Mit Rössern in den Untergang. F. John-Ferrer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: F. John-Ferrer
Издательство: Bookwire
Серия: Zeitzeugen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783475544880
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hing schwer an seinem Arm und kämpfte mit den Tränen.

      Von den Verladerampen her ertönten raue Rufe, brüllte plötzlich jemand, wieherte ein Gaul.

      Robert Benz hatte ihr nichts von dem erzählt, was ihm das Dasein in der Truppe versauerte. Sie hatte auch nicht gefragt, sie wollte anscheinend nichts davon wissen, obwohl sie zu spüren schien, dass etwas geschehen war. Aber jetzt, als sie plötzlich stumm blieben und sich anscheinend nichts mehr zu sagen hatten, obwohl ihre Herzen zum Überlaufen voll waren, drückte sie seinen Arm und fragte leise:

      »Was ist dieser Wachtmeister Schimanek für ein Mensch?«

      »Nicht der beste, Liebes.«

      »Ihr mögt euch nicht?«

      »Wir konnten uns noch nie riechen. Aber bitte – reden wir nicht davon, Liebes.«

      Sie sah besorgt zu ihm auf.

      »Er hat so harte Augen … er ist nicht gut.«

      »Ein alter Kommisskopp eben!«, lachte Benz. »Nichts anderes gelernt als zu drillen und herumzubrüllen.«

      »Er hat mich so komisch angeschaut, Robert … ich weiß selber nicht wie …«

      »Er hat kleine Mädchen gern«, sagte Benz. Und plötzlich erzählte er ihr, was damals in Frankreich geschehen war. Aber er kam nicht zu Ende damit. Gerti drückte jäh und erschrocken seinen Arm und flüsterte hastig:

      »Er kommt zu uns her.«

      Benz trat einen kleinen Schritt von ihr zurück und schaute auf die Uhr.

      »Der Zug muss jeden Moment kommen, Liebes«, sagte er laut.

      Da trat Schimanek heran und grüßte lässig.

      »Benz, Sie müssen zu den Pferden zurück.«

      Es klang nicht auffallend dienstlich, aber doch befehlend.

      »Darf ich nicht noch ein paar Minuten warten, Herr Wachtmeister?«

      »Ich sagte …«

      Doch Schimanek wurde von Gerti unterbrochen. Sie lächelte, als sie sagte:

      »Aber Herr Wachtmeister, können Sie es wirklich übers Herz bringen, meinen Verlobten fortzuschicken, wo jeden Augenblick der Zug kommen muss? Ist das menschlich, Herr Wachtmeister?«

      Schimanek sah sie fast bestürzt an. Seine Miene wurde verlegen. Er warf einen schnellen Blick auf Benz, der heftig errötete und Gerti einen unwilligen Blick zuwarf.

      »Was ist überhaupt zwischen euch?«, fragte sie mit der Unvoreingenommenheit ziviler Neugier und Sorge. »Warum vertragt ihr euch nicht? Ihr sitzt doch alle in einem Boot! Ihr zieht alle am selben Strang! Da gehört es sich doch, dass man sich untereinander verträgt.«

      »Sei bitte still, Gerti!«, rief Benz erschrocken.

      »Nein, nein«, fuhr sie fort, und eine kleine Falte erschien zwischen ihren Brauenbögen. Sie sah Schimanek fest an. »Ich bin nicht still. Ich darf so etwas schon sagen. Hören Sie, Herr Schimanek, ihr werdet jetzt wieder fortgeschickt. Ihr wisst nicht, wo ihr landet und was euch bevorsteht. Gutes bestimmt nicht! Ist es da so verwunderlich, wenn ich euch bitte, euch zu vertragen?«

      »Verzeihung …«, murmelte Schimanek verlegen, »das ist …«

      »Ich bin noch nicht fertig«, fiel sie ihm freundlich, aber bestimmt ins Wort. »Ich will erst noch wissen, ob ich zwischen euch vermitteln kann.«

      »Lass das, Gerti!« Benz rief es ärgerlich.

      »Ja«, murmelte Schimanek mit schiefem Grinsen, »es ist besser, Sie mischen sich da nicht ein.« Er wandte sich an Benz: »Gut, verabschieden Sie Ihre Braut noch, und melden Sie sich dann bei mir. Ich bin bei den Rampen auf Gleis drei.« Schimanek verbeugte sich knapp vor Gerti, grüßte und wollte kehrtmachen, als sie ihn schnell am Arm zurückhielt und mit beschwörender Eindringlichkeit rief:

      »Herr Wachtmeister, bitte … bitte! Mir zuliebe! Bitte schauen Sie mich an!«

      »So lassen Sie das doch!«

      Schimanek wollte ihren Griff abstreifen, aber er konnte den Blick nicht lösen von ihren blauen Augen. Sie schwammen in Tränen und schauten flehend zu ihm auf.

      Der schrille Pfiff einer Lokomotive erklang. Reisende mit Koffern kamen auf den Bahnsteig.

      »Bitte, Herr Wachtmeister«, sagte Gerti noch einmal.

      »Was … was wollen Sie eigentlich?«, knurrte Schimanek.

      »Dass zwischen euch Friede ist, wenn schon ringsum Krieg herrscht.«

      Schimanek sah sie lange und seltsam nachdenklich an, dann reichte er ihr die Hand.

      »Kommen Sie gut heim, Fräulein …«

      »Gerti Berg«, sagte Benz tonlos.

      »Kommen Sie gut nach Hause und machen Sie sich keine Gedanken, Fräulein Berg.«

      Schimanek legte die Hand an den Mützenrand, versuchte ein freundliches Lächeln und ging davon, ohne Benz auch nur eines Blickes, eines Wortes zu würdigen.

      Der Zug kam herangepoltert. Gerti Berg lächelte zu Robert hinauf.

      »Jetzt bin ich froh, du … so froh! Jetzt fahre ich leichter heim.«

      Der Zug hielt mit kreischenden Bremsen.

      »Das hättest du nicht tun sollen, Gerti«, sagte Benz und zog sie in die Arme. Sie küssten sich. Aus einem Fenster rief jemand ein neidvolles »Höööj, höööj!«

      Um Gerti und Robert versank für ein paar Herzschläge lang die Welt.

      »Einsteigen und die Türen schließen!«, rief der Schaffner.

      Benz ließ die schmale Gestalt los, half ihr auf das Trittbrett und sah noch einmal in zwei nasse, blaue Augen.

      »Gerti! Gerti, mach dir keine Sorgen!«

      Sie lächelte unter Tränen. Dann verschwand sie und tauchte noch einmal als helle Gestalt am Fenster auf. Sie beugte sich heraus und reichte ihre Hand hinunter.

      »Robert, ich weiß jetzt auch, dass du wieder heimkommen wirst. Ich werde beten dafür, du … immer beten!«

      Er nickte nur noch, er konnte nicht mehr reden. Ihm war es mit einem Male, als müsse er sich an den langsam anfahrenden Zug klammern, als müsse er sich mitschleifen lassen. Jäh und klar spürte Robert Benz, dass ihm etwas Großes, nie Erfahrenes geschehen war, dass er tief aus dem Herzen heraus liebte und bereit war, alles zu tun, um sich dieser Liebe würdig zu erweisen. Er wusste, als die helle Gestalt am Fenster davonglitt und er nebenherging, dass er sich mit Schimanek vertragen, dass er sich beugen musste, um das zu tun, was Gerti von ihm verlangt hatte.

      »Leb wohl!«

      Sie winkte dem zurückbleibenden Soldaten zu. Der Zug fuhr immer schneller, die Wagenschlange, das weiße Tüchlein, das im Wind flatterte, verschwanden.

      »Fort …«, murmelte Benz wie betäubt. Nur kurz hatte er aus dem Kelch der Freude, des Glückes getrunken. Durstig blieb er zurück, ein bisschen mutlos und voller Weh.

      »Ich weiß, dass du heimkommen wirst … ich werde beten dafür, du … immer beten!«

      Ihre Worte klangen ihm in den Ohren, als er über die Gleise zur Güterhalle hinüberging.

      Schimanek stand plötzlich vor ihm, bewegungslos, verschlossen, mit kalter Miene.

      »Los, Benz, ziehen Sie zum Waggon hinüber und laden Sie!«

      »Jawohl, Herr Wachtmeister.«

      »Und denken Sie bloß nicht, dass Sie mich einwickeln können, Benz! Dazu müssen Sie schon früher aufstehen! – Kehrt marsch jetzt, Sie Heini! Sind Sie noch nicht weg!«

      Täuschte sich Benz, oder klang der Anschnauzer wirklich etwas gekünstelt? Tat Schimanek nur so, als wolle er einen Heuwagen samt Rössern