Schutzpatrone. Rudolf Trink. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rudolf Trink
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960743026
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du sicher auch, den Totenvogel.“ Ferdl sprach dieses Wort auf eine ganz spezielle, sehr weiche Art aus, sodass es wie Doudenvougl klang. „Ich weiß gar net, wie er richtig geheißen hat, aber wir ham alle Totenvogel zu ihm gsagt.“

      Rumpler erinnerte sich sehr gut an den Totenvogel, einen etwa sechzig Jahre alten, großen, mageren, vornübergebeugten Mann mit einem kleinen, vollkommen kahlen Kopf, der auf einem seltsam nach vorne verschobenen Hals saß. Auf Wunsch seines jeweiligen Publikums hatte der Totenvogel, meist im Austausch gegen eine Zigarette, weit ausladende, langsame Flügelschläge gezeigt, indem er seine überlangen dürren Arme auf und ab bewegte, dazu auch öfters einmal ein paar Schritte oder eigentlich Hüpfer, wie man sie von Geiern her kennt, die sich mit besonderer Vorsicht einem Stück Aas nähern. Im Gegensatz zu seinem gruseligen Aussehen war der Totenvogel ein ausgesprochen friedlicher, netter Mann gewesen, mit einem sehr sanften Lächeln und einer unendlichen Langmut.

      „Den Totenvogel hättens nicht derschlagen dürfen“, sagte Ferdl und fügte leise, fast flüsternd hinzu „Den Tod kannst doch ned umbringen.“

      Rumpler nickte zustimmend. Er glaubte zu verstehen, was Ferdl meinte. Der Totenvogel war eine Institution gewesen, kraft seines Amtes als eine Art Bote des Todes ebenso unsterblich wie dieser – und in diese unverbrüchliche Ordnung hatte ein Mörder eingegriffen.

      „Alsdann, was willst wissen, Hans?“

      „Hast vielleicht was gehört, ob einer von euch was gsehen hat, aber mit der Polizei net redt?“

      „Das hab ich dir eh schon gsagt, am ehesten der Rudi Schätter. Er is ja immer mit dem Schummer Heinzi mitgangen, und der wollt ihn dann nicht fortschicken, auch wenn ihm der Rudi mit seinen Kasperlgeschichten ganz ordentlich auf die Nerven gangen is. Der Rudi is immer auf ihm draufpickt. Es würd mich sehr wundern, wenn der Rudi nicht in der Näh gwesen wär, wie’s den Heinzi umbracht ham. Aber er is halt komisch, der Rudi, seit dem Mord angeblich noch mehr wie vorher. Da kannst nicht wissen, ob er was erzählt, was er gsehn hat, oder ob er was erfindet. Er bringt einfach keinen graden Satz heraus.“

      „Ich hab ghört, er is jetzt am Steinhof in der Psychiatrie.“

      „Ja, da geht er wenigstens nicht ganz vor die Hund, weil ohne den Heinzi wärs aus mit ihm. Ich glaub, er würd sich über deinen Besuch freuen.“

      „Ich probiers. Mehr als schiefgehn kanns nicht.“

      Unter dem Tisch ertönten mittlerweile leicht sägende Schnarchgeräusche.

      „Jetzt schlafts, die Leni“, sagte Ferdl zufrieden.

      „Ein guter Hund“ bestätigte Rumpler und fügte, etwas besorgt: „Pass gut auf dich auf, Ferdl“, hinzu.

      „Eh klar. Mir passiert schon nix. Außerdem hab ich die Leni.“

      Rumpler winkte der Kellnerin, einer Frau Rosi, die ihn in Namen und Figur an seine Rosamunde erinnerte und schon seit vielen Jahren in der Krot servierte. Während er die erstaunlich moderate Rechnung bezahlte, bemerkte Leni trotz ihres vernehmbar tiefen Schlafes in der Sekunde die Zeichen des Aufbruchs, dehnte und streckte sich und schüttelte sich zuletzt ihre Steifigkeit aus den Gliedern.

      Nachdem Rumpler mit dem Auto gekommen war, bot er Ferdl an, ihn ein Stück weit mitzunehmen, was dieser aber dankend ablehnte.

      *

      5.

      Am nächsten Morgen fuhr Rumpler gleich nach seinem Frühstück im Café Sperl zum Steinhof, suchte aber zunächst nicht die Psychiatrie auf, sondern umrundete die Otto Wagner Kirche. Rumpler fand es völlig richtig, dass dieses Bauwerk mit seiner perfekten Schönheit genau dort stand, zur Verfügung der Schwierigen und oft auch Verzweifelten, die in den Pavillons ganz in der Nähe untergebracht waren, und er hoffte, diese Schönheit würde auch und gerade ihnen, die es am meisten brauchten, helfen. Die Kirche am Steinhof faszinierte ihn nicht nur wegen ihrer augenscheinlichen Schönheit allein, sondern vor allem deshalb, weil der Architekt, Otto Wagner, seine ganze Sorgfalt und Aufmerksamkeit darauf ausgerichtet hatte, sie in allen Details für die doch sehr speziellen Bedürfnisse ihrer Besucher auszugestalten. Das Weihwasser wurde aus hygienischen Gründen nicht, so wie in anderen Kirchen üblich, in Becken angeboten, sondern es wurde durch Herabtropfen zur Verfügung gestellt, um das sonst kaum vermeidbare Gepritschel hintanzuhalten. Die Bänke waren sehr kurz, um im Bedarfsfall eine leichte Zugänglichkeit zu sichern, es gab eine Toilette und der Boden der Kirche fiel nach vorne hin etwas ab, um auch den weiter hinten Stehenden einen freien Blick auf den Altarraum zu sichern. All das war mit einer unglaublichen Schönheit umgesetzt worden. Einfach genial.

      Nachdem Rumpler die Pracht der Kirche voll in sich aufgenommen – oder eigentlich eingeatmet – hatte, weil einen wirklich gute Bauwerke immer auch freier atmen lassen, obwohl man ihren Anblick doch paradoxerweise als atemberaubend bezeichnet, wie er dachte, ging er, geleitet von den Orientierungstafeln, zu Pavillon Nummer Vier, in dem Rudi Schätter, wie ihm Moser gesagt hatte, untergebracht war. Er sprach kurz mit der diensthabenden Schwester, um sich einen Spaziergang mit Rudi Schätter genehmigen zu lassen, was sich als völlig problemlos erwies, nachdem Moser offensichtlich bereits mit ihr gesprochen hatte. Sie begleitete Rumpler in ein Zimmer im ersten Stock, das am Ende eines langen Ganges mit vielen weiß lackierten Türen lag. Die Schwester klopfte energisch an und sperrte dann die Tür auf. Während des Hinaufgehens hatte sie Rumpler erklärt, dass Rudi Schätter sich auf ausdrücklichen eigenen Wunsch in seinem Zimmer einsperren ließ, weil er Angst hatte. Am Ende des eher schmalen Zimmers war ein Fenster und dort saß an einem kleinen Tisch mit Resopalplatte ein etwa vierzig- bis fünfundvierzigjähriger Mann, mittelgroß, mit mausgrauem, in Büscheln vom Kopf abstehendem Haar, erstaunlich großen Ohren, einem fliehenden Kinn und Augen von einem wässrigen Blau. Er ließ seinen ruhelosen Blick blitzartig über die beiden Eintretenden laufen. „Ah“, sagte er mit überraschend kräftiger Stimme. „Die Gretel hat einen Seppel mitbracht.“

      „Sie haben Besuch, Herr Schätter“, sagte die Schwester etwas lauter als nötig in einem aufgesetzt fröhlichen Tonfall, dem der mühsam unterdrückte Ärger über Schätters Gretel-Zuschreibung deutlich anzumerken war.

      „Der Herr Rumpler ist gekommen und macht mit Ihnen einen Spaziergang.“

      „Der Kasperl fehlt halt sehr. Seppeln gibt’s genug, aber kan Kasperl.“

      Rumpler wusste nicht recht, ob er darauf eingehen sollte, und entschied sich spontan dagegen. Er richtete ihm, um einen Anknüpfungspunkt zwischen ihnen herzustellen, Grüße vom Ferdl aus.

      „Bist ein braver Seppel“, meinte Rudi nur und ließ sich von Rumpler zur Tür hinausführen.

      Solange Rumpler ihn am Arm berührte, und sei es noch so leicht, ging Rudi mit ihm wie selbstverständlich mit, sobald dieser Kontakt jedoch unterbrochen war, blieb er sofort stehen wie eine Straßenbahn, die plötzlich keine Verbindung mehr zur Oberleitung hat. Rumpler verzichtete darauf, sich Rudi gegenüber als Hans vorzustellen, da er ja doch wusste, dass er ein Seppel war, Hans hin oder her. „Bist gut untergebracht?“

      „Schon“, meinte Rudi. „Immer genug zum Essen und eine Dusch hab ich auch. Aber eingsperrt bin ich halt.“

      „Darfst net raus?“

      „Schon. Aber wohin sollt ich denn gehen?“

      „Kriegst Besuch?“

      „Na. Nur die Polizisten waren bei mir. Die ham mich komische Sachen gfragt und dann sinds wieder gangen.“

      „Was hams dich denn gfragt?“

      Bevor er hätte antworten können, blieb Rudi stehen und wies vorsichtig auf eine kleine Frau mit scharfen Gesichtszügen, die soeben aus dem Pavillon getreten war, an dem sie gerade vorbeikamen.

      „Zerst hab ich glaubt, das is die Hex, aber es is die Großmutti. Schiach is halt wia in Teifl sei Hazer, aber liab.“

      Während Rumpler noch ordentlich damit zu tun hatte, ein Lachen über