafung!

      »Herr Hauptmann … ich wäre lieber …«

      »Es ist mir gleich, was Ihnen lieber wäre«, fuhr ihn der Hauptmann an. »Sie bleiben Fahrer, verstanden!«

      »Jawohl, Herr Hauptmann.«

      »Wegtreten!«

      Der Gefreite Benz knallte die Absätze zusammen, machte eine exakte Kehrtwendung, ging an der Wagenreihe entlang zum Viehwaggon. Er stieg ein. Hirtz und Berger nahmen ihm die Brote und die Wurstkonserven ab.

      »Was war los, Robert?«, fragte Berger. »Haste vom Chef ’ne Zigarre verpasst bekommen?«

      »Nicht direkt«, murmelte Benz.

      »Mach dir nix draus, Robert«, lachte Hirtz. »Das verwächst sich alles. Und jetzt werd ich euch sagen, wohin wir kommen! Nach Ungarn! Ich weiß es ganz sicher!«

      Zehn Minuten später ruckte der Zug an und fuhr langsam in Richtung Ulm. In den Personenwaggons sangen die Kanoniere Ein Heller und ein Batzen, die waren beide mein … Die Stahlräder rollten dumpf und hastig über den Schienenstrang. Draußen zog das schwäbische Land vorüber – Felder, Wiesen, Wälder und kleine Dörfer. Im rumpelnden Viehwaggon